Leverkusen – Etwas mehr als eine Woche ist die groß angelegte Razzia in Rheindorf her, bei dem Mitglieder des Al-Zein-Clans verhaftet und Bargeld sowie Waffen sichergestellt wurden. Leverkusen als Hotspot für Clans? Der offenbar vorherrschenden Meinung in der Stadt widerspricht Kriminaldirektor Michael Esser vom Polizeipräsidium Köln.
„Wir haben derzeit keine Erkenntnisse, dass Leverkusen Aktionsraum von Clans ist“, heißt es im Polizeijargon.
Es leben Mitglieder des Al-Zein-Clans in Leverkusen – seit wann genau und wie viele darf der 53-jährige stellvertretende Leiter der Kriminalpolizei aufgrund der laufenden Ermittlung nicht sagen. Daneben gibt es auch nach wie vor die stadtbekannte Großfamilie Goman. Die beiden Familien hätten eine unterschiedliche Struktur, erklärt Esser. Der Al-Zein-Clan operiere eher im Ruhrgebiet und Düsseldorf und gelte nach der Definition des Landeskriminalamts als „Clan“. So wird eine Großfamilie bewertet, wenn sie aus dem türkisch-arabisch-kurdischen Raum stammt und ihr typische Straftaten in diesem Milieu nachgesagt werden, wie Rotlichtdelikte oder Schutzgelderpressung.
Wegen Betrugs verurteilt
Das trifft auf die andere Großfamilie in Leverkusen aber nicht zu: Deren Mitglieder wurden in der Vergangenheit wegen schweren Betrugs verurteilt, wie beispielsweise Michael Goman Ende 2019. Esser sagt: „Nach unseren bisherigen Erkenntnissen gibt es zwischen den beiden Großfamilien keine Verbindungen, auch nicht familiär.“ Während der Al-Zein-Clan seine Wurzeln im Kurdisch-libanesischen hat, ist es bei der zweiten Großfamilie die Roma-Herkunft. „Die beiden Großfamilien kann man nicht vergleichen, da nur eine von ihnen laut Definition des LKA die Voraussetzung für einen Clan erfüllt“, betont der Kriminaldirektor. Auf die polizeiliche Ermittlungsarbeit habe diese Unterscheidung aber selbstverständlich keinen Einfluss.
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Doch warum siedeln sich zwei Großfamilien in einer nicht allzugroßen Stadt an? „Wir können nicht sagen, warum sie sich Leverkusen ausgesucht haben.“ Die Polizei geht weiterhin davon aus, dass der Al-Zein-Clan Leverkusen „als Wohn- oder Rückzugsgebiet“ nutze – auch wenn der Sozialbetrug hier stattfand. Die Clan-Mitglieder sollen zu Unrecht 400.000 Euro vom Leverkusener Jobcenter, der AGL, erhalten haben.
Die Täuschungen seien manchmal so gut gemacht, dass der Entscheider im Jobcenter das nicht merke, erläutert Michael Esser. Und nennt ein paar Beispiele: Dass die Täter weniger Konten angeben als sie besitzen, Urkunden fälschen oder falsche Ausweise vorzeigen. Die Mitarbeiter im Jobcenter könnten schließlich nur das bewerten, was ihnen vorgelegt wird. Die Stadt Leverkusen äußert sich mit Hinweis auf die laufenden Ermittlungen nicht zu dem Vorfall. Der Enkeltrick, durch den die zweite Großfamilie bereits aufgefallen ist, konnte dem Al-Zein-Clan in der Stadt bislang nicht nachgewiesen werden.
Der „Betrug zum Nachteil älterer Menschen“, zu dem Enkel- oder Telefontricks gehören, hat in Leverkusen laut der vorläufigen Auswertung der Polizei im ersten Quartal 2021 im Vergleich zum Vorjahr um 75 Prozent abgenommen. 2020 waren die Zahlen zunächst stark gestiegen. Michael Esser weist auf die Razzia und Festnahmen in einem Callcenter in der Türkei Anfang des Jahres hin. Diese Bande, Mitglieder eines weiteren, des Saado-Clans, soll für einen Großteil der Trickbetrügereien in ganz Deutschland verantwortlich gewesen sein. (mit xl)