Ein Leverkusener Arzt stellte im Frühjahr 2022 Impfgegnern falsche Atteste aus. Nun stehen seine Patientinnen und Patienten vor Gericht.
Leverkusener Mammut-ProzessFalsche Atteste gegen Corona-Impfung: Mehrere Hundert Fälle vor Gericht
Über 60 Zuschauende versammelten sich am Mittwoch in Saal 5 des Amtsgerichts Leverkusen. Die Publikumsplätze reichten bei Weitem nicht aus, vielen standen, teilweise saßen sie auf dem Boden. Das hatte selbst Richter Dietmar Adam selten erlebt. Der Grund für das rege Kommen: Der Prozess eines Leichlinger Heilpraktikers, eingebettet in einen Marathon-Gerichtstag in Opladen.
Neben dem Heilpraktiker standen an diesem Vormittag sechs weitere Angeklagte vor Gericht, denen die Staatsanwaltschaft die Anstiftung zur Ausstellung von unrichtigen Gesundheitszeugnissen vorwarf. Sie alle sollen während der Coronapandemie einen Opladener Allgemeinmediziner aufgesucht haben, der ihnen gegen Vorlage der Gesundheitskarte und ohne weitere Untersuchung ein ärztliches Attest – so zumindest der Titel des ausgestellten Schreibens – mit der Bescheinigung einer Impfunverträglichkeit ausstellte. 20 Euro, meist bar, bezahlten die Patienten pro Dokument. Auch für Nicht-Anwesende soll der Arzt die Bescheinigungen ausgestellt haben.
Über 60 Zuschauende verfolgten die Verhandlung
Neben den Angeklagten pilgerten Hunderte weitere Impfskeptikerinnen und -skeptiker im Frühjahr 2022 in die Praxis. Täglich bildeten sich Schlangen in der Nähe der Opladener Fußgängerzone, das Treppenhaus stand voll. Arbeit im Akkord betrieb der Arzt in seinem Vorzimmer, nur wenige Minuten dauerte der Akt, das geht aus Videoaufnahmen hervor.
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Am 3. Februar bereitete die Polizei dem „kriminell und gewinnorientierten“ Handeln, so drückte sich der Richter aus, ein Ende und stürmte die Praxis. Der Arzt habe in großem Stil gegen das Gesetz verstoßen. In Paragraf 278 wird das „Ausstellen falscher Gesundheitszeugnisse“ unter Strafe gestellt.
Doch am Mittwoch ging es weniger um die Straftat des damals 52-Jährigen, sondern vielmehr um seine Patientinnen und Patienten, darunter der Heilpraktiker. Mit dem Erwerb des Attestes eine Straftat begangen zu haben, wollte sich der Leichlinger jedoch nicht eingestehen. So argumentierte auch sein Anwalt: Zum einen handele es sich bei dem als Attest ausgestellten Dokument lediglich um eine Empfehlung, sie hätte vor Behörden jedoch keine Wirkung gehabt. Der Begriff der Impfunverträglichkeit tauche dort nicht auf. Zum anderen könne das tatsächliche Anstiften zu der Tat nicht nachgewiesen werde.
Sowohl die Staatsanwaltschaft, als auch das Gericht sahen das anders. In dem Attest stehen ihnen zufolge eben nicht nur um vage Formulierungen. Zwei Textstellen suggerieren, dass eine Unverträglichkeit nach einer Untersuchung festgestellt wurde. Denn unter anderem heißt es: „Der Patient befindet sich in ambulanter ärztlicher Mitbehandlung“ und der Impfstoff „sollte nicht verwendet werden“.
Filmaufnahmen aus der Praxis des Arztes und Chatverläufe zeigen den Akt des Anstiftens und des vorsätzlichen Handelns. Bei Telegram warb der Heilpraktiker nicht nur für die Praktiken des Arztes, auch half er bei der Suche nach medizinischen Helfenden und ehrenamtlichem Personal, beispielsweise Sicherheitsleuten, um den Ansturm in der Praxis zu bewältigen.
Weder die Erklärungen des Angeklagten, noch das Plädoyer seines Anwalts halfen, um Staatsanwaltschaft und Richter von seiner Unschuld zu überzeugen. Verurteilt wurde er zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 60 Euro. „Jeder, der auf den Zug mit aufgesprungen ist, hat Fehler begangen“, sagte Richter Adam, beachtete beim verhältnismäßig milden Strafmaß jedoch auch die Umstände der Corona-Pandemie, die damals vielen zusetzten.
Das Publikum, darunter viele Impfgegnerinnen und -gegner, so schien es, zeigten sich trotzdem erzürnt über die Entscheidung und ließen ihrem Unmut freien Lauf: „Unfassbar“, „das soll Rechtsprechung sein“, „alles Meinung, keine Beweise“.
Deutlich ruhiger ging es in den weiteren sechs Verhandlungen zu, an denen auch die Mehrheit der Zuschauenden kein Interesse mehr zeigte. In vier Fällen einigten sich Richter, Staatsanwaltschaft und beschuldigte Partei darauf, das Verfahren gegen einen Geldbetrag zwischen 300 und 500 Euro zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung einzustellen. Die Einstellung von Strafverfahren gegen Geldauflage ist ein gängiges Mittel, um Fälle kleinerer Kriminalität schnell zu erledigen.
Eine Angeklagte wurde zudem aus Mangel an Beweisen freigesprochen: zwar tauchten ihre Daten in den sichergestellten Dokumenten der Arztpraxis auf, allerdings konnte sie glaubhaft zeigen, dass sie nie in der Praxis, noch im Besitz des Attestes gewesen sei. Womöglich wurde sich wahllos ihrer Daten bedient.
Nach fünf Stunden, um kurz vor 14 Uhr, schloss der Richter die letzte Verhandlung. An den Auftakt-Prozesstag werden sich viele weitere Sammelverhandlungen anschließen. Mehrere Hundert Fälle der gleichen Anklage liegen der Staatsanwaltschaft noch auf dem Tisch. Auch der mutmaßlich hauptverantwortliche Arzt wartet noch auf seinen Prozess.