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Reporter begleitet Konvoi700 Kilometer hinter Leverkusen künden fünf Wörter vom Krieg

Lesezeit 8 Minuten
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Die Strecke: 2200 Kilometer. Die Ladung: Hilfsgüter. Der Auftrag: „We support Ukraine“ – „Wir unterstützen die Ukraine“.

  1. Unser Reporter Frank Weiffen hat einen Leverkusener Hilfstransport von Maltesern und Avea nach Polen begleitet.
  2. Auf der Reise hat er mutmaßliche Waffentransporte beobachtet, mit einer weinenden Helferin gesprochen und Menschen getroffen, die ukrainischen Kindern helfen, zur Ruhe zu kommen.

Leverkusen – Der Krieg begegnet einem zum ersten Mal 700 Kilometer hinter Leverkusen. Andere fahren diese Strecke in den Urlaub und sehen dann das Meer oder die Berge. Eva Pflieger und Johannes Esser dagegen sehen einen Kleintransporter, der sie auf der Autobahn vor Breslau in Polen überholt und auf dessen Heckscheibe in großen Lettern geklebt steht: „Don’t shoot! Children on board!“ Nicht schießen! Kinder an Bord!

Es ist klar: Dieser Sprinter ist mit Höchstgeschwindigkeit unterwegs gen Osten. In die Ukraine. In den Krieg. Menschen, vor allem junge und kleine, rausholen. Vor 15 Stunden sind Eva und Johannes im Auftrag der Malteser in Leverkusen losgefahren. Und am Dienstagabend um 22:38 Uhr auf der A 4 in Polen zeigen ihnen zwei Sätze und fünf Wörter auf einer Heckscheibe noch einmal warum.

„We support Ukraine“

Die beiden 24-Jährigen begleiten einen Hilfstransport. Einen 40-Tonner der Avea mit riesigem „We Support Ukraine“-Aufkleber auf dem Hänger, der Stunden zuvor bei einem kurzen Zwischenstopp in einem Dortmunder Lager mit 32 Paletten Verbandsmaterial beladen wurde. Gefahren wird das Ungetüm bei maximal 80 Kilometern pro Stunde im Wechsel von Andreas Prinz (51) und Martin Behrend (50). Und Eva und Johannes müssen dafür sorgen, dass alles – der LKW, die Ladung und natürlich die „beiden Jungs“, wie sie vom ersten Augenblick an liebevoll sagen – sicher im polnischen Kattowitz ankommt.

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Vier Helfende für die gute Sache: Martin Behrend, Eva Pflieger, Johannes Esser und Andreas Prinz (von links).

Dort befindet sich auf dem Gelände eines Logistikzentrums so groß wie halb Wiesdorf das Lager der ukrainischen Malteser und der Malteser International. Die Ware wird abgeladen. Umgeladen. Und dann bringen ukrainische Fahrer sie über die Grenze in jene Städte, in denen seit Wochen durch russische Raketen und Munition Menschen verwundet und getötet werden: Kiew etwa. Oder Lwiw.

Festivals und Flut

Bislang, sagt Eva, habe sie in drei Jahren bei den Maltesern vor allem viele alltägliche Einsätze gehabt. Als Rettungssanitäterin bei Musikfestivals oder beim Karneval in Leverkusen zum Beispiel. Da kippten alkoholisierte Jugendliche vor ihr um. Als am 14. Juli 2021 die Flut durch Leverkusen schwappte, half sie dann mit bei der Evakuierung der Intensivstation des Schlebuscher Klinikums. Das war schon ernster. Aber das hier? Das ist nun endgültig „nochmal etwas anderes.“

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Bei einer nächtlichen Besprechung auf einem Rastplatz in Polen füllt Eva Pflieger Maut-Dokumente aus.

Und zwar nicht nur die erste richtig lange Tour für die Medizinstudentin aus Köln – rund 1200 Kilometer hin und 1200 Kilometer zurück. Europäischer Transit. Sondern auch eine, die „etwas macht“ mit ihr: „ein mulmiges Gefühl“ nämlich. Es geht zwar nicht direkt ins Kriegsgebiet. Aber: Es geht definitiv auf einen Krieg zu. Auf einen Krieg, der plötzlich im Nachbarland wütet. Polen – Ukraine: Das ist wie Deutschland und die Niederlande. Das ist nah. Verdammt nah.

„Das ist nichts im Vergleich“

Und auch Johannes sagt: „Natürlich habe ich Sorge und Angst.“ Aber er sagt auch: „Das, was wir empfinden, ist doch nichts im Vergleich zu dem, was die Menschen erleben müssen, die jetzt fliehen!“ Johannes studiert medizinische Physik. Und zwar leidenschaftlich gerne, wenn man ihm so zuhört. Aber ebenso leidenschaftlich gerne engagieren er und Eva sich eben auch ehrenamtlich. „Mein Wunsch war und ist, in Situationen wie diesen mehr zu tun. Mich einzubringen“, sagt er. Deshalb sitzt Johannes jetzt hier und fährt durch Polen. Und deshalb sitzt Eva neben ihm.

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Und deshalb erleben sie nun, wie der Krieg plötzlich gefühlt im Minutentakt immer wieder aufblitzt. 23:20 Uhr: Sechs Sprinter mit temporären Kennzeichen aus Ulm und der Aufschrift „Wert- und Sicherheitstransporte“ fahren in Kolonne und Eile vorbei. Wer ein wenig recherchiert, der weiß: Exakt auf diese Weise – nachts, schnell, in Kleintransportern– werden derzeit deutsche Waffen und Munition in die Ukraine geliefert. 23:32 Uhr: Wohnmobile und kleine Busse mit ukrainischen Flaggen in den Fenstern fahren vorbei – jetzt noch leer. Am nächsten Tag wohl gefüllt mit Flüchtenden. Und nach Mitternacht, hinter Breslau, sind auf Infotafeln über der Autobahn alle paar Kilometer Notrufnummern für „Ukrainian Citizens“ zu lesen.

Pause nach 16 Stunden Fahrt

Nach 16 Stunden Fahrt lenken Andreas und Martin ihren LKW rechts ran. „Geht nicht mehr. Wir sind müde“, sagt Andreas, der die ganze Sache mit dem Transport überhaupt erst ins Rollen gebracht hatte. „Ich bin zum Chef gegangen und habe gesagt: Ich möchte etwas tun. Wie wäre es mit einer solchen Fahrt?“ Der Chef antwortete: „Herr Prinz, fahren Sie!“ Andreas holte Martin dazu, der auch keine Sekunde überlegte, denn: „Machen ist besser als jammern!“

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Andreina Mendoza (in gelber Weste rechts) und ihr Team kümmern sic h am Bahnhof Kattowitz um geflüchtete Kinder und deren Mütter.

Und dann nahm das alles seinen Lauf: Die Avea, deren Fahrer sonst vor allem Müll transportieren, stellte den LKW. Die Organisation „Apotheker ohne Grenzen“ besorgte das Verbandsmaterial. Und die Malteser Leverkusen, deren Mitglieder allein in den vergangenen zwei Jahren ob der Pandemie, der Flut und der Explosion bei Currenta gefühlt stetig am Start waren, übernahmen die Planung und Begleitung des Konvois.

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Anastasia Boichuk von den Maltesern International/Maltesern Ukraine ist mit Tochter und Ehemann aus ihre ukrainischen Heimat Iwano-Frankiwsk geflohen und organisiert nun - unter anderem mit Alexander Shyska - von Kattowitz aus die Hilfstransporte aus Polen in die Ukraine. Sie nahm die Hilfsgüter der Malteser, Avea und der „Apotheker ohne Grenzen“ aus Leverkusen in Empfang und leitet sie weiter.

„Unsere Leute sind hinsichtlich möglicher Gefahren geschult und können entsprechend reagieren“, hatte Oliver Hinrichs als Stadtbeauftragter der Malteser in Leverkusen bei der Einsatzbesprechung einen Tag zuvor gesagt. Und Bezirksgeschäftsführer Tim Feister hatte da noch einmal die Wichtigkeit dieser Tour betont: „Sie ist ein Testlauf, um Erfahrung zu sammeln.“ Das Ziel: „Wir wollen eine langfristige Hilfsbrücke gen Ukraine einrichten.“

Bahnhof Kattowitz

Während der LKW auf dem Rastplatz steht, übernachten Eva und Johannes in einem Hotel in Kattowitz. Es liegt in der Nähe des Bahnhofs, der für viele in Zügen aus der Ukraine Geflüchtete die erste Station außerhalb der Heimat ist. Neben einer Zeltstadt vor der Eingangshalle steht hier Barbara Bezkorowayna-Niemiec. Die 67-jährige Polin kümmert sich um die Ankommenden, die meist nur einen kleinen Koffer oder eine Sporttasche mitgenommen haben in ihre ungewisse Zukunft.

Und Barbara weint, wenn sie von Müttern und Kindern erzählt, die halb verrückt vor Hunger und traumatisiert vor Angst nicht wissen, wohin mit sich. Natürlich engagiert sie sich freiwillig. „Das ist mir ein Bedürfnis“, sagt sie in gebrochenem Englisch und drückt einem feste die Hand beim Abschied. „Alles Gute für Sie und passen Sie auf sich auf.“

Ruhe für die Kinder

Im Innern des Bahnhofs betreuen Andreina Mendoza (37), Magdalena (40) und Angelina (33) Frauen und Kinder in einem großen Raum, in dem früher – vor dem Krieg – Fahrkarten verkauft wurden. Jetzt stehen hier Kisten und Kartons mit Windeln, Spielzeug, Plüschtieren und die drei wissen manchmal gar nicht, um welche der zu ihnen kommenden Menschen sie sich zuerst kümmern sollen.

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Barbara Bezkorowayna-Niemiec (67) hilft als Freiwillige ukrainischen Geflüchteten an der Hilfsstelle direkt vor dem Eingang zum Bahnhof Kattowitz.

Was Andreina indes weiß: „Bei uns können vor allem die Kinder einmal zur Ruhe kommen.“ Das sei das Wichtigste. Denn denen merke man die ganze verfluchte Tragik der Geschehnisse am meisten an. Das Credo der aus Venezuela stammenden Spanischlehrerin ist eines, das hier viele für sich reklamieren, die in gelben Helferwesten rund um den Bahnhof unterwegs sind: „Wir müssen Solidarität zeigen.“

Erst geflüchtet, nun im Helfseinsatz

Von Solidarität leben nicht zuletzt ja auch Menschen wie Anastasia Boichuk, die das Leverkusener Konvoi-Team am Mittwochmorgen trifft. Sie ist Ukrainerin, packte sich nach dem Überfall durch Putins Schergen Mann und Tochter und verließ ihre Heimatstadt Iwano-Frankiwsk im Südwesten der Ukraine, um nach Polen zu fliehen.

Die 30-Jährige ist Mitglied der Malteser International und organisiert nun vom Logistiklager in Kattowitz aus täglich mehrere Transporte zu den Kolleginnen und Kollegen in den Kriegsgebieten. „Wir befinden uns in ständigem Kontakt mit ihnen und wissen dadurch genau, was wo gebraucht wird“, sagt sie.

Draußen steht bei 20 Grad die Sonne am blauen Himmel. Drinnen im Büro steht Anastasia - und zwar unter Strom: Pausenlos klingelt ihr Telefon. Und in einer Tour füllt sie Transportdokumente aus und tippt Mails und Reporte in ihren Laptop. „Die Situation in der Ukraine ändert sich quasi minütlich“, sagt sie – und betont zweierlei. Erstens: „Wir brauchen noch mehr Leute, die uns helfen.“ Zweitens: „Wir werden diesen Krieg gegen Putin gewinnen. Das ist nur eine Frage der Zeit.“ Aus jeder Faser ihres schmächtigen aber nimmermüde in Aktion befindlichen Körpers, aus jeder Geste sprechen bei Anastasia Überzeugung, Trotz und Wille.

Irgendwie gewonnen

Und apropos „gewinnen“: Gewonnen haben am Ende, um 0:30 Uhr am frühen Donnerstagmorgen, irgendwie auch Eva und Johannes, als sie wieder zurück sind in Leverkusen. Auf der Heimfahrt haben sie auf der Autobahn noch zig andere Hilfskonvois gesehen. Manche fuhren raus aus Polen. Manche rein ins Land. Manche hatten deutsche oder spanische Kennzeichen. Manche kamen aus Wales, Frankreich oder Belgien. Manche waren zivil. Manche vom Militär. Der Krieg ist derzeit immer greifbar. Und er ist längst ein europäischer Krieg, dessen Klauen eben nur immer dicker werden, je weiter es gen Osten geht.

Für die beiden Malteser ist jedenfalls jeder einzelne Abschnitt, jede Minute dieser Fahrt eindrücklich und intensiv gewesen. Beide sind aufgekratzt. Stress hin, zweieinhalbtausend Kilometer in 48 Stunden über die Bahn her. Für Eva ist klar: Sie wird das nochmal tun. Johannes schwört: „Ich wäre wieder dabei!“

Und auch die beiden LKW-Fahrer, „die Jungs“, die erst 34 Stunden später wieder ankommen, weil für die Rückfahrt keine Fahrt in Kolonne vorgesehen war und sie es etwas ruhiger angehen ließen, sagen das. Andreas drückt es so aus: „Da müssen wir keine Sekunde überlegen.“ Soll heißen: Der Krieg ist da. Aber die Zweifel sind weg.