- Die Omikron-Welle scheint ihren Scheitelpunkt erreicht zu haben. Auch aus der Politik kommen Zeichen der Entwarnung. Bis zum 20. März werden fast alles Schutzmaßnahmen zurückgenommen.
- Prof. Stefan Reuter ist Direktor der Medizinischen Klinik 4 im Klinikum Leverkusen, zu der auch die Infektiologie gehört.
- Im Interview schildert er die Lage im Klinikum Leverkusen und blickt skeptisch auf den Karneval. Er prognostiziert, dass Corona auch im nächsten Winter ein Problem für die Kliniken werden kann.
Köln – Die Bund-Länder-Konferenz hat weitreichende Lockerungen beschlossen. Bis zum 20. März werden fast alle Schutzmaßnahmen zurückgenommen. Wie bewerten Sie den Entschluss?Prof. Stefan Reuter: Wir werden ab dem Frühling hoffentlich das gleiche beobachten, was wir auch letzten Sommer gesehen haben, nämlich, dass die Fallzahlen durch die wärmeren Temperaturen sinken. Deshalb sind die Öffnungsschritte nachvollziehbar. Allerdings macht uns nach wie vor die große Gruppe der Ungeimpften sorgen. Auch wenn die Omikron-Variante im Durchschnitt deutlich milder verläuft, ist diese große Gruppe an Ungeimpften nach wie vor in Gefahr, schwere Verläufe zu erleben und im Krankenhaus zu landen.
Wie unterscheidet sich die Omikron-Welle von den Wellen davor?
Insbesondere die Delta-Variante war eine andere Art von Erkrankung. Wir hatten ein aggressiveres Virus und gleichzeitig war das Immunsystem nicht so gut vorbereitet wie jetzt. Deswegen hat uns Delta massiv auf der Intensivstation beschäftigt. Die Patienten landen während der Omikron-Welle nun fast ausschließlich auf der Normalstation. Für uns als Klinikum ist die Belastung dadurch aber nicht weniger groß geworden.
Eine Befürchtung war auch, dass sich die Personallage in den Krankenhäusern durch die Vielzahl der Infektionen verschärft, weil sich auch viele Ärztinnen und Pfleger anstecken und dadurch der Betrieb der Krankenhäuser in Gefahr gerät. Wie ist das Leverkusener Klinikum diesbezüglich bisher durch die Omikron-Welle gekommen?
Wegen der hohen Inzidenzen testen wir unser Personal und die Patienten viel häufiger, auch die Zugangsbeschränkungen sind deutlich strenger geworden. Gefühlt ist dadurch alles aufwendiger geworden, weil das Testen und die Kontrollen Personal bindet. Aber weil wir die Maßnahmen sehr ernst nehmen, konnten wir die Lage bisher sehr gut bewältigen.
Nun steht der Karneval vor der Tür. Auch in Leverkusen wird mithilfe der Brauchtumszonen zumindest der Straßenkarneval ermöglicht. Wie blicken Sie darauf?
Sehr zwiegespalten. Als Arzt bin ich sehr skeptisch und denke, dass die Fallzahlen nochmal steigen werden. Momentan sinkt die Inzidenz, aber der Karneval könnte zum Superspreader-Event werden und uns zurückwerfen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Am 15.3. soll die die Impfpflicht für Pflege- und Krankenhauspersonal kommen. Wie bewerten Sie diese Maßnahme?
Bisher war allein schon die Ankündigung der Impfpflicht für viele in der Belegschaft ein Grund, sich noch impfen zu lassen. Es bleibt zu hoffen, dass sich auch die wenigen verbliebenen ungeimpften Mitarbeiter noch dazu entscheiden, denn wir wollen unsere Mitarbeiter nicht verlieren. Aus medizinischer Sicht kann ich die Entscheidung für die Impfpflicht nachvollziehen. Auf der anderen Seite stehen die gesellschaftlichen Verwerfungen. Gerade bei der Diskussion um die generelle Impfpflicht sind die Fronten verhärtet. Die große Herausforderung ist die Frage, wie eine Impfpflicht durchzusetzen ist, ohne dass wir als Gesellschaft daran zerbrechen.
Viele hoffen, dass sich die Corona-Lage über die Sommermonate hinweg wieder entspannt. Doch wie entwickelt sich die Pandemie langfristig weiter? Rechnen Sie damit, dass im Winter wieder eine große Welle auf die Kliniken zurollt?
Ja, ich rechne auch mit weiteren Wellen. Einfach deswegen, weil wir von der Immunität her weit hinterherhinken und das Virus sehr schlau ist. Das kann man gut an Omikron beobachten: die Variante hat es geschafft, genau die Immunitätslücke zu finden, die dafür sorgt, dass selbst Geimpfte sich im großen Maß infizieren können. Deswegen muss man damit rechnen, dass die nächste Variante wieder eine Lücke finden wird. Es wäre zu optimistisch zu sagen, dass uns da keine Gefahr mehr droht. Deswegen auch mein dringender Appell an alle, die gefährdet sind oder jetzt noch zögern: Lassen Sie sich Impfen!