In dem Verfahren um 26 Messerstiche in Rheindorf wurden die Plädoyers gehalten
ProzessVon mildem Urteil bis 13 Jahren Haft ist für Leverkusener Messerstecher alles möglich
Auch nach mehreren Verhandlungstagen bleibt der Grund unklar, weshalb ein Mann einen Leverkusener Hobby-Ornithologen ohne Vorwarnung auf einem Rheindorfer Feldweg mit 26 Messerstichen mutmaßlich töten wollte. Der Staatsanwalt steht bei seinem Vortrag und blickt dem Angeklagten in die Augen: „Ich habe keine Ahnung, wieso sie das getan haben“, und fordert im Plädoyer neun Jahre Haft. Bis auf ein Blinzeln zeigt der keine Reaktion. Der durch DNA-Spuren auf seinem Messer zweifelsfrei überführte Täter Sinan D. (Name geändert) ist Ersttäter und für eine gefährliche Körperverletzung ist die Strafforderung nahe der Höchststrafe (zehn Jahre) durchaus eine Ansage.
„Man denkt, wer so eine Tat begeht, der muss wahnsinnig sein“, sagt der Staatsanwalt. Der Täter hatte auf den Opladener Hobbyfotografen noch fünfmal eingestochen, nachdem er zusammengesackt war und sich am Boden tot gestellt hatte. Ein psychiatrischer Gutachter hatte dem Angeklagten zwar psychische Störungen zugeordnet, aber keinen Wahnsinn. Untersuchen konnte er ihn nicht, weil er das nicht wollte.
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„Es war Ihr Wille, ein Menschenleben auszulöschen“, sagt der Staatsanwalt. Nur: Die Anklage wegen versuchten Mordes kommt für den Staatsanwalt nicht infrage, weil der Täter die Polizei zum Tatort geführt habe und damit quasi von seiner Tat zurückgetreten sei.
Michael Kaps, Anwalt des Hobbyfotografen und Nebenklägers, hält diese juristische Sicht für nicht schlüssig. Er fordert 13 Jahre, weil die 26 Messerstiche gegen seinen Mandanten sehr wohl als Heimtücke-Mord zu bewerten seien. Ein Rücktritt im juristischen Sinn muss nämlich freiwillig durch den Täter erfolgen. Sinan D. hatte die Polizei so schnell gefangen, da wurde noch fieberhaft nach dem Vogelfreund gesucht, der blutend im Feld lag. Fünf Minuten mussten die Polizeibeamten auf den Tatverdächtigen einreden, der mit Handschellen gefesselt auf dem Rücksitz eines Polizeiwagens saß, bevor der auspackte und den Tatort preisgab.
Dann, so der Anwalt, habe der Täter die Beamten auch noch wohl bewusst erstmal in den falschen Feldweg gelotst. Sinan D. habe über zwei Jahre ganz in der Nähe in Rheindorf gewohnt, er habe die Gegend gut gekannt und die Polizei getäuscht. Das sei ein Mordversuch, nichts anderes; vor der Tat habe er sich das Vertrauen des körperlich unterlegenen Opfers erschlichen, indem er Interesse am Hobby des Fotografen gezeigt habe.
Leverkusen: Viel spricht nicht für den Angeklagten
Um etwas zu finden, was für den Angeklagten spreche, müsse man suchen, sagt Anwalt Kaps. Sinan D. sei unvorbelastet, bisher strafrechtlich nicht auffällig, das sei alles. In der Verhandlung habe er hingegen keine Pluspunkte gesammelt. Er habe keine Aussage gemacht, das stehe ihm zwar zu, aber damit blieben die Tatgründe nebulös, das sei für den Vogelfotografen sehr belastend, denn der wisse immer noch nicht, weshalb er angegriffen worden sei. Eine Entschuldigung habe es nicht gegeben und auch die Schmerzensgeld-Forderung habe der Angeklagte im Verfahren nicht freiwillig anerkannt.
Verteidiger Mustafa Kaplan legte sich im Plädoyer nicht fest, welche Strafe er für die Tat für angemessen hält. Was dem Täter nicht über die Lippen kam, klang beim Verteidiger wenigstens an: „Ich erkenne an, was Ihnen widerfahren ist. Aber ich kann Ihnen sagen, dass mein Mandant nichts gegen Sie hat, er würde Sie nicht mehr angreifen, bei einem zufälligen Treffen“, richtet der Verteidiger das Wort an den Fotografen, der am Freitag zu den Plädoyers selbst in den Gerichtssaal gekommen ist. Der inzwischen körperlich fast vollkommen genesene Ornithologe quittiert diese Ansprache mit einem Stirnrunzeln. Ihm liegt ganz sicher nichts daran, dem Täter noch einmal irgendwo anders als im Gerichtssaal zu begegnen.
Auch Verteidiger Kaplan bietet keine Erklärung für die ungeheuerliche Tat, er glaubt aber, dass psychische Probleme die Ursache sind. Die seien ambulant mit Tabletten behandelbar: „Niemandem ist geholfen, wenn wir ihn lange wegsperren“, sagt der Strafverteidiger Kaplan; er hält ein „mildes Urteil“ für angemessen. „Das letzte Wort in der Verhandlung haben Sie“, sagt Richterin Sabine Grobecker zum Angeklagten. Aber auch diese Chance nutzt er nicht, etwa für eine Entschuldigung. „Muss ich was sagen?“, fragt er seinen Anwalt und schüttelt dann den Kopf.