Kirchenvertreter sind sich sicher, dass ihre Institutionen trotz Mitgliederverlusten eine wichtige Rolle in Leverkusen spielen.
Grafiken zu Mitgliedern, Schulen und KitasSo viel Kirche steckt in Leverkusen
Immer mehr Menschen treten aus der katholischen und evangelischen Kirche aus. Doch wie viel Kirche steckt eigentlich in Leverkusen? Und welche Auswirkungen hat der Mitgliederschwund auf Stadt und Gesellschaft? Eine Analyse.
Wie viele Kirchenmitglieder leben in Leverkusen?
Die Kirchen, damit sind hier die katholische und evangelische Kirche gemeint, verzeichnen seit Jahren einen Rückgang der Mitgliederzahlen. Während 2016 noch 93.134 Leverkusenerinnen und Leverkusener offizielles Mitglied in einer Gemeinde waren, waren es 2022 nur noch 80.951 (-13 Prozent). Das Erzbistum Köln verzeichnete in dem Zeitraum im Leverkusener Stadtgebiet einen Rückgang von 11,8 Prozent, der evangelische Kirchenkreis Leverkusen einen Rückgang von 15,5 Prozent.
Für Superintendent Bernd-Ekkehart Scholten ist der Mitgliederschwund eine Herausforderung. Als ehemaliger Pfarrer weiß er: „Das sind keine Kurven, keine Zahlen, sondern Geschichten, Gesichter und Menschen, die ich teilweise kenne.“
Alles zum Thema Erzbistum Köln
- Neue Klage gegen Erzbistum Als angehende Messdienerin missbraucht – Kölnerin fordert hohe Geldsumme
- Gestiegene Baukosten Erzbistum Köln stellt Wohnbaupläne in Bad Honnef vorerst zurück
- Zehn-Jahr-Feier in Siegburg Erzbistum investiert 63,8 Millionen Euro in die Integration
- Weitere Photovoltaikanlagen geplant Erzbistum Köln nimmt Solaranlage auf Erzbischöflichem Haus in Betrieb
- Kindesmissbrauch Erzbistum bestätigt – Straße in Waldbröl trägt noch Namen eines Täters
- Jubiläum Stommeln feierte den 50. Geburtstag der Öffentlichen Bücherei
- Stadtpatronenfest Katholische Kirche huldigt zwölf Tage lang Kölns Schutzpatronen
Wo wohnen die meisten Kirchenmitglieder?
In den bevölkerungsreichsten Stadtteilen Schlebusch (14.069) und Opladen (11.473) lebten 2022 die meisten Kirchenmitglieder. Die einwohnerschwächeren Stadtteile Alkenrath (1898) und Manfort (2552) verzeichnen auch die wenigsten Mitglieder. Die Gemeindebezirke entsprechen nicht immer den Stadtteilgrenzen. So zählt die evangelische Kirche zum Beispiel auch Mitglieder der Kirchengemeinde Monheim zu Hitdorf hinzu.
Welche Stadtteile verzeichnen den größten Mitgliederschwund?
Die Stadtteile sind in der Grafik sortiert nach der Menge der Kirchenmitglieder. Die Prozentzahl gibt den Verlust der Mitgliederzahlen zwischen 2016 und 2022 an. Der Pfeilbeginn liegt auf der Höhe der Mitgliederzahl im Jahr 2016, die Pfeilspitze zeigt den Wert von 2022. Also: Je länger der Pfeil, desto mehr tatsächliche Mitglieder haben die Stadtteile verloren.
Die Kirchen haben in jedem Leverkusener Stadtteil mindestens elf (Schlebusch, Opladen), in manchen sogar mehr als 16 Prozent (Küppersteg, Manfort) ihrer Mitglieder verloren. Und das in einem Zeitraum von sechs Jahren. Fälle wie Umzug und Umgemeindung sind hier nicht berücksichtigt.
Warum sinken die Mitgliederzahlen?
Ein Grund für den Rückgang an Mitgliederzahlen ist die Demografie. Heutzutage ist in Deutschland jede zweite Person älter als 45 und jede fünfte Person älter als 66 Jahre. Verstorbene Mitglieder werden immer seltener durch jüngere Menschen ersetzt, weil diese Gesellschaftsgruppe an sich klein ist.
Ein weiterer Grund sind die viel zitierten Kirchenaustritte, die keineswegs mit der geringen Zahl an Eintritten vergleichen lässt. Während die Eintritte seit 2016 im mittleren bis oberen zweistelligen Bereich schwanken, stieg die Zahl der Austritte im vergangenen Jahr auf 2050.
Warum treten Menschen aus den Kirchen aus?
Warum treten immer mehr Menschen aus den Kirchen aus? Für den katholischen Stadtdechanten Heinz-Peter Teller liegen die Gründe auf der Hand: „Ich kann das nicht repräsentativ sagen, aber die Austritte haben mit den Missbrauchsfällen und dem Umgang damit zu tun. Das bringt die Leute zurecht auf die Palme.“
Aktuell beschäftigt die Leverkusener Katholiken ein Fall aus Opladen. Das Erzbistum hatte kürzlich einen Aufruf nach möglichen unbekannten Missbrauchsüberlebenden des Priesters Edmund Dillinger gestartet, der von 1972 bis 1979 an der Marienschule als Religionslehrer tätig war. Direkte Reaktionen darauf hat Teller noch keine erhalten. Auch die evangelische Kirche setzt sich aktuell mit sexuellem Missbrauch an ihrem Jugendinternat in Moers auseinander.
In der Kirche seien solche Fälle „doppelt schlimm“, so Teller, weil sie den Vertrauensvorschuss der Menschen brechen: „Wenn man immer so heilig tut, dann wird man auch daran gemessen.“ Er ist von den Austritten bestürzt. Doch er merkt an, dass die Kirchenaustritte nicht zu seinen Erfahrungen in Leverkusen passen: „In der täglichen Arbeit läuft es weiterhin gut. Ich hoffe, dass das so bleibt.“
Welche Einrichtungen finanzieren die Kirchen?
Doch welche Arbeit verrichten die Kirchen in Leverkusen genau? Dazu zählen Kitas, Jugendzentren, Schulen, Altenheime sowie Schlafstellen für Wohnungs- und Obdachlose. Diese werden entweder von den Kirchen direkt getragen oder sie sind Einrichtungen der kirchlichen Wohlfahrtsverbände Caritas und Diakonie.
Stadtdechant Teller ordnet die Rolle der katholischen Kirche im Stadtbild Leverkusens ein: „Leverkusen ist im Erzbistum Köln die Stadt, in der proportional zur Größe die meisten sozialen Einrichtungen in kirchlicher Hand sind.“
In Leverkusen befinden sich 89 Kindertagesstätten. 18 davon liegen in der Trägerschaft des Erzbistums, vier weitere gehören der Caritas an. Der evangelische Kirchenkreis betreibt neun Kitas in Leverkusen.
Die katholische und die evangelische Kirche reagierte 2015 bzw. 2017 auf den Mitgliederschwund und Fachkräftemangel. Seitdem haben die Kirchen die meisten ihrer Stellen in sozialen Einrichtungen für Nichtchristen geöffnet. So müssen beispielsweise Kita-Leiter lediglich die Werte des kirchlichen Trägers beachten und bewahren.
Jugendzentren bieten Freizeitmöglichkeiten für junge Menschen im Alter von 6 bis 27 Jahren an. Neben kreativen und kulturellen Angeboten bieten die Kirchen auch Informationen, Beratung und Hilfestellungen an. Die evangelische Kirche ist mit sieben Einrichtungen der größte Träger von Jugendzentren in Leverkusen. Das Erzbistum und die Stadt betreiben jeweils sieben Einrichtungen.
Das Erzbistum Köln ist Träger von insgesamt 33 Schulen. Nur eine Schule in Leverkusen, das Privatgymnasium Marienschule in Opladen, wird von der katholischen Kirche finanziell getragen. Neun andere Schulen (acht Grund-, eine Hauptschule) haben lediglich einen kirchlichen Namen, wie die Grundschule St. Stephanus in Hitdorf. Der evangelische Kirchenkreis Leverkusen ist an keiner Schule direkt beteiligt.
Wie viel Kirche steckt in Leverkusen?
Die Kirchen stellen also durch ihre Einrichtungen physische Angebote für Leverkusener bereit. Doch nicht jeder Beitrag lässt sich in Zahlen erfassen. Die Kirchen tragen auch immateriell zur Gesellschaft bei, so Superintendent Scholten: „Wir agieren freiheitlich und dialogisch als ein Player in der demokratischen Zivilgesellschaft.“
Kirchen bieten auch ein Netzwerk, auf das die Gesellschaft zurückgreifen kann. Beim Ausbruch der Coronapandemie hatte die Kirche nicht nur engagierte, hilfsbereite Mitglieder, erklärt Scholten: „Wir wussten auch, welche Haushalte hilfsbedürftig waren. Wir waren Ansprechpartner der Stadt für die Region.“
Die Kirchen tragen auch zum sozialen Zusammenhalt bei, ist sich der katholische Stadtdechant Teller sicher. Dass die Flüchtlingsfrage in Leverkusen nicht wie andernorts hochgekocht ist, liege auch an der Arbeit der Caritas, ist sich der Stadtdechant sicher: „In aller Bescheidenheit tragen wir dazu bei, dass Leverkusen als menschenfreundliche Stadt anerkannt wird.“
Muss sich Kirche wandeln?
Die Kirchen bestehen also nicht nur aus ihren Mitgliedern und sozialen Einrichtungen. Kirche ist auch Zivilgesellschaft. Die beiden führenden Kirchenvertreter können nicht sagen, wie sich ein andauernder Mitgliederschwund auf die Zivilgesellschaft auswirken würde. Sie richten ihren Blick stattdessen auf sich selbst. Teller: „Es wird mit der Zeit schwieriger, Mitarbeiter zu finden. Denn die leitenden Mitarbeiter müssen einen Bezug zur Kirche haben.“ An dem müsse die Kirche auch zukünftig festhalten, so Teller: „Ein Parteivorsitzender muss sich schließlich auch mit der Partei identifizieren, die er vertritt. Das heißt nicht, dass man unkritisch sein muss.“
Scholten geht von einem Wandel aus: „Es wird sich in der Zivilgesellschaft etwas ändern. Auch die Kirche wird sich strukturell ändern müssen. Denn zu viele Aufgaben für zu wenige Menschen, das wird irgendwann schwer.“