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Tochter klagt Leverkusener Schule anGymnasium sieht nach Mordversuch kein Versäumnis

Lesezeit 3 Minuten
FvS

Das Freiherr-vom-Stein-Gymnasium in Schlebusch.

Leverkusen – Ein verhaltensauffälliger Schüler, der immer weniger zum Unterricht erscheint, und dann einige Monate später einen brutalen Messerangriff auf die Mutter einer ehemaligen Mitschülerin begeht: Am Mittwoch hat die Tochter der schwer verletzten 58-Jährigen aus der Waldsiedlung dem Freiherr-vom-Stein-Gymnasium Vorwürfe gemacht.

„Schule hat sich einen Fehler geleistet“

Die 18-jährige Tochter, die der 19-jährige Angeklagte zu seiner Traumfrau scheinbar auserkoren und sich in Flucht- und Zukunftspläne mit ihr hineingesteigert hatte, sagte aus, dass der Angeklagte im Winter-Lockdown immer weniger an den Homeschooling-Stunden teilgenommen habe und auch davor schon im Unterricht ein auffälliges Verhalten an den Tag gelegt haben soll. „Auch, wenn es ein Einzelfall war: Da wurde nicht nachgehakt. Die Schule hat sich einen Fehler geleistet“, betont die 18-Jährige.

Mordprozess Waldsiedlung

Der Angeklagte (links) vor dem Kölner Landgericht

Ein Versäumnis vonseiten der Schule sieht der Leiter des Gymnasiums, Andreas Röhrig, hingegen nicht: So eine Tat „war in keiner Weise absehbar“, sagt er dem „Leverkusener Anzeiger“. Er stellt klar, dass der Angeklagte in der Zeit nach dem ersten Lockdown 2020 sehr engagiert am (Präsenz-)Unterricht teilgenommen habe, er selber habe ihn im Unterricht gehabt – als "sehr intelligenten Schüler" beschreibt er ihn.

Als der zweite Lockdown vor Weihnachten 2020 kam, habe das „irgendetwas bei ihm ausgelöst", danach habe er sich relativ schnell abgemeldet. Anfang dieses Jahres sei er nicht mehr Schüler des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums gewesen. „Das hat uns alle überrascht“, räumt Röhrig ein. Aber da der Angeklagte volljährig war, durfte er das selbstverständlich entscheiden. Nachgehakt worden sei dennoch: „Es hat intensiven Kontakt zwischen den Beratungslehrern und ihm gegeben“, betont Andreas Röhrig. Als Grund für die Abmeldung habe der mittlerweile 19-Jährige damals angegeben, er sehe „keinen Sinn“ mehr darin.

In der Schule nicht thematisiert

In der Schülerschaft thematisiert wurde der Vorfall nicht. Der Schulleiter erklärt, es habe keine Fragen aus der Schülerschaft zu dem Thema gegeben. Man habe sich „intensiv um die Familie und die Schülerin gekümmert und sie sehr eng durch das Abitur begleitet“. Die Schule habe es „bewusst auf dieser Ebene belassen“, so Röhrig. „Unsere Sorge galt der betroffenen Schülerin, ihr haben wir die Hilfe angedeihen lassen, die sie benötigt“, sagt er.

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Die Abiturientin selbst macht nun eine Traumatherapie. Vor Gericht schilderte sie am Mittwoch, dass sie Probleme habe, ihren Alltag zu bewältigen, seitdem sie ihre damals lebensgefährlich verletzte Mutter nach 26 Messerstichen auf der Straße entdeckt hatte. „Das ist die schwerste Zeit in meinem Leben.“

Schlaftabletten und Albträume

Sie nehme Schlaftabletten, habe Albträume, hatte anfangs immer Angst, wenn sie Blaulicht gesehen habe. „Mir wurde unrechtmäßig mein Leben auf den Kopf gestellt“, formuliert sie selbstbewusst die Vorwürfe an den Angeklagten. „Mir wurden sechs Monate meines Lebens genommen“, aber: „Er hat nicht geschafft, mein Leben zu zerstören“.

Vor Gericht schilderte sie darüber hinaus, wie der Kontakt zum Angeklagten zustande kam. Es habe nur ein persönliches Gespräch gegeben, bei der er ihr seine Liebe gestand. „Das hatte ich nicht erwartet“, räumte die 18-Jährige ein. Von ihrer Seite aus „war gar nichts“. Das habe sie ihm aber nicht direkt gesagt, erklärte sie.

Angst vor der Reaktion

Dass er ihr seine Gefühle persönlich gestand, habe sie „bemerkenswert“ gefunden, sie habe seine Gefühle nicht verletzen wollen, habe aber auch Angst vor seinem „Aggressionspotenzial“ gehabt. Nach dem Treffen hätten die beiden weiter über Whatsapp geschrieben, teils auch Gemeinsamkeiten entdeckt, der Kontakt sei „ganz nett“ gewesen.

Ob es sich denn nicht angeboten habe, Klartext im Bezug auf die Gefühle zu reden, fragte die Vorsitzende Richterin am Landgericht. Ja, sagte die 18-Jährige, begründet das Ausbleiben aber mit Angst vor seiner Reaktion – der Angeklagte galt als impulsiv und rechtsradikal. So ließ sie den Kontakt langsam auslaufen und antwortete irgendwann nicht mehr.