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Leverkusenerin wog 195 Kilo„Ich war in meinem Körper gefangen“

Lesezeit 4 Minuten

ZMAC-Leiterin Angelika Alfes (l) bespricht mit ihrer Patientin Nicole Jeromin Behandlungsmöglichkeiten.

  1. Als ihre Waage 195 Kilo anzeigte, beschloss Nicole Jeromin, ihr Leben zu ändern. Das war im vergangenen Sommer.
  2. Hilfe beim Abnehmen bekam sie vom Leverkusener Klinikum. Mittlerweile hat sie ihr Gewicht deutlich reduziert. Hier erzählt sie ihre Geschichte.
  3. Aber auch Experten kommen zu Wort, die es für eine „Sauerei” halten, dass für die Finanzierung von Operationen Übergewichtiger immer noch „gebettelt” werden muss.

Leverkusen – Nicole Jeromin war mit fünf Jahren zum ersten Mal zum Abnehmen in einer Kur. Doch nach dem Aufenthalt im Schwarzwald wurden ihre Gewichtsprobleme nicht besser, sondern über die Jahre sei es immer schlimmer geworden, erzählt sie.

Im vergangenen Sommer erkannte sie, dass es Zeit war, zu handeln. 195 Kilo hat sie da gewogen. „Ich war in meinem Körper gefangen und habe mir Dinge versagt, die ich eigentlich sehr gerne mache“, erzählt die gelernte Krankenschwester. Immer wieder habe sie gedacht, dass sie das Problem alleine in den Griff bekäme und musste sich schließlich eingestehen, dass sie Hilfe braucht. „Ich hatte irgendwie das Gefühl, versagt zu haben“. Dann hat sie sich an das Zentrums für Metabolische Adipositas-Chirurgie (ZMAC) im Klinikum gewandt. Im Januar ist bei Jeromin eine Schlauchmagen-OP durchgeführt worden. Seitdem hat sie 54 Kilogramm abgenommen. Ein Erfolg, auf den sie stolz ist.

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Etwa 1,3 Millionen Erwachsene in Deutschland sind von Adipositas Grad III betroffen, davon etwa 2700 in Leverkusen. Dass es sich bei Adipositas nicht bloß um Übergewicht handelt, sondern um eine Krankheit, die auch schwere psychische und körperliche Folgen mitbringt, werde häufig außer Acht gelassen, findet Dr. Angelika Alfes, Leiterin des ZMAC. Die Ursachen für Adipositas sind komplex. Die Folgen der Erkrankungen sind vielseitig und reichen von Depression bis Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Zum dritten Mal wurde das ZMAC von der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) als Kompetenzzentrum ausgezeichnet.

Hundert Operationen

Etwa hundert Operationen werden im Adipositaszentrum im Jahr durchgeführt, die meisten davon Schlauchmagen-Operationen oder Magenbypässe. „Der chirurgische Teil nimmt in der Gesamtbehandlung nur fünf Prozent ein. Man muss schauen, wo die Ursachen liegen“, erklärt Alfes. Daher seien auch Verhaltenstrainings, Ernährungsberatungen, Sport oder Psychotherapien erforderlich, die die Patienten auf die Operation vorbereiten und auch in der Nachsorge weiter verfolgt werden.

Die Thematik werde häufig nicht als Krankheit gesehen, sondern als das Verschulden des Einzelnen, beklagt Alfes. „Es ist eine Sauerei, dass für die Finanzierung von Operationen für Adipositaserkrankte immer noch gebettelt werden muss“, findet auch Heinz Johannes Buhr, der als Vorstandsmitglied der DGAV für die Zertifikatsverleihung von Berlin nach Leverkusen gekommen ist. Oft würden sich die Kassen weigern die Operationen zu übernehmen. Die Kosten der Folgen werden von der Solidargemeinschaft der Krankenkassen getragen und sind letztendlich teurer als eine Magenverkleinerung. „Bei einer Person, die auf Grund ihrer Nikotinsucht eine Herz-OP braucht, würde niemand auf die Idee kommen die Operation zu verwehren“, sagt Alfes.

Heinz Johannes Buhr übergibt das Zertifikat an Andreas Weiß, Iris Klein und Nico Schäfer vom Klinikum.

Einen BMI von 73 habe der schwerste Patient des Adipositaszentrum gehabt. Zum Vergleich: Eine normalgewichtige Person bewegt sich in einem Rahmen zwischen 18,5 und 25. Häufig haben die Betroffenen, die ins Adipositaszentrum kommen einen BMI von 50 oder höher, 73 sei jedoch eher eine Ausnahme gewesen. Neben körperlichen Begleiterkrankungen bringen Adipositas und Übergewicht zudem schwere soziale und psychische Probleme wie Depressionen mit sich.

Nicole Jeromin ist froh darüber, dass sie von Depressionen verschont geblieben ist. Sie spricht offen über ihre Krankheit und mit welchen Problemen sie im Alltag zu kämpfen hatte. „Man muss sich als dicker Mensch ganz anders beweisen als schlanke Menschen. Wenn man nicht offen damit umgeht, werden wir weiterhin ein gesellschaftliches Problem haben“, findet sie. Hilfreich sei für Jeromin vor allem der Austausch mit anderen Betroffenen in der Selbsthilfegruppe des Klinikums gewesen. „Viele erhalten dort Unterstützung und gewinnen an bisschen an Selbstwertgefühl zurück. Es zeigt, dass die Betroffenen nicht alleine sind“, sagt Alfes.

Das Gegenteil ist der Fall: Zahlen der Deutschen Adipositas Gesellschaft sprechen von einer Verdopplung der Betroffenen von extremer Adipositas im Zeitraum 1999 bis 2013. Der Bedarf sei groß, sagt Prokurist des Klinikums Andreas Weiß. Eine Erweiterung des Teams des ZMAC sei jedoch nicht geplant.

Jeden dritten Mittwoch im Monat findet im Klinikum eine Info-Veranstaltung zu Übergewicht und Adipositas statt. Die Selbsthilfegruppe trifft sich zweimal monatlich.

www.klinikum-lev.de/adipositaszentrum.aspx