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Impfatteste in LeverkusenAls der Arzt die Tür nicht öffnet, tritt die Polizei sie ein

Lesezeit 6 Minuten
Praxis Leverkusen Impfattest

Am 3. Februar stürmt die Polizei eine Arztpraxis in Leverkusen-Opladen. Der Verdacht: Der Arzt stellte massenhaft falsche Impfatteste aus.

Leverkusen – Am 3. Februar herrscht Aufruhr vor einer Arztpraxis in Leverkusen-Opladen. Die Polizei steht vor der Tür, hat einen Durchsuchungsbefehl. Es besteht der dringende Verdacht, dass der ansässige Arzt massenhaft unbegründete Atteste ausgestellt hat, dass Patientinnen und Patienten nicht geimpft werden dürfen. Ein Reporter des „Kölner Stadt-Anzeiger“ wird Augenzeuge der Razzia. Es liegen zahlreiche Hinweise vor, dass die Arztpraxis über die Stadtgrenzen Leverkusens hinaus bei Impfgegnern für Impfunfähigkeitsbescheinigungen bekannt ist. Der Arzt selbst hat auf telefonische und schriftliche Anfragen bisher nicht reagiert.

Die Staatsanwaltschaft Köln teilt auf Anfrage mit, es bestehe der Anfangsverdacht einer Straftat nach Paragraf 278 des Strafgesetzbuches – Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse. Der Arzt soll verschiedenen Patienten – ohne diese zuvor auf ihren konkreten Gesundheitszustand untersucht zu haben – jeweils ein Attest zum Gebrauch bei Behörden ausgestellt haben, „in welchen den Patienten bescheinigt wird, aus nicht näher spezifizierten medizinischen Gründen keine Covid-19-Impfung erhalten zu können“, so Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer.

Leverkusen: Polizisten treten Tür ein

Ein Mitarbeiter des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ist am Donnerstag vor Ort, als die Polizei die Räume der Arztpraxis stürmt. Der beschuldigte Arzt hat sich verbarrikadiert, als Zivilpolizisten und Beamte in Uniform an der Arztpraxis eintreffen. In seinen Räumen befindet sich noch eine Patientin mit ihrem Hund. Zu diesem Zeitpunkt ist das Treppenhaus noch mit Personen gefüllt, die laut eigener Aussage für impfunfähig erklärt werden möchten. Viele stehen auch auf der Straße vor der Praxis.

Als der Arzt sich minutenlang weigert, die Tür zu öffnen, entscheiden die Polizisten, die Praxis zu stürmen. Sie treten die Tür ein, es kommt zu Geschrei. Es ist zu vernehmen, wie sich der beschuldigte Mediziner auf das Infektionsschutzgesetz beruft und darauf beharrt, dass alles seine Richtigkeit habe. Die Durchsuchung dauert mehrere Stunden und zieht sich bis in den Abend.

Deutliche Hinweise aus Telegram-Gruppe

Die Hinweise auf mögliche Vergehen des Arztes sind zahlreich. Fragt man zum Beispiel in einer Telegram-Gruppe, in der sich Impfgegner versammelt haben, nach einem Arzt, der einem ein Impfattest ohne viele Fragen ausstellen könnte, bekommt man eine klare Antwort: Der Opladener Mediziner stelle solche Bescheinigungen aus.

Praxis Leverkusen Razzia

Die Polizei durchsucht eine Arztpraxis nahe der Opladener Fußgängerzone.

Ebenso auffällig: Seit Tagen hatte massenhafter Andrang vor der Praxis geherrscht, mit stark zunehmender Tendenz, und sofern sie auf war. Am Montag waren viele bereits in den frühen Morgenstunden vergeblich vor die Praxis gepilgert, am Mittwoch ebenso. Am Montag, so hieß es tags drauf, habe der Arzt seinen Geburtstag gefeiert. Am Mittwoch kündete ein Aushang von massiven EDV-Problemen. Was für weitere Unruhe sorgte.

Schlange Arztpraxis Impfattest

Die ganze Woche schon – hier am Donnerstag – sammelten sich ab dem frühen Morgen Massen vor der Arztpraxis.

Reichlich zwei Stunden in der Patientenschlange, die sich am Dienstag, zwei Tage vor der Razzia, vor der Praxis um zwei Straßenecken zog, offenbarten: Die Angst geht um. Man befürchtete schon, dass die Praxis bald geschlossen wird. Eine Frau aus Lützenkirchen gibt sich informiert, erinnert an die Kölner Ärztin Stefanie L., der vor zwei Monaten die Approbation entzogen wurde. Unter anderem, weil sie in ihrer Ehrenfelder Praxis gegen die Maskenpflicht verstoßen, Maskengegnern ungültige Atteste ausgestellt und gegenüber der Polizei geleugnet hatte, dass es überhaupt eine Corona-Pandemie gibt. Gerade erst hat die Ärztin ihre Approbation zurückerhalten.

Schicksal von Kölner Ärztin

Das Schicksal der Kölner Ärztin ist für die Frau aus Lützenkirchen ein Zeichen für den Druck, der auf Leute wie sie ausgeübt werde, die sich nicht impfen lassen wollen. Diesen Pressionen will sie sich durch ein ärztliches Attest am liebsten endgültig entziehen. Dazu soll der Besuch beim Arzt dienen. 20 Euro, und Ruhe ist. Soweit die herrschende Meinung.

Aber es geht und geht nicht voran in der Schlange, was auch abenteuerlichste Berichte von Leuten, die vorne stehen, glaubhaft macht: Seit 5.30 Uhr, wird erzählt, harrten sie vor der Praxis aus – die um 8 Uhr geöffnet hat. Die Leidensfähigkeit erscheint enorm für ein Papier, dessen Wert von anderen Ärzten stark in Zweifel gezogen wird: Jens-Harder Boje, der viele Jahre die Leverkusener Kreisstelle der Ärztekammer Nordrhein leitete, ist da sicher: „So ein Attest ist völlig wertlos.“ Wer glaube, sich mit einer Bescheinigung des Kollegen aus Opladen von einer Impfpflicht befreien zu können, kenne die Regeln nicht: Medizinische Hindernisse für eine Impfung würden geprüft; massenhaft ausgestellte Atteste eines Arztes erregten Misstrauen und würden dem Gesundheitsamt vorgelegt.

Ärztekammer kennt Bescheinigungen

Das sei mit Attesten dieser Praxis geschehen, so Ariane Czerwon, Sprecherin im Rathaus. Eine Prüfung habe gezeigt, dass sie „nicht den rechtlichen und fachlichen Anforderungen an ein ärztliches Zeugnis zur Befreiung von der einrichtungsbezogenen Impfpflicht genügen. Die entsprechenden Personen wurden darüber informiert, dass diese Atteste nicht verwertbar sind.“ Warum nicht? Auf den Bescheinigungen, die von einer Impfung befreien sollen, seien keinerlei Kontraindikationen vermerkt.

Auch bei der Ärztekammer Nordrhein sind die Opladener Bescheinigungen aufgefallen. Dort lägen Beschwerden über den Arzt vor, „die wir zurzeit berufsrechtlich prüfen“ sagt Sprecherin Jocelyne Naujoks: Die Ärztekammer Nordrhein habe den Mediziner dazu im ersten Schritt um eine Stellungnahme gebeten. Die Praktiken sind auch der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein bekannt, sagt deren Sprecher Thomas Petersdorff auf Anfrage: „Der Fall wird derzeit noch geprüft.“

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In der Warteschlange, die sich am Dienstag kurz nach Mittag allmählich auflöst, nachdem es von weiter vorne geheißen hat, der Arzt wolle nur noch das volle Treppenhaus abarbeiten und sich am Nachmittag seinen Stamm-Patienten widmen, die nicht ohne Termin aufgekreuzt sind, weiß man nichts von der Meinung etablierter Ärzte, der klaren Ansage des Gesundheitsamts und den Aktivitäten der Standesvertretung. Dort gibt die Frau aus Lützenkirchen nach und nach ihr Wissen aus einschlägigen Telegram-Kanälen zum besten. Aber das zündet nicht recht.

Das liegt auch an ihrer Nachbarin. Der beschuldigte Arzt ist ihr Hausarzt, die dunkel gelockte Frau braucht nur eine ganz normale Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und ist ein bisschen erschlagen von dem sagenhaften Andrang. Als die Lützenkirchenerin neben ihr die Sache mit der digitalen Überwachung vorbringt, die mit der Impfung ins Werk gesetzt werden soll, sagt sie: „Naja, mit unseren Handys verraten wir doch auch schon fast alles.“

Die Stimmung ist schon vor der Razzia angespannt

Am Donnerstag um 6.30 Uhr, dem Morgen der Durchsuchung, reicht die Schlange über den gesamten Bürgersteig bis um die Straßenecke. „Ungeimpfte sind solidarisch“, versucht ein Heilpraktiker für Psychotherapie und Hypnose andere Impfgegner zu belehren, die immer wieder versuchen, sich vorzudrängeln. Für die Leute vor Ort ist das System das große Feindbild, sie glauben, etwas begriffen zu haben, womit sie den Geimpften überlegen sind. Von den „Systemlingen“, die bei der „Plandemie“ der Regierung mitmachen, seien sie enttäuscht. Erstaunlich viele behaupten, im Gesundheitssektor zu arbeiten. Immer wieder wird der Holocaust verharmlost, wenn krude Vergleiche zum Impfen gezogen werden.

Die Stimmung ist angespannt. Viele sind schon mehrere Tage in Folge erfolglos angereist – teilweise von weit weg, Essen, Nürnberg und Wiesbaden, berichten sie. Sie wollen mit Hilfe der Impfunfähigkeitsbescheinigung wieder „frei“ sein. So nehmen sie es wahr – und warten deshalb acht Stunden und länger. Einige verlieren die Geduld, drängeln. Es kommt zu körperlichen Auseinandersetzungen, als die, die schon am längsten warten, kurzerhand beschließen, den Einlass zu regeln.

Rund 50 Personen drängen zwischenzeitlich in das Treppenhaus, um zur Praxis zu gelangen. Der beschuldigte Arzt bemerkt dies und weigert sich fortzufahren, bis die Menschen sich wieder vor dem Haus versammeln. Daraufhin kehrt wieder Ruhe ein. Statt wie an anderen Tagen nur bis 12.30 Uhr die Praxis geöffnet zu halten, entschließt sich der Arzt am Mittag, alle Anwesenden einzulassen. Gegen 15.50 Uhr trifft die Polizei ein und bereitet dem Treiben entschlossen ein Ende. Manche, die hier seit dem frühen Morgen anstehen, haben noch immer kein Attest erhalten.