Simon Frädrich von der Stadt Leverkusen erklärt, wie er junge Menschen an die Politik heranführt.
JugendarbeitWie man Jugendliche in Leverkusen für Demokratie begeistert
Demokratie kann echt nerven. Da hat man eine gute Idee und will sie einfach nur in die Tat umsetzen. Doch dann muss man erst seine eigenen Parteikollegen überzeugen, das ganze zu Papier bringen, in Ausschusssitzungen den Politikern anderer Parteien schmackhaft machen, Mehrheiten suchen, Kompromisse eingehen, das Papier eventuell noch einmal umschreiben, bevor es zur finalen Abstimmung geht. Und erst dann beginnt die Umsetzung – wenn es gut läuft. Diese Erfahrung machen viele Leverkusener Jugendlichen, wenn sie sich am Jugendstadtrat beteiligen.
„Das ist auch gut so. Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, dass man in der Politik alles geschenkt bekommt“, sagt Simon Frädrich, Verantwortlicher für Kinder- und Jugendbeteiligung in der Stadtverwaltung. Diese Stelle wurde bei der Stadt Leverkusen vor drei Jahren eigens geschaffen, um jungen Menschen mehr Möglichkeiten zu geben, die Stadt mitzugestalten und Verständnis für Politik und Demokratie aufzubauen. Aber vergrault man interessierte Jugendliche nicht direkt wieder, wenn man sie mit dem oft zermürbenden politischen Alltag konfrontiert? „Nicht, wenn die Kinder merken, dass die Arbeit sich lohnt und sie wirklich etwas bewegen können“, sagt Frädrich. „Egal was man macht, das Wichtigste ist, dass am Ende ein Ergebnis steht.“
Das müsse gar nicht unbedingt die 1:1-Umsetzung der ursprünglichen Idee sein. Der Grundsatz der Jugendbeteiligung: Gemeinsam erarbeiten, was gewünscht und möglich ist, aber auch aufklären, warum manche Ideen vielleicht nicht umsetzbar sind. Und dann vor allem gegenüber der „großen“ Politik selbstbewusst die Anliegen vertreten. „Was wir auf keinen Fall wollen, ist Verdruss produzieren“, erklärt Frädrich. Deswegen sei es auch so wichtig, dass die Anträge aus dem Jugendstadtrat von den Politikern ernst genommen werden.
2022 fand das politische Planspiel in Leverkusen zum ersten Mal statt, drei Tage lang befassten sich die Jugendlichen mit Anträgen und Abstimmungen. Bei der zweiten Auflage wirkten Teilnehmende aus dem Vorjahr schon bei der Planung als Helfer mit, brachten ihre Ideen ein, wie das ganze Projekt noch besser umzusetzen ist. „Das ist natürlich besonders toll, wenn wir Jugendliche dazu bekommen, sich auch über das Projekt hinaus politisch zu engagieren“, sagt der Verantwortliche. Und es gibt Erfolge zu feiern: Im ersten Jahr war eine Jugend-Disko eine wichtige Forderung der Teilnehmenden. Am 6. Januar 2024 fand die erste „Next Gen“-Party im Shadow Leverkusen statt. Ein Paradebeispiel für gelungene Jugendbeteiligung lobt Dezernent Marc Adomat.
Bei der zweiten Auflage im vergangenen Jahr waren die häufig miserablen Schultoiletten ein großes Thema – aber auch eines, das die Politiker nicht gerne anfassen. Zu groß ist der Ärger über Vandalismus. Doch auch hier machte sich Beharrlichkeit bezahlt. Jugendliche konnten die Politiker davon überzeugen, sich dennoch darauf einzulassen. Nun gibt es immerhin eine Prioritätenliste und die Stadtverwaltung ist von ihrem Plan abgerückt, Sanitärräume nur im Rahmen anderer Bauarbeiten an Schulen anzugehen. „Das zeigt: Wenn man sich hineinhängt, kann man auch Erfolg haben“, sagt Frädrich. Das ist der hohe Wert der Demokratie.
Jugendliche als Wahlhelfer
Der Jugendstadtrat ist nicht das einzige Instrument, mit dem Frädrich Kinder und Jugendliche an die Politik heranführt. Zum Tag der Demokratie am 15. September werden Schulklassen ins Rathaus eingeladen. Zur Europawahl in diesem Jahr wird es ein Wahllokal in einem Jugendhaus geben, in dem Jugendliche als Beisitzer die Stimmabgabe unterstützen. „Wir wollen damit auch die Angst davor nehmen, so ein Amt zu übernehmen“, erklärt Frädrich.
Und natürlich dazu motivieren, auch selbst wählen zu gehen. „Wenn man mal Wahlhelfer war, weiß man, dass vor allem Ältere zur Stimmabgabe kommen. Manche Kinder sind damit aufgewachsen, mit ihren Eltern wählen zu gehen. Für andere sind Wahlen ganz weit weg, zum Beispiel, weil sie zwar die deutsche Staatsbürgerschaft haben, ihre Eltern aber nicht.“ Im nächsten Jahr folgt dann die Bundestags- und Kommunalwahl. Für Frädrichs Fachgebiet ist letztere von größerer Bedeutung: „Mein Ziel ist es, an Grundschulen möglichst breitflächig eine Bürgermeisterwahl nachzustellen, ich denke, das liegt für die Kinder viel näher als die Bundespolitik.“
Und dann gibt es da auch noch den Zukunftsausschuss. Im Jahr 2023 hatte sich eine Gruppe Jugendlicher erfolgreich an dem Programm „Das Zukunftspaket“ des Bundesfamilienministeriums beteiligt und so 33.000 Euro zur Verwendung für eigene Jugendprojekte erhalten. Den kurzfristigen Streichungen im Bundeshaushalt 2024 fiel auch dieses Projekt zum Opfer.
Doch die Jugendlichen kämpften um ihr Budget, erstellten eine Powerpoint-Präsentation und forderten es stattdessen von der Stadt ein. In seiner jüngsten Sitzung hat der Stadtrat dem zugestimmt: Bis zu 40.000 Euro pro Jahr soll der Zukunftsausschuss zur eigenverantwortlichen Vergabe erhalten, unter der Auflage, dass vorher ein Reglement über die Entscheidungsfindung vorgelegt wird. Frädrich fasst die Reaktion der Jugendlichen so zusammen: „Das ist cool, dass einmal nicht die Erwachsenen entscheiden.“