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Zwei Drittel geschiedenLeverkusen zu „Deutschlands Scheidungs-Hauptstadt“ erklärt

Lesezeit 4 Minuten
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 Eine Frau zerreißt ihr Hochzeitsfoto.

  1. Ein Onlineportal erklärte Leverkusen zu Deutschlands „Scheidungs-Hauptstadt“. Gemessen an den neu geschlossenen Ehen würden hier die meisten Scheidungen bundesweit vollzogen.
  2. Doch ist es um die Ehe in Leverkusen tatsächlich so schlecht bestellt?
  3. Wir haben uns auf Spurensuche begeben und mit denen gesprochen, die es wissen müssen:
  4. Einer Standesbeamtin, einem Richter, einer Anwältin und diversen Beratungsstellen in Leverkusen.
  5. Lesen Sie hier, warum für die Liebe in Leverkusen doch noch Hoffnung besteht und was die gängigsten Gründe für eine Scheidung sind.

Leverkusen – Wer in Leverkusen den Bund der Ehe schließt, der ist auf jeden Fall eines: optimistisch. Diese Schlussfolgerung lässt sich ziehen, wenn man einer Berechnung des Online-Portals betrugstest.com Glauben schenken mag. In dieser wurden die Eheschließungen und Scheidungen der 100 größten Städte und Kreise Deutschlands miteinander in Beziehung gesetzt.

Mit 602 geschlossenen und 445 beendeten Ehen im Jahr 2019 ergab sich für Leverkusen eine Quote von 0,74 Scheidungen auf eine Heirat – und die Stadt wurde zu „Deutschlands Scheidungs-Hauptstadt“ erklärt.

Im Schnitt scheitert mit 0,38 Prozent etwas mehr als jede dritte Ehe – hier sind es gleich deutlich über zwei Drittel. An der fröhlichen Bützerei der Rheinländer allein scheint es nicht zu liegen – die Quote in Köln liegt nur bei 0,34.Hat die Liebe in Leverkusen also tatsächlich schlechtere Chancen als andernorts?

Weniger Eheschließungen in Leverkusen

Die kurze Antwort lautet: Wohl kaum. Die längere Antwort: In die Statistik fließt die Zahl der Eheschließungen ein, die von den Standesämtern gemeldet werden. Auffällig ist: Für eine Stadt mit rund 164 000 Einwohnern erscheinen 602 Eheschließungen in Leverkusen relativ wenig. Eine Stadt von vergleichbarer Größe wie Solingen (159 000 Einwohner) zählt rund 200 Hochzeiten mehr.

Woran liegt das? Die Attraktivität Leverkusens als Hochzeits-Location könnte ein Grund sein. Wenn einer oder beide Partner ihren Wohnsitz in Leverkusen haben, müssen sie ihre Eheschließung zwar beim Leverkusener Standesamt anmelden. Stattfinden kann die Trauung aber an einem Ort der Wahl: „Das kann dann auch schon mal Norderney sein“, so Standesbeamtin Anne Neuhausen. „Seitdem wir das neue Rathaus haben, werden hier weniger Eheschließungen vollzogen“, erklärt sie.

Grundsätzlich heirateten heutzutage allerdings deutlich weniger Paare als noch vor einigen Jahren. Die niedrige Zahl der Hochzeiten in Leverkusen könnte also damit erklärt werden, dass die Leverkusener einfach auf schönere Trauorte außerhalb der Stadt ausweichen – oder erst nach ihrer Heirat nach Leverkusen ziehen.

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Dass Leverkusen Scheidungshauptstadt sein soll, „macht sich gar nicht bemerkbar“

Blieben da noch die Scheidungen. Sollte Leverkusen „Scheidungs-Hauptstadt“ sein, dürfte das Amtsgericht mit nichts anderem beschäftigt sein, als Versorgungsausgleiche durchzuführen und Scheidungsanträge zu bearbeiten. Richter Torsten Heymann kann das nicht bestätigen. Dass Leverkusen Scheidungs-Hauptstadt sein soll, „macht sich gar nicht bemerkbar“, sagt er. Familienrichterinnen und -Richter berichteten ihm, dass es gefühlsmäßig sogar eher runter gehe.

Der Ton in Scheidungsfällen wird deutlich rauer

Auch die Beratungsstelle der Caritas, die bei Konflikten in der Familie, Trennung und Scheidung vermittelt, „kann nicht behaupten, dass wir einen besonders hohen Anteil im Vergleich zu anderen Beratungsstellen in der Region haben“, so ein Mitarbeiter. Was jedoch deutlich zugenommen habe, sei die Häufigkeit der sogenannten hochstrittigen Fälle. Diese Paare kämen auf Anweisung des Gerichts oder des Jugendamtes zur Beratung, damit wieder ein normaler Umgang miteinander möglich sei. Da brauche es schon einmal „Dompteur-Arbeiten“, um wieder eine gute Gesprächskultur zu etablieren und auch das Wohl der Kinder nicht aus dem Auge zu verlieren.

Andrea Cornelsen, Fachanwältin für Erb- und Familienrecht in Opladen, erlebt in ihren nun rund 20 Jahren im Beruf ebenfalls eine „deutliche Verschärfung der Gangart“. Die Art und Weise des Umgangs sei ruppiger geworden, gesteigerte Erwartungshaltungen machten sich bemerkbar. Auch an sie als Anwältin: „Meine Arbeit umfasst mehr als nur den rechtlichen Bereich“, erzählt sie. „Die Klienten wünschen sich auch seelische Unterstützung.“

Gründe für das Ende einer Ehe: Auseinandergelebt oder gar Gewalt erlebt

Während die Frage nach der Schuld an der Scheidung vor Gericht schon lange nicht mehr gestellt wird, spielt sie für die Ehepartner selbst weiterhin eine große Rolle. Das klassischste Motiv für eine Scheidung sei oft das „Auseinanderleben“, sagt Cornelsen. „Einer der Partner hat sich weiterentwickelt, und der andere ist stehen geblieben.“

Dass die Gründe für eine Scheidung noch deutlich schwerwiegender sein können, berichtet Christiane Meinekat von der Frauenberatungsstelle Leverkusen. Bis Ende August wurden 459 Frauen in Bezug auf die Themen Scheidung und soziale Absicherung nach einer Trennung beraten. Viele davon leiden unter häuslicher Gewalt. „Den Anstieg dabei haben wir in der Corona-Zeit deutlich gemerkt“, so Meinekat. Im August habe man bereits die Zahl an Fällen zu häuslicher Gewalt aus dem Vorjahr erreicht.

Corona schlägt sich auch an anderen Stellen in Partnerschaften wieder. Pia Heck, Leiterin von Profamilia in Leverkusen, erzählt von existenziellen Ängsten. In einem ihr bekannten Fall sei jemand in Kurzarbeit, von der Entlassung bedroht. „Da stellen sich Fragen wie: »Wie finanziere ich meine Familie?« Das macht Druck, und das wirkt sich auf die ganze Familie aus“, sagt sie. Durch das „Aufeinanderhocken“ biete sich jedoch auch die Chance, dass Familien wieder enger zusammenrücken und auch gesehen wird, was der Partner leistet.

Nicht jede Krise endet in Trennung

Bei Problemen rund um die Familienplanung, Sexualität in der Beziehung, junge Elternschaft und die Erziehung von Kleinkindern bietet Profamilia Unterstützung. Grundsätzlich könne man bei auftretenden Problemen „gar nicht früh genug“ zur Beratung kommen, erklärt auch die Caritas. Beziehungskonflikte müssen nicht zwangsläufig zu einer Trennung führen. „Manchmal sind Krisen auch einfach nur Krisen“, meint Pia Heck. – Und das gilt in Leverkusen genauso wie anderorts.