Nach der Chemie-ExplosionExperte rät von Müll-Importen nach Leverkusen ab
Leverkusen – „Weil wir in der Chemie zuhause sind, ist uns kein Stoffgemisch zu extrem.“ Von dieser Maxime sollte sich Currenta lieber verabschieden.
Das rät Christian Jochum, Gutachter bei der Aufarbeitung der Explosion vom 27. Juli vorigen Jahres. Der Professor kann sich nämlich kaum vorstellen, dass sich der „extreme Prüfaufwand“ für exotischen Chemiemüll lohnt, der nach dem neuen Sicherheitsmanagement in Bürrig bei jeder Anlieferung erforderlich ist.
Störfall-Kommission des Bundes geleitet
Jochum, der viele Jahre die Störfall-Kommission beim Bundesumweltministerium leitete und jetzt dem „Begleitkreis“ vorsitzt, der das Unglück öffentlich aufarbeiten soll, verwies im Gespräch mit dem „Leverkusener Anzeiger“ darauf, dass der bisherige Umgang an den Bürriger Sondermüllöfen unter Sicherheitsaspekten schwierig sei. Die Tankanlage, von der voriges Jahr die Katastrophe ausging, könne zwar vielleicht in einer angepassten Gestalt wieder aufgebaut werden: „Das würde ich persönlich nicht ausschließen.“
Aber wenn dort Chemie-Abfälle gemischt würden oder Reste in den Tanks verblieben, sei das im Vergleich mit dem jetzigen, auf 31 Stoffe beschränkten Betrieb „eine ganz andere Hausnummer in der Sicherheitstechnik“, unterstrich der Mann, der sich seit gut vier Jahrzehnten mit dieser Matere befasst.
„Stresstest“ soll Sicherheit gewährleisten
Das vorläufige Anfahren der Anlage habe man wirklich gut vorbereitet. Die Liste mit den Abfällen, die aus den drei Chemparks und weiteren Bayer-Standorten angeliefert werden, „haben wir uns sehr kritisch angesehen und die Bedingungen noch einmal nachgeschärft“, betonte Jochum. Unter anderem durch tiefergehende externe Prüfungen.
Den gesamten Ablauf habe sein Team, zu dem mit Stephan Kurth auch der amtierende Vorsitzende der Störfall-Kommission gehört – heute heißt sie Kommission für Anlagensicherheit –, einem „Stresstest“ unterzogen. Wenn ein angelieferter Abfall nicht in allen Details korrekt deklariert sei, dürfe dieser Fehler „auf keinen Fall unbemerkt bleiben“.
„Das ist kein Nitroglyzerin“
Das war offenbar zuvor nicht gewährleistet. Sonst wäre es zu der Katastrophe nicht gekommen. Der Fehler sei aus seiner Sicht bei der Anlieferung des Abfalls passiert. Er stammt vom dänischen Agrochemie-Hersteller Agricultural Solutions. Die Currenta-Leute seien über die thermische Labilität der Substanz nicht im Bilde gewesen. Werde der Abfall richtig gelagert, sei er kein Problem. „Das ist kein Nitroglyzerin“, unterstrich der Chemiker. Dass man versucht habe, die permanente Selbsterhitzung des Stoffes dadurch einzufangen, dass man in den mit 14 Kubikmetern und damit zu 28 Prozent gefüllten Tank immer weiter Heizöl pumpte, sei an sich „ein probates Mittel“.
Eine Erkenntnis der Untersuchung sei, dass die einschlägigen Gesetze und Verordnungen zwar die Gefährlichkeit von Chemie-Abfällen für den Menschen in den Fokus nehmen. „Aber die Anlagensicherheit spielt kaum eine Rolle“, so Jochum. Das sei fraglos „ein blinder Fleck in der Gesetzgebung“. Darauf hätten sie als Experten hingewiesen.
Es bleibt noch sehr viel zu tun
Aus seiner Sicht wird es noch sehr lange dauern, Currentas Chemiemüll-Verbrennung komplett wieder in Gang zu bringen. Mehr Abfallsorten in Bürrig zuzulassen, „da steckt die Arbeit drin“. Wie lange die entsprechenden Untersuchungen noch dauern? „Ich kann's nicht sagen“, so der 79-Jährige. Er gehe davon aus, dass der „Begleitkreis“ noch das ganze nächste Jahr bestehen werde. Ungeachtet dessen „müssen wir uns beeilen“ – der Notstand bei der Entsorgung von Chemie-Abfällen sei offenkundig, wenn eine „sehr bedeutende“ Verbrennungsanlage wie die von Currenta lange ausfalle. Allerdings werde Eile nicht vor Sorgfalt gehen.
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Zunächst liegt aber ein anderes Thema auf dem Tisch, das weniger Probleme aufwerfen dürfte: Currenta will die Klärschlamm-Verbrennung wieder anfahren. Die Unterlagen lägen noch nicht vor, sagte Jochum. Er erwartet sie Anfang August. Wann dieser Teil des Bürriger Entsorgungszentrums wieder ans Netz gehen kann? Offen.