Tattoos statt schwarzem Anzug, Wohnung statt Pfarrhaus – wie die evangelische Kirche sich in Leverkseun neu aufstellt. Und mit wem.
KirchenkreisWas es in Leverkusen heute bedeutet, Pfarrerin zu sein
Warum es gleich zu Beginn um das Ende geht? Vielleicht, „weil wir auf Beerdigungen noch die Leute erreichen“, sagt Judith Manderla. Die 31-Jährige ist Pfarrerin in Opladen. Dort wird gerade wegen eines krankheitsbedingten Ausfalls die Arbeit auf weniger Schultern verteilt. Was auch typisch ist für die Arbeit einer jungen Pfarrerin, eines jungen Pfarrers.
Was heißt es, in einer Zeit, in der viel mehr Menschen auch die evangelische Kirche verlassen als neu hinzukommen, Seelsorge zu betreiben? Judith Manderla, ihre Bergisch Neukirchener Kollegin Charlotte Fischer und Malte Würzbach, der eine Monheimer Gemeinde betreut, geben am Dienstag sehr freimütig Auskunft. Würzbach ist mit 33 Jahren der älteste des Trios.
Dass er auch der einzige Mann in der Runde ist, sagt auch etwas aus über den Wandel: Unter den jungen evangelischen Seelsorgern haben Frauen die Mehrheit. Was einerseits ein Ausweg ist aus dem latenten Personalmangel, den es auch in diesem Beruf gibt. Andererseits muss auch die evangelische Kirche haushalten mit ihren Mitteln. Umstrukturieren, um möglichst viel von dem anzubieten, was die Mitglieder der Gemeinden gewohnt sind und verlangen.
Ohne Team-Arbeit geht es gar nicht mehr
In Judith Manderlas Tagesablauf zeigt sich das am deutlichsten, weil der Opladener Sprengel groß ist und dort der Team-Gedanke – und die daraus folgende Arbeitsteilung – am weitesten fortgeschritten. Zum Team gehören nicht nur andere Pfarrerinnen und Pfarrer. Sondern alle, die in der Gemeinde tätig sind. Delegieren – auch das müsse man lernen, denn „wir können nicht mehr alles abdecken“, räumt Manderla ein. Ein Beispiel: Als sich die „Bielert-Singers“ gründen wollten, habe sie dieses schöne Projekt an Kantor Michael Porr weitergeleitet. Und es läuft.
Was damit auch gesagt ist: „Wir gehen auf Augenhöhe miteinander um“, sagt Manderla. Der Pfarrer oder die Pfarrerin an der Spitze der Gemeinde-Pyramide – das war einmal. Trotzdem sei der Gedanke vor allem bei älteren Kirchgängern durchaus noch da, haben vor allem Fischer und Würzbach beobachtet: In Bergisch Neukirchen, wo die 28-Jährige neben Pfarrer Gernold Sommer Vikarin ist, sei hier und da noch zu spüren, welche Autorität der Kirchenmann genießt.
Und dass es durchaus Trennungsschmerz gebe, wenn ein solcher Mann nach Jahrzehnten in Rente geht. Dazu eine Anekdote: Eine ältere Frau habe zu Sommer gesagt: „Da muss ich ja etwas früher sterben, damit Sie mich noch beerdigen können.“ Klingt skurril, auch in Charlotte Fischers Ohren. Zeigt aber die natürliche Autorität des „Dorfpfarrers“ in seiner Gemeinde.
Der Geistliche mit Tattoos – daran muss man sich gewöhnen
Und dass er im Schaufenster steht. Neulich sei er sonntags in Shorts und T-Shirt in Monheim unterwegs gewesen, erinnert sich Malte Würzbach. Sodass man sein Tattoo sehen konnte. Da habe ihm ein Passant gesagt, dass sein Vorgänger sonntags im schwarzen Anzug durch Monheim spaziert sei. Der Pfarrer als ganz normaler Mensch? Würzbach findet gerade das wichtig: „Ich kann Werbeträger sein“, sagt er. Vor allem, indem er sich nicht überhöhe.
Würzbach wohnt auch im angrenzenden Pfarrhaus, findet das gut. Aber auch das ist nicht mehr die Regel. Eine Residenzpflicht gebe es nicht mehr überall. Allein, weil viele Gemeinden sich unter dem Druck stetig sinkender Einnahmen nicht nur von Kirchen trennen. Viel weniger beachtet wird der viel häufiger Verkauf von Pfarrhäusern. Was die Verbindung zwischen der Kirche und ihrem obersten Repräsentanten im Ort loser werden lässt.
Fischer und Manderla sehnen sich nicht nach einem Pfarrhaus. Die Opladener Pfarrerin findet es eher gut, einen privaten Rückzugsort zu haben. Die Vikarin aus Bergisch Neukirchen zieht es ebenfalls nicht sehr in ein kirchliches Domizil. Auch aus einem anderen Grund: Sie stellt sich nicht vor, vier Jahrzehnte auf einer Pfarrstelle zu bleiben. „Das wird auch gar nicht mehr empfohlen.“ Der Gedanke dahinter: Die Verwurzelung in einer Gemeinde ist nicht mehr das allein selig machende Ding.
Der Gottesdienst ist immer noch das wichtigste
Wichtiger ist ihr, im Moment viel zu bewirken. Und da stehe bei allen schönen, Gemeinschaft stiftenden kirchlichen Taten, der Gottesdienst schon noch an erster Stelle. In der Predigt könne sie ein wichtiges Wort aus dem Römerbrief wahr werden lassen: „Ich schäme mich des Evangeliums nicht.“
Wohingegen Malte Würzbach sich schon öfter gefragt hat, ob er wirklich sagen soll, dass er von Beruf Pfarrer ist. Letztlich habe er sich dann aber doch immer dazu bekannt. Auch wenn der Wanderurlaub daraufhin längere seelsorgerische Phasen bekommen habe.
Die Predigt im Gottesdienst ist aber auch für ihn eine Essenz des Berufs. Was auch für Judith Manderla gilt. Man müsse aber flexibel bleiben: Eine Taufe mit drei Familien aus einem eher kirchenfernen Milieu sollte man nicht mit einem Maximum an Theologie überfrachten. Auch wenn für alle drei gilt: Sie sind Profi-Theologen.
Wozu dennoch und unbedingt gehört, sich im Beerdigungsgespräch mit den Angehörigen in die Person des Verstorbenen hineinzuversetzen, um in der Aufbahrungshalle keine Belanglosigkeiten von sich zu geben. Oder, wie Malte Würzbach sagt: „Jeder Mensch verdient die weltbeste Beerdigung.“
Bis 2030 wird sich die Zahl der Pfarrstellen im Kirchenkreis Leverkusen, verglichen mit 2006, halbiert haben: In den Gemeinden Leverkusens, Leichlingens, Burscheids, Langenfelds und Monheims sollen in sieben Jahren noch 17 Pfarrerinnen und Pfarrer arbeiten. 2006 waren es noch 33. Das geschieht durch „natürliche Fluktuation“: Wer in den Ruhestand ging und geht, wurde und wird nicht ersetzt.
Hintergrund ist die erheblich gesunkene Zahl an Mitgliedern in der evangelischen Kirche. Allein zwischen 2016 und 2022 ging ihre Zahl nur in Leverkusen um 15,5 Prozent auf 27.697 Personen zurück. (tk)