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Leverkusener Schiedsmann„Man kann sich emotional nicht immer ganz heraushalten“

Lesezeit 5 Minuten

Johannes Thomas am Esstisch, an dem im Laufe der Jahre viele Streithähne saßen. 

  1. Johannes Thomas war 25 Jahre lang Schiedsmann und hat Streithähne an seinem Tisch zusammenkommen lassen.
  2. Manchmal ging es um Beleidigungen („Von Schlampe bis Stinkefinger war alles dabei“) oder um den berühmt-berüchtigten Überhang von Grünzeug in Nachbars Garten.
  3. Wir haben uns mit ihm über seine Fälle unterhalten.

Leverkusen – Der große Esstisch vor der orangefarbenen Wand, nebenan hängt ein Banjo, darüber ein Gemälde: 25 Jahre lang diente der Tisch als Kulisse für Nachbarschaftsstreitigkeiten aller Art in Schlebusch.

Heute ist aus dem Esstisch ein normaler Tisch geworden, an dem Johannes Thomas und seine Frau das Mittagessen auftragen oder Feste feiern. 25 Jahre lang war Thomas Schiedsmann, zuständig für Alkenrath, Schlebusch Nord, Steinbüchel und Lützenkirchen. Am 17. Januar wird er für sein jahrelanges Engagement geehrt. Zu dem 70-Jährigen kamen Leute, meist Nachbarn, die für ihren Streit keine Lösung fanden. Bevor der Fall vor Gericht landet, werden die Streitparteien – in einigen Fällen zwingend – an die Schiedspersonen vermittelt. Das spart den Richtern Nerven und dem Steuerzahler Geld.

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Wie er zu dem Amt kam, das er ausfüllen „durfte“? Johannes Thomas sagt „dulden“, atmet tief aus und lacht. Die Augen geöffnet hat ihm ein Streit, in den er persönlich verwickelt war. Es ging um die berühmte Tanne, die vom Nachbargrundstück zu ihm „reinwuchs“. „Ich habe nicht übermäßig klug gehandelt“, räumt Thomas grinsend ein, er ging vor Gericht – „von Schiedsleuten wusste ich damals nichts“ – und verlor in der ersten Instanz. Der Streit wurde damals, 32 Jahre ist das jetzt her, vor Gericht mit einem Vergleich beendet. Vom Saulus zum Paulus sei er quasi geworden, sagt der ehemalige Gymnasiallehrer mit einem breiten Lachen. „So ein Scheiß muss nicht jedem passieren“, sagte er sich und nahm das Amt des Schiedsmanns an.

Auf dem großen Esstisch liegt eine rote Mappe: Als Schiedsmann muss man alles dokumentieren, jeden Fall protokollieren, der „Formalkram“ sei nicht zu unterschätzen. Thomas sitzt immer in der Mitte, die Streitparteien „meist weit auseinander“, muss er schmunzeln.

Sein Ziel ist es, dass für beide „etwas Vernünftiges“ herauskommt, betont er. Nicht immer einfach. „Man kann sich emotional nicht immer ganz heraushalten.“ Im Laufe der 25 Jahre, in denen er das Amt ausübte – seine „Amtszeit“ lief Ende November aus, doch bislang gibt es noch keinen Nachfolger – stellt Johannes Thomas durchaus Änderungen fest. Er habe schon das Gefühl, dass Leute heute schneller klagen würden. Nicht zuletzt, weil Rechtsschutzversicherungen heute weiter verbreitet sind.

Auch Beleidigungen waren dabei

Der berühmt-berüchtigte Ast, der über dem Grenzzaun hängt: Die typischen Streitfälle hätten sich im Laufe der Jahre wenig geändert. Neben Streitereien um „Überhänge“ ging es bei dem ehemaligen Mathe- und Physiklehrer aber auch schonmal um Beleidigungen („Von Schlampe bis Stinkefinger war alles dabei“) oder seltener um Fälle, wo zum Beispiel das Kind seinen Ball beim Nachbarn in die Tür getreten hat. Es ging aber auch schonmal um viel Geld, als sich Handwerker und Bauherr an seinem Esstisch trafen, um über nicht gezahlte Beträge zu diskutieren.

Was Johannes Thomas noch aufgefallen ist im Laufe der Jahre? Bedächtig faltet der 70-Jährige die Hände, denkt nach. „Generell die Sprachlosigkeit, die zwischen Nachbarn herrscht“, sagt er. Es sei so viel einfacher, wenn die Leute miteinander reden würden.

Das Schild an der Tür bedeutet: Kein Zutritt, hier wird verhandelt.

25 Jahre im Dienst der Menschenfreundlichkeit, auch Nächstenliebe ist ein Wort, das Thomas benutzt, wenn er über seine Motivation spricht. Auch sein Glaube ist ein Aspekt und Antrieb. Oder anders ausgedrückt: „Ein wenig das Helfersyndrom haben wir alle“, meint Thomas schmunzelnd.

Alle, das sind aktuell 13 Schiedsfrauen und -Männer, die in Leverkusen, Leichlingen und Burscheid eingesetzt sind. Einmal im Jahr gibt es eine Dienstbesprechung. Doch auch zwischendurch hält Thomas mit Amtsrichter Stefan Müller-Gerbes Rücksprache.

Das Ehrenamt

Wer sich für das Amt des Schiedsmanns oder der Schiedsfrau interessiert, wird für fünf Jahre für seinen Bezirk gewählt. Weitere Infos gibt es online bei der Stadt oder beim Land NRW. (aga)

www.streitschlichtung.nrw.de

www.leverkusen.de

Das Amt der Schiedsperson – „außergerichtliche Streitschlichtung“ heißt es auch juristisch – bedeute einen „hohen persönlichen Einsatz“, sagt Richter Müller-Gerbes. Doch man kann es „gar nicht hoch genug einschätzen“. Mehr als die Hälfte aller Fälle werden verglichen, landen also gar nicht erst auf dem Schreibtisch der Richter. Menschen wie Johannes Thomas, die ein Vierteljahrhundert dabei sind, ersparen dem Steuerzahler und der Gesellschaft wortwörtlich jede Menge: „Im Laufe von 25 Jahren kommt durchaus ein Gegenwert von mehr als einer Eigentumswohnung zusammen“, schätzt Müller-Gerbes. Geld, das die Leverkusener Steuerzahler nicht für den Unterhalt der Gerichte aufbringen müssen.

Sitzungszeit: Meist eine knappe Stunde

Kostenlos ist der Termin bei Johannes Thomas nicht: Doch mit zehn bis 40 Euro pro Fall ist der finanzielle Aufwand sehr gering. Ehrenamt eben.

Meist knapp eine Stunde sitzen die Streithähne bei Thomas am Esstisch. Zuvor hat der 70-Jährige schon mit dem Fall beschäftigt, vielleicht mit dem einen oder anderen telefoniert, aufgeschrieben, was wem vorgeworfen wird. Aufeinander losgegangen ist bei ihm noch keiner. „Aber es ist schonmal laut geworden“, räumt er ein, „die Luft muss anfangs raus“.

Ansonsten versucht Thomas, die Streitparteien zum Reden zu bringen – und sich selbst nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. „Man kann sich über alles ärgern, ist dazu aber nicht verpflichtet“, schildert der 70-Jährige sein Motto. Und manchmal lässt es sich auf eine viel einfachere Formel herunterbrechen: „Es ist einfach eine Freude, einen Konflikt gelöst zu haben“, sagt Johannes Thomas.