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Messerangriff vor GerichtPolizistin hielt den blutenden Leverkusener wach

Lesezeit 3 Minuten
Landgericht Köln, Prozessauftakt gegen einen mutmaßlichen Messerstecher, der einen Mann in Rheindorf am 4.6.2023  mit 26 Messerstichen fast getötet hat.Mit Verteidiger Mustafa Kaplan  Foto: Ralf Krieger

Landgericht Köln: Der Prozess gegen den Mann, der einen Vogelbeobachter in Rheindorf am 4.6.2023 mit 26 Messerstichen fast getötet hat (mit Rasterung), geht weiter. Hier mit seinem Verteidiger Mustafa Kaplan.

Am Landgericht geht der Prozess gegen Sinan D. weiter. Er hatte einen Vogelbeobachter angegriffen und mit Messerstichen fast getötet. Auch der psychiatrische Gutachter kam zu Wort.

Der potenziell tödliche Angriff in Rheindorf am 4. Juni des vergangenen Jahres kam für den Hobbyornithologen unerwartet, denn er war lediglich in die Rheindorfer Natur gefahren, um Vögel zu fotografieren. Fast wäre er an dem Abend getötet worden: 26 Mal hatte der Angeklagte mit seinem Springmesser auf den Leverkusener Hobby-Vogelfotografen eingestochen. Einen handfesten Grund für die Tat zu finden, dürfte vor Gericht schwierig werden, oder sogar kaum möglich sein, denn der Angeklagte weigert sich, mit dem psychiatrischen Gutachter zu sprechen, aber er scheint doch krank zu sein. Anders ist das äußerst brutale Verbrechen aus heiterem Himmel schwer zu erklären.

Der psychiatrische Gutachter kann sich alleine auf Unterlagen stützen, die andere Ärzte vor ihm verfasst haben, die mit dem angeklagten 38-jährigen Sinan D. zu tun hatten. Bis 2012 reicht die Krankengeschichte des Frecheners zurück. Mehrfach hatten Ärzte ihm eine gestörte Impulskontrolle, einen narzisstischen Charakter und auch Depressionen bescheinigt.

Leverkusen: Exfreundin wurde vom Angeklagten geschlagen

Seine Exfreundin sagte am Montag vor dem Kölner Landgericht als Zeugin aus und bestätigt: Er habe sie mindestens fünfmal ziemlich unvermittelt im normalen Streit geschlagen, was da durchaus ins Bild passt.

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Sinan D. wurde vor Gericht nur wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt, nicht etwa wegen versuchten Mordes, trotz des extrem brutalen Messerangriffs. Wie kann das sein?

Sowohl der Staatsanwalt als auch die Verteidigung glauben, dass der Täter kurz nach dem Angriff einen Rücktritt von seiner Tat vollzogen hat, als er kurz nach dem Messerangriff Polizisten den Tatort verraten hat. Die Polizei hatte ihn nur nach wenigen Minuten in der Nähe des Tatorts aufgegriffen. Kurz nach seiner Festnahme soll er sich entschlossen haben, die Beamten zum Tatort zu führen. Also: kein Mord dank des Rücktritts, trotz der Heimtücke, mit der der Täter im Rheindorfer Gebüsch auf den körperlich unterlegenen Vogelfreund eingestochen hatte.

Die Tat gegen den Vogelkundler bestreitet Sinan D. nicht, aber er schweigt zu den Vorwürfen. Sein Verteidiger scheint alles zu versuchen, damit der Täter nach dem Urteil nicht in eine geschlossene psychiatrische Klinik zwangseingewiesen wird. Denn: Mit diesem Dreh käme der Angeklagte wohl kürzer hinter Schloss und Riegel, als wenn er vom Psychiater für krank erklärt würde und in die forensische Klinik müsste.

Nebenklage-Anwalt bewertet Angriff als echten Mord

Der Nebenklage-Anwalt Michael Kaps, der die Interessen des Fotografen vertritt, bewertet den Messerangriff sehr wohl als echten Mord. Sinan D. habe den Polizisten den Tatort nur deshalb verraten, weil er sowieso schon festgenommen worden war, argumentiert der Anwalt; er habe in dem Augenblick strategisch gehandelt.

Schockierend und auch berührend wurde es, als im Landgericht am Montag eine Aufzeichnung des Notrufs abgespielt wurde. Zu seinem Glück hatte der Fotograf sein Mobiltelefon dabei und konnte die Polizei anrufen. Über 20 Minuten dauerte die Einspielung des Telefongesprächs, in dem eine klug handelnde Polizistin den Verletzten wach hielt, während eine Vielzahl an Beamten und Ärzten nach ihm auf den Rheindorfer Feldwegen suchten.

Die Polizistin führte ein Gespräch mit dem sterbenden Mann, der auch wegen einer Verletzung an der Luftröhre immer undeutlicher sprach und hörbar schwächer wurde. „Mich hat einer abgestochen“, eröffnete er das Gespräch und sagte ziemlich präzise, wo er am Feldweg neben der Eisenbahnstrecke lag und zu verbluten drohte. „Halten Sie die Wunden fest zu“, wiederholte die Polizistin in der Leitstelle immer wieder. „Es sind so viele Wunden, ich weiß gar nicht, wo ich draufdrücken soll“, sagte der Fotograf. Und er gab eine gute Beschreibung des Täters durch. Den nahmen die Polizisten fest, bevor sie den Verletzten im Feld gefunden hatten.