Felix Lachmann vom Remigius-Krankenhaus über geschlechtersensible Medizin, ausgetrocknete Senioren und den Umgang mit ungeduldigen Patienten.
Leiter der Opladener Notaufnahme„Geboren und gestorben wird immer noch analog“

Felix Lachmann, Leiter der Notaufnahme im Remigius-Krankenhaus in Opladen
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Die letzten Wochen haben schon einen Vorgeschmack auf den Sommer gegeben. Durch den Klimawandel werden die in Zukunft immer heißer. Wer leidet am meisten unter den hohen Temperaturen?
Dr. Felix Lachmann: In der Regel ältere Leute, 80 plus. Als Kind kriegt man das Trinken aberzogen, damit man nicht in die Hose macht, die Älteren haben es verlernt. Sie haben aufgrund des Alters auch weniger Kompensationsmechanismen, dann fängt der Teufelskreis an. Am Ende kommen sie zu uns mit Symptomen, die auch auf einen Schlaganfall hindeuten könnten.
Was genau sind die Symptome, wenn man zu wenig getrunken hat?
Neben Bewusstseinstrübung gibt es einen Kommunikationsverlust, die Menschen machen die Augen nicht mehr auf, haben stehende Hautfalten und eine sehr trockene Zunge. Man untersucht die Patienten und gibt ihnen Flüssigkeit und das ist wirklich erstaunlich: Sie wachen dann auf und fangen an zu reden. Und damit ist klar: kein Schlaganfall.
Sind in den vergangenen Jahren mehr Leute mit einer Dehydrierung oder Exsikkose, wie die Austrocknung medizinisch heißt, zu Ihnen gekommen?
Ja, es werden mehr, teilweise kommen sie sogar aus den Heimen. Man könnte viele Ambulanzvorstellungen vermeiden.
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Knapp 25.000 Patienten versorgt die Notaufnahme nach eigenen Angaben pro Jahr - aus der ganzen Umgebung.
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Die Krankenhausreform in NRW ist Anfang April in Kraft getreten, schon bald kommt eine neue Regierung. Im Gesundheitssektor tut sich gerade viel. Was bedeutet das für Ihre Notaufnahme?
Die Lage ist schwierig: Es ist ein dauernder Spagat zwischen dem, was sinnvoll ist, und dem, was irgendwie finanziell machbar ist. Ich erhoffe mir von der Politik eine stärkere Unterstützung und ich erwarte, dass wir uns in unserem reichen Land eine bessere Gesundheitsversorgung leisten. Wo ist die Vorsorge des Staates? Alles wird abgebaut. Der Mensch ist zu teuer und am Ende stehen wir da und haben nichts mehr, das ist meine Sorge. Überspitzt gesagt: Wir regeln uns zu Tode, wir versuchen alles zu optimieren und den Personalmangel dadurch aufzufangen, dass man alles durchstrukturiert - das funktioniert aber nur bis zu einem gewissen Grad. Man braucht irgendwie immer noch den Menschen und es wird immer noch analog geboren und gestorben.
Beim Weltfrauentag Anfang März richtet sich die Aufmerksamkeit immer auf Geschlechterunterschiede. Gerade bei einer Erkrankung, mit der Sie in der Notaufnahme oft in Berührung kommen, gibt es große Unterschiede bei den Symptomen: dem Herzinfarkt. Was genau unterscheidet dessen Symptome bei Frauen zu denen bei Männern?
Wir reden gern von typisch oder nicht typisch. Es ist tatsächlich so, dass Frauen weniger typische Symptome haben. Dass sie also weniger Schmerzen im linken Brustkorb haben, durchaus auch mal rechts oder im Bauch oder gar keine. Auch Übelkeit, Unwohlsein, Müdigkeit kommen vor. Es sind unspezifischere Symptome und eben nicht die typischen wie beim Mann, die landläufig bekannt sind.
Typisch heißt dann aber schon: Das, was man zuerst bei Männern beobachtet hat? Hier wäre die Referenz der Mann.
Ja, so könnte man das sehen.
Gibt es weitere Beispiele für Krankheiten, die sich bei beiden Geschlechtern unterschiedlich äußern?
Frauen reagieren allgemein schmerzsensibler, was manchmal als wehleidig abgetan wird. Das wird ihnen aber hormonell so vermittelt. Frauen haben nicht andere Erkrankungen, sondern neigen in der Statistik gehäufter zu bestimmten Formen von Erkrankungen wie Autoimmunerkrankungen, teilweise reagieren sie auch anders auf Therapien.
Kommen mehr Männer oder Frauen mit einem Infarkt zu Ihnen in die Notaufnahme?
Männer sehen wir häufiger. Frauen sind älter, wenn sie kommen. Der jüngere Mann ist auch häufiger als die jüngere Frau, sie ist selten.
Könnte es daran liegen, dass der Herzinfarkt bei Frauen von Angehörigen oder im Pflegeheim nicht schnell genug erkannt wird?
Das erlebe ich so nicht. Was ich sehe ist, dass ältere Menschen eine andere Einstellung zu ihrem Körper haben.
Welche?
Das Körperempfinden hat sich total geändert. Wir erleben, dass junge Menschen irgendetwas googeln und in die Notaufnahme kommen, weil sie seit einer Woche Fieber haben. Sie waren nicht beim Hausarzt, haben eigentlich gar nichts im Vorfeld unternommen. Das sind die Leute, wo die Oma früher gesagt hätte: Junge, leg dich ins Bett. Dieses Korrektiv fehlt mittlerweile. Vielleicht ist das auch ein Zeichen unserer Gesellschaft, die immer mehr zerfällt, singularisiert. Alte Leute sind durchaus härter im Nehmen, möchten sich nicht so in den Mittelpunkt stellen. Wir erleben, dass junge Leute - um es mal zu karikieren – wegen des akut verbogenen Nasenhaares Samstagabend in die Notaufnahme kommen, aber die Seniorin oder der Senior zwar seit mehreren Tagen Beschwerden haben, aber erst am Montag kommen, weil sie keine Umstände machen wollen.
Die Leute die in die Notaufnahme kommen, stehen oftmals unter Stress. Wie geht Ihr Team damit um?
Die Arbeitsbedingungen sind häufig schwierig, die Stimmung bei uns im Team ist trotzdem sehr gut. (schmunzelt) Ja, die Patienten werden ungeduldiger, es kommen ja auch immer mehr Leute. Wir verzeichnen einen Patientenzuwachs von fünf bis zehn Prozent, Jahr für Jahr. Es schließen die Krankenhäuser in der Umgebung, in Langenfeld macht die Notaufnahme zu, wir versorgen im Grunde eine Bevölkerungszahl von 250.000 Menschen aus dem Umkreis. Das nördliche Leverkusen, hinzu kommen Teile des Rettungskreises Mettmann und des Rheinisch-Bergischen Kreises. Von Burscheid und Leichlingen aus gesehen, sind wir das nächste Krankenhaus. Und von diesen 250.000 Einwohnern kommen 25.000 zu uns in die Notaufnahme. Die Menschen kommen auch häufiger mit Lappalien. Diese Leute müssen dann entsprechend lange warten, denn wir behandeln nach dem Manchester Triage-System, einem System, um einzuschätzen, wie schwer die Erkrankung ist und damit auch, wie schnell ein Arzt da sein muss. Wenn nun jemand, um beim überspitzten Beispiel von vorhin zu bleiben, mit einem verbogenen Nasenhaar kommt, der wird auch nach zwei Stunden immer wieder „überholt“ von Leuten, die kränker sind. Er wird natürlich ungeduldig. Es kommen auch Menschen mit dem Rettungswagen, weil sie glaubten, sie würden dadurch schneller behandelt. Das stimmt so nicht. Wenn beispielsweise eine Reanimation läuft, dann steht alles still. Man kämpft und das dauert 20, 30 bis 60 Minuten und alles andere wird hinten angestellt. In einer Notaufnahme ist das ganze Spektrum der medizinischen Versorgung da: Das ist eine Herausforderung und durchaus mal stressig. Und wenn man aus einer Reanimation kommt und psychisch angefasst ist, man im nächsten Raum professionell weiterarbeiten muss und die Ungeduld seines Gegenübers „downtalken“ muss, weil er sich wegen der längeren Wartezeit benachteiligt fühlt, das macht man dann mit sich ab.

Das Remigius-Krankenhaus in Opladen
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Was müsste sich ändern?
Die Ressourcen wachsen nicht in dem Maß wie die Patientenzahlen. Manche Patienten sind sehr verständnisvoll, aber man merkt schon, dass viele Leute auch auf sich bedacht sind, und ja, die Menschen werden aggressiver. Wir schaffen es aber in der Regel immer wieder, dass wir die Leute eingefangen kriegen und abholen. Wir sind kommunikationsgeschult, fast alle haben ein Deeskalationstraining durchlaufen. Diese Schulungen könnten häufiger durchgeführt werden, finde ich. In allen Situationen cool zu bleiben, sollte immer wieder trainiert werden.
Müsste besser erklärt werden, wie eine Notaufnahme funktioniert?
Wir erklären schon so viel. Jeden fragen wir: Waren Sie beim Hausarzt? Die Antworten fallen ganz unterschiedlich aus. Ja, nein, ich hatte keine Zeit oder keine Lust, ich habe keinen Hausarzt, ich bin neu hinzugezogen, manche kommen aus Ländern, die das Hausarztsystem nicht kennen, es ist so vielgestaltig, es gibt gar nicht mehr die Gesellschaft, die man adressieren kann.
Internist und Kardiologe
Der 60-jährige Dr. Felix Lachmann ist seit zehn Jahren der Leiter der Notfallambulanz/Zentralen Aufnahmeeinheit. Lachmann ist Internist und Kardiologe und arbeitet seit 2007 im Remigius-Krankenhaus in Opladen. Sein Team besteht aus knapp 20 Pflegekräften und vier Assistenzärzten, die internistisch und (unfall-)chirurgisch tätig sind. (aga)