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„Heaven of Parasport“Darum zieht es die Leichtathletik-Elite nach Leverkusen

Lesezeit 5 Minuten
Beim Zieleinlauf streckt Johannes Floors den Finger in die Höhe.

Johannes Floors läuft vor heimischen Publikum in Leverkusen ins Ziel. Die Qualifikation für Paris hat er da bereits in der Tasche.

Das „Heimspiel“ auf der Fritz-Jacobi-Anlage zeigte, warum das Leverkusener Para-Team zur Weltspitze gehört – mit einem historisch starken Teilnehmerfeld und Programm für den Nachwuchs.

„Heimspiel“ in Leverkusen – wer da spontan an Fußball denkt, lag zumindest am vergangenen Samstagnachmittag daneben. Schließlich ist Sommerpause in der Bundesliga und im EM-Spielplan spielte die Bayarena keine Rolle. Dafür rückte ein anderes Leverkusener Stadion in den Fokus der nationalen und internationalen Sportelite.

Denn für die Para-Leichtathletinnen und Leichtathleten endete mit dem Wettkampf auf der Manforter Fritz-Jacobi-Anlage am Samstag, 6. Juli, der Zeitraum, um sich für die Paralympics in Paris zu qualifizieren. Historisch stark war deshalb das Teilnehmerfeld bei der 5. Auflage des „Heimspiels“, das zuvor als Integratives Sportfest in der Stadt, aber insbesondere in der Leichtathletik-Welt bekannt war. Längst habe das Event weltweite Anerkennung gefunden. „Nicht ohne Grund“, so TSV-Vorsitzender Klaus Beck, „meinte ein italienischer Starter im vergangenen Jahr ‚Leverkusen is Heaven of Parasport‘“.

Para-Leichtathletik-Heimspiel: Weltelite zu Gast in Leverkusen

Den Weg in diese himmlische Para-Leichtathletik-Hochburg fanden deshalb auch in diesem Jahr rund 150 Sportlerinnen und Sportler aus 16 Nationen, darunter Niederlande, Namibia und Japan. Gut vertreten waren aber insbesondere auch die Stars aus der Leverkusener Talentschmiede: Doppelweltmeister Léon Schäfer und Weltrekordhalter Markus Rehm (beide unter anderem Weitsprung) sowie Paralympics-Sieger Johannes Floors und Silbermedaillengewinnerin Irmgard Bensusan (beide Sprint) etwa. Für die Nationalmannschaft war die Teilnahme in den entsprechenden Startklassen verpflichtend. „Es ist das beste Feld, das wir je hatten. Das ist sensationell, wer zum Heimspiel kommt“, sagte Parasport-Geschäftsführer Jörg Frischmann.

Die Kids sehen hier ihre Vorbilder.
Jörg Frischmann, Geschäftsführer Parasport TSV Bayer 04 Leverkusen

Bevor die Athletinnen und Athleten sich aber auf die Jagd nach den Paralympicstickets machten, gehörte das Stadion dem Nachwuchs. Für Frischmann war das fast noch wichtiger, als der anschließende Wettkampf der erwachsenen Idole: „Das Thema Inklusion liegt uns echt am Herzen.“ 30 Kinder, mit und ohne Behinderung, testeten sich im Dreikampf aus: Ballwurf, Weitsprung und Sprint. Die Düsseldorfer Geschwister Carla (8) und Jan (12) nutzten den Zwischenstopp in Manfort auf dem Weg zu den Großeltern als Ferienauftakt. Der Wettkampf lief gut, erzählt Carla. „Besonders der Weitsprung.“ Und mit ihrem großen Bruder, der das erste Mal bei so einer Veranstaltung dabei war, sei es noch besser. „Da hat man immer wen an seiner Seite“, sagte sie.

Die Geschwister Jan und Carla auf der Tartanbahn des Manforter Stadions. Sie lächeln in die Kamera und recken die Faust in die Höhe.

Die Geschwister Jan und Carla traten im Vorprogramm des „Heimspiels“ beim Dreikampf an.

Geschwisterkinder, Schulkameradinnen und Freunde mit zum Training und Wettkampf bringen, daran orientiert sich auch das Nachwuchskonzept der Leverkusener Para-Sparte. „Um unsere Gruppen aufzubauen, sind alle Kinder willkommen“, sagte Frischmann. Die Einheiten Para-Kids und Para-Teens seien deshalb jeden Freitag offen für alle, trainiert werde in gemischten Gruppen. Anders als viele denken, halte der Verein nicht nur Angebote für Prothesenträgerinnen und -träger bereit, sondern decke die verschiedensten Handicaps ab – im Nachwuchs-, genauso wie im Spitzensportbereich.

Junge Frauenriege steht für Paralympics in den Startlöchern

Während der Fokus dort zwar lange Zeit auf den beinamputierten Sportlerinnen und Sportlern – mehr Zufall als Plan – lag, finde gerade eine kleine Transformation statt. Hinter Floors, Rehm und Schäfer rücke eine junge Frauenriege nach: die „Girlsgang“. Sie treten unter anderem in den Startklassen mit Beeinträchtigung der oberen Extremitäten an. „Die Kids sehen hier ihre Vorbilder“, so Frischmann, dem das „Heimspiel“ auch deshalb so wichtig ist.

Eine von ihnen ist Speerwerferin Lise Petersen. Bei den Paralympics 2021 in Tokio war die Starterin des TSV Bayer 04 mit 16 Jahren die jüngste Athletin im deutschen Team. Schon mit 14 wurde sie Junioren-Weltmeisterin. Im Anschluss wechselte die gebürtige Schleswig-Holsteinern nach Leverkusen, auch, weil sie hier die Betreuung fand, die in ihrer Heimat damals noch nicht gegeben war.

Lise Petersen wirft den Speer.

Trotz Heimvorteil: Auf die Qualifikationsweite für die Paralympics kam Lise Petersen im Manforter Stadion mit dem Speer nicht.

Wie Petersen entscheiden sich viele ambitionierte Sportlerinnen und Sportler für den Schritt an den Rhein. „Ohne den Verein, vor allem ohne Jörg Frischmann, wäre ich nie zur Leichtathletik gekommen“, sagte auch Sprint-Star Johannes Floors, aus dem in Leverkusen ein Weltrekordhalter wurde. Neben Förderung und Personal mache auch die Infrastruktur den Stützpunkt zu etwas Besonderem. Nicht nur die Physiotherapie, auch die Prothesenwerkstatt der Firma Lentes, die eng mit dem Verein kooperiert, ist auf dem Gelände zu Fuß zu erreichen. Auch beim „Heimspiel“ stehen die Orthopädietechniker bereit, falls mal etwas kaputtgehen sollte. Und auch der Trainerstab kann sich sehen lassen.

Paralympics-Normen: Wind sorgt in Leverkusen für Probleme

Für Petersen war es unter anderem Steffi Nerius, ehemalige Speer-Weltmeisterin, die damals den Ausschlag gab. Nerius stand auch beim Heimspiel neben der Abwurflinie, beobachtete jede Bewegung genau. „Komm, schön peppig in den Beinen“, rief sie der Hamburger Studentin beim fünften von sechs Versuchen zu. Doch so ganz klappte es an diesem Tag trotz Heimvorteil nicht. Bei 39,67 Meter hätte die Norm gelegen. Petersen schleuderte den Speer im besten Versuch auf 35,80 Meter. Früher in der Saison war sie schonmal näher dran. „Mit dem Gegenwind heute war das schon schwierig“, sagte Nerius. Die Enttäuschung stand ihrer Sportlerin danach ins Gesicht geschrieben. Eine kleine Chance für Paris bleibt dennoch. Acht Frauen können noch nachnominiert werden.

Für viele andere lief die Leverkusener Generalprobe dagegen perfekt. In familiärer Stimmung, mit Eltern, Freundinnen, Freunden und Leichtathletik-Fans unterstrichen die Leverkusener Dominatoren ihre Form. Léon Schäfer etwa unterbot seinen Deutschen Rekord über 100 Meter um ein Hundertstel auf 12,02 Sekunden. Jule Roß machte mit Bestzeiten auf 100 und 200 Meter sowie im Weitsprung auf sich aufmerksam.

So wie es aussieht, wird Leverkusen in sechs Wochen rund ein Drittel des deutschen Leichtathletikteams in Paris stellen. Und auch für Los Angeles 2028 stehen schon einige Kandidatinnen und Kandidaten in den Startlöchern.