Schwimm-Report LeverkusenWarum immer weniger Kinder gut schwimmen können
- Es herrscht großer Andrang bei Schwimmkursen in Leverkusen, die Wartelisten sind lang. Warum ist das so?
- Von Zuhause aus lernen immer weniger Kinder schwimmen.
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Leverkusen – Im Sommer 2019 titelten die Zeitungen in ganz Deutschland: Wir werden zum Nichtschwimmer-Land! Immer weniger Menschen lernen schwimmen. Nach einer Forsa-Umfrage waren im Jahr 2017 mehr als die Hälfte der Zehnjährigen Nichtschwimmer, 59 Prozent, um genau zu sein. Auch bei den Erwachsenen gaben knapp 50 Prozent an, schlecht oder gar nicht schwimmen zu können. Das bedeutet, dass sie höchstens das Seepferdchen-Abzeichen erlangen konnten, das aber häufig gerade einmal bescheinigt, sich über Wasser halten zu können.
Anfang der 1990er-Jahre waren jedoch noch über 90 Prozent der Deutschen gute Schwimmer. Seitdem wurden jedes Jahr im Schnitt bundesweit 100 Bäder geschlossen. Etwa 70 Bäder schließen auch in diesem Jahr: Sie müssten renoviert werden, die Instandhaltung wird zu teuer und es gibt zu wenige Bademeister. Beim Schwimmunterricht in der Schule, der gesetzlich vorgeschrieben ist, bleibt nach Anfahrt und Umziehen viel zu wenig Zeit für den eigentlichen Unterricht übrig. Außerdem sind viel zu wenige Lehrer mit einem Rettungsschwimmer-Abzeichen berechtigt, Schwimmunterricht zu geben. Und eine Lehrkraft auf 30 Kinder ist schlicht zu wenig.
Wie sieht die Lage aktuell in Leverkusen aus? Vier Schwimmbäder hat die Stadt aufzuweisen; das Calevornia und das 2010 eröffnete Hallenbad Wiembachtal für Kurse und Freizeitschwimmer, Medilev und das Hallenbad in Bergisch Neukirchen allein für Kurse und den Schulsport. Das Freibad Auermühle wurde geschlossen.
Stefan Markus von der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) Leverkusen meint: „Wir können uns glücklich schätzen, dass die Stadt am Wiembachtal ein neues Schwimmbad gebaut hat. Es gibt dennoch insgesamt zu wenig Schwimmzeiten.“ Schwimmzeiten, das bedeutet feste Zeiten, in denen Bahnen für den Schwimmunterricht reserviert sind. Die Wartezeiten für Kurse bei der DLRG betragen mittlerweile gut vier Jahre. Man tut gut daran, sein Kind vorzumerken, sobald es geboren ist.
Die Zahl der bei Badeunfällen Umgekommenen stieg in ganz Deutschland im Jahr 2018 um 38 Prozent auf 504 Menschen, davon 26 Kinder im Vor- und Grundschulalter. In Leverkusen ist im vorigen Jahr „lediglich“ ein Mann ertrunken, der alkoholisiert in den Silbersee gelangt ist. Die DLRG ist in diesem Jahr nur einen Einsatz gefahren: Ein Betrunkener, der den Rhein überquerte, wurde mit Feuerwehr, Polizei und Booten der DLRG gesucht und auf seinem Rückweg durch das Wasser erwischt. Nach den statistischen Jahresberichten gab es 2018 insgesamt neun Einsätze, 2017 waren es zwei, und 2016 fünf.
Personell gut aufgestellt
Die DLRG Leverkusen habe einen guten Personalstand, erzählen Stefan Markus und Andre Hornig vom Vorstand. 956 Mitglieder verzeichnet die Lebensrettungs-Gesellschaft in Leverkusen, davon circa 35 Gruppenleiter und Ausbildungshelfer. „Viele Jugendliche stehen in den Startlöchern und werden derzeit zu Rettungsschwimmern und -sanitätern ausgebildet“, sagt Markus.
Zu den Aufgabenbereichen der Rettungsschwimmer zählen die Badeaufsicht und Rettung am Hitdorfer Badesee und am Rhein, sowie die Wartung und Pflege der Einsatzfahrzeuge. Schwimmunterricht gibt es montags und freitags: Montags werden die Rettungsschwimmer bis zum Gold-Rettungsschwimmabzeichen ausgebildet, freitags können die Deutschen Jugendschwimmabzeichen von Bronze bis Gold erworben werden. In den zwei Trainingseinheiten à 45 Minuten werden circa 160 Kinder unterrichtet. 12 bis 14 dieser Einheiten werden für das Erreichen eines Abzeichens nach der Prüfungsordnung angesetzt, manche Kinder brauchen natürlich wesentlich weniger Stunden.
Im Alter von fünfeinhalb bis sechs sollten Kinder idealerweise mit der Wassergewöhnung beginnen. Auch früher können sich bereits die Eltern darum kümmern: Eine Eins zu Eins-Betreuung ist bei den ersten Kontakten mit Wasser empfehlenswert, doch im Unterricht personaltechnisch natürlich nicht umsetzbar. „Heute macht das leider kaum noch jemand“, sagt Andre Hornig. „Wenn man als Eltern Ruhe haben will im Spaßbad, sollte man schon zusehen, dass die Kinder auch schwimmen können. Aber es ist nicht mehr so, dass man das von den Eltern beigebracht bekommt. Manche Kinder, die zu uns kommen, sind noch nicht einmal das Duschen gewohnt. Da fängt es schon an.“
In den Herbstferien finanzierte das Land NRW ein großangelegtes Projekt: „NRW kann schwimmen“ lockte vor allem Eltern zur Anmeldung, die sich die Kurse für ihre Kinder sonst nicht leisten können. Für zehn Euro pro Kurs, einem Zehntel der üblichen Teilnahmegebühren, gab es bei der Leverkusener Schwimmschule Aqua Vital einen regelrechten Run auf die Ferienkurse. „Der Andrang ist seit 2012, seit es das Landesprojekt gibt, gleichbleibend groß“, weiß Claudia Engel von Aqua Vital. „Die fünf Kurse à zehn Kinder sind immer früh ausgebucht, über hundert Bewerber haben es nicht mehr geschafft.“
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In den Kursen haben in diesen Herbstferien 30 Kinder im Alter zwischen acht und zwölf Jahren das Seepferdchen erreicht, neun erhielten das Bronze-Abzeichen, und eins bekam das „Seeräuber“-Abzeichen, das Aqua Vital als Unterstützung zwischen dem Seepferdchen und dem Bronze-Abzeichen eingeführt hat. „Für manche Kinder ist der Leistungsabstand zwischen Seepferdchen und Bronze zu groß“, erzählt Engel. Für den „Seeräuber“ muss man 100 Meter Brustschwimmen, fünf Meter weit tauchen und einen Ring aus einem Meter Tiefe herausholen. Von der DLRG wird dieses Abzeichen jedoch nicht offiziell anerkannt.
Auch Aqua Vital hat zu wenig Schwimmzeiten, zu wenige Kursbecken und zu wenige Kursleiter. Claudia Engel sagt, dass es immer mehr Anmeldungen und Andrang gebe. „In Leverkusen gibt es kein Schwimmbad, das nur für den Kinder-Schwimmunterricht bereitsteht. Es sind immer auch Vereine dabei, die die Becken nutzen.“ Auch sie hat den Eindruck, dass im Gegensatz zu früher immer weniger von den Eltern beigebracht werde. Die Eltern wollten sicher gehen, dass die Kinder richtig schwimmen lernen.
„Dann heißt es, schnell sein“
Wartelisten gibt es bei der Schwimmschule im Medilev und im Wiembachtal nicht. „Es gibt immer einen Tag und eine bestimmte Uhrzeit, zu der die Kurse freigeschaltet werden. Dann heißt es, schnell sein. Mit 500 Kursen im Jahr und 9500 registrierten Kunden sind wir einfach zu groß für Wartelisten.“
Claudia Engel erzählt, dass es auch eine erhöhte Nachfrage an Privatkursen und Erwachsenen-Schwimmkursen gibt, außerdem trainieren manche in der Schwimmschule für den Triathlon. Eine weitere Entwicklung ist ihr aufgefallen: Viele Kinder der nach Deutschland Geflüchteten könnten nicht schwimmen. Bisher habe es in ihrem Leben andere Prioritäten gegeben. Wenn nun ein Kind aus einer emigrierten Familie in den Schwimmunterricht komme, brächte das häufig auch dessen Eltern dazu, das Schwimmen lernen zu wollen.
Den Fachkräftemangel nennt Engel als schwierigstes Hindernis für die Schwimmschule. Die meisten Kursleiter kommen direkt vom Schwimmverein und waren oder sind noch immer Leistungsschwimmer. Das Silber-Abzeichen und der Rettungsschein sind Pflicht; aber auch Trainerscheine, Fitnesstrainer-Ausbildungen und Berufserfahrung sind wichtig für die Arbeit. Nicht genügend Schwimmer sind derartig gut ausgebildet.
Der Aktionsplan für Leverkusen und für das „Nichtschwimmer-Land“ muss also lauten: Es müssen mehr Kursleiter ausgebildet und neue Bäder gebaut werden. Dazu kommt ein Aufruf an die Eltern: Gewöhnt Eure Kinder an das Wasser! Zeigt ihnen die ersten Schwimmbewegungen und vermittelt ihnen die gemeinsame Freude am kühlen Nass. Und meldet sie rechtzeitig beim Schwimmverein an, um die Schwimmabzeichen zu erreichen. Denn: Leverkusen kann schwimmen!