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Selbstversuch in LeverkusenSo schwer ist die Ausbildung zur Rettungsschwimmerin

Lesezeit 5 Minuten
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Wichtig ist, die zu rettende Person im Blick zu halten. Das geht am besten beim rückwärts Schwimmen.

Leverkusen – Das Herz trommelt mir laut gegen die Brust. Unförmige Luft-Bläschen steigen vor meinen Augen zur Wasseroberfläche. Kurz danach durchdringe ich sie. Mein Atem geht schnell. Ich bin grade 22 Meter getaucht. Damit hatten weder ich noch der Rest des Teams gerechnet.

Ich habe beim Training des Jugend-Einsatz-Teams (JET) der DLRG Leverkusen im Schwimmbad Wiembachtal in Opladen mitgemacht. Das Thema Rettungsschwimmen beschäftigt momentan: Es fehlen Einsatzkräfte, was sich in diesem Sommer auch in einem geschlossen Freibad trotz 35 Grad Celsius Lufttemperatur bemerkbar gemacht hat – Leverkusen ist da kein Einzelfall.

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Tobias Gedowski (v.l.), Matthias Rudnik, Andre Hornig, Tim Heinze, Sascha Hornig und Amelie Becker haben mir gezeigt, wie ein Rettungsschwimmtraining aussieht.

Deutschland sei ein Land der Nichtschwimmer geworden, beklagte jüngst Leverkusens DLRG-Bezirksleiter Stefan Markus. Die Wartelisten für Schwimmkurse sind lang. Und ob solche Kurse in den Bädern bei den Gaspreisen in diesem Winter überhaupt durchgehend angeboten werden können, steht noch auf einem anderen Blatt Papier.

Nach dem Einschwimmen wird Retten geübt

Daher: Für Nachwuchs bei den Rettungsschwimmern zu sorgen, tut Not. Doch wie anstrengend ist so eine Ausbildung eigentlich? Das möchte ich im Praxistest herausfinden.

Zuerst schwimmen wir uns ein. Der Stil ist egal. Ich wähle Brust. An die richtige Technik erinnere ich mich noch am ehesten aus der Schulzeit. Nach zehn Bahnen spüre ich schon meinen ganzen Körper arbeiten. Ich atme schwer, mein Puls ist hoch, meine Muskeln brennen.

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Tobias zeigt mir den Gurtretter, eines der wichtigsten Hilfsmittel für Rettungsschwimmer.

Doch Sascha Hornig, der Trainer des Teams, macht direkt weiter im Programm: „25 Meter anschwimmen, am besten Sprint. 3,8 Meter tauchen. Fünf-Kilo-Ring hochholen. Einen der Befreiungsgriffe ausführen. Person zur anderen Seite abschleppen und am Beckenrand aus dem Wasser heben. Die drei As, Anschauen, Anfassen, Ansprechen, und drei Minuten Herz-Lungen-Massage durchführen.“

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Fast schon beiläufig, als wäre es nicht viel, zählt er auf, was zu einer Kombi-Übung gehört. Was ich gleich alles tun soll. Die Herz-Lungen-Massage fällt weg, weil keine Puppe da ist. Ich sollte erleichtert sein, dass ich den vermutlich anstrengendsten Schritt nicht machen muss. Doch ich kann nur eins denken: „Was habe ich mir hier eingebrockt?“

Üblicherweise wird mit Hilfsmittel abgeschleppt

Damit ich nicht ganz so überfordert bin, werden mir erst einmal alle Schritte einzeln gezeigt. Beim Tauchen nach dem Fünf-Kilo-Ring ist der Druckausgleich unter Wasser wichtig, erklärt mir Sascha. Um einfacher wieder hochzukommen, hilft es, sich mit den Beinen vom Boden abzustoßen. Beides vergesse ich natürlich im Affekt, hole aber im ersten Anlauf mit mehr Mühe als nötig den Ring hoch.

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Im Trockenen zeigen mir Amelie und Tobias, wie der Gurtretter angebracht werden muss.

Für die Kombi-Übung ist das Abschleppen ohne Hilfsmittel angedacht. Tobias und Amelie bringen mir es aber auch mal mit Gurtretter bei. Im Trockenen ist das Anbringen noch relativ leicht, doch mit dem Gegendruck des Wassers muss ich ordentlich Kraft aufwenden.

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Der Gurtretter hält den Körper der zu rettenden Person an der Wasseroberfläche. Der Kopf muss von mir oben gehalten werden.

Noch mehr Kraft brauche ich dann, als ich einen von sechs Befreiungsgriffen lerne. „Zu Rettende sind häufig panisch. Dann kann es sein, dass sie einen angreifen, wenn man sie retten will“, erklärt mir Sascha. Die eigene Sicherheit gehe jedoch immer vor, deswegen haben Rettungsschwimmer immer Hilfsmittel wie den Gurtretter bei sich. Falls man doch mal ohne Hilfsmittel im Wasser ist und angegriffen wird, sind die Befreiungsgriffe wichtig.

Die zu rettende Person, aber vor allem man selbst muss geschützt werden

Bei einer Abfolge an Handgriffen drückt man die Person vor sich und drückt einen ihrer Arme an den Rücken. Um den Kopf zu stabilisieren, legt man die eigene Hand an die Kieferpartie der zu rettenden Person. So schützt man sich selbst und sichert die Person.

Was in der Theorie recht leicht klingt, ist im Wasser nicht nur anstrengend, sondern lässt mich auch die Orientierung verlieren. Man dreht nicht die Person, sondern schwimmt unter ihrem Arm her, wodurch der Arm an den Rücken gedreht werden kann. Als ich auftauche, weiß ich nicht, wo genau ich bin – bin daher überrascht, dass alles geklappt hat.

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Amelie und Tim zeigen mir, wie ich eine Person abschleppen kann, wenn keine Hilfsmittel da sind.

Und dann kommt das eigentliche Abschleppen. Nach den vorherigen Schritten habe ich gefühlt schon all meine Kraft und meinen Atem aufgebraucht. Aber aufgeben will ich sicherlich nicht. Rückwärts, um die Person im Blick zu behalten, schwimme ich weitere 25 Meter zum Beckenrand, wo der richtig anstrengende Teil kommt.

Wer retten will, muss Kraft aufwenden können

Zuerst lege ich die Arme überkreuzt auf den Beckenrand. Während ich sie weiter festhalte, steige ich aus dem Wasser. Danach muss die Person ins Trockene gehoben und dabei gedreht werden, damit man sie hinsetzen kann. Wichtig ist aus den Beinen nach oben zu ziehen und nicht aus dem Rücken. Dabei merke ich mal wieder, wie viel Gewicht das Wasser mitträgt und wie kaputt ich bin.

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Wichtig ist, die zu rettende Person im Blick zu halten. Das geht am besten beim rückwärts Schwimmen.

Das Hinlegen der Person ist dann im Vergleich zu allem davor ein Klacks. Zuerst zieht man den Rest des Körpers aus dem Wasser. Das geht, indem man unter den Achseln her greift, einen Unterarm vor der Brust fasst und zieht. An den Beinen kann man die Person anlehnen, um sie langsam abzulegen. Als ich mit der kompletten Übung durch bin, lege ich mich neben meine Partnerin. Ich bin komplett fertig und auch ein bisschen stolz. Was ich mir selbst eingebrockt hatte, habe ich doch tatsächlich geschafft.

Liegen bleiben kann ich leider nicht lange. Sascha kündigt an, dass wir nun auf Distanz tauchen. „So weit, wie ihr kommt“, meint er. Für die Gruppe ist das ein Ansporn, sich selbst zu beweisen, dass sie lange durchhalten. Ich will einfach nur durchhalten. Und überrasche mich und alle anderen dann mit 22 Metern. Dass mir nur noch „zwei Züge“, wie Tobias es mir sagt, zur vollen Bahn gefehlt haben, wurmt mich kurz. Ich war so nah dran...

Zum Schluss wird schnelles Schwimmen geübt

Als wir jetzt noch zwei Bahnen auf Zeit schwimmen sollen, hole ich noch einmal alles aus mir raus. Mit 60 Sekunden bin ich zwar die langsamste, aber noch ausreichend schnell für ein Gold-Schwimm-Abzeichen. Für das Rettungs-Abzeichen fehlt mir aber noch ordentlich Training.

Doch das ist egal, als wir zum Abschluss vom Drei-Meter-Brett springen können. Bei Anstachelungen, Arschbomben und Witzen spüre ich den starken Zusammenhalt des Teams und den Spaß, den sie an dem Ehrenamt haben.

Und als ich ein letztes Mal die Wasseroberfläche durchdringe, wenig später die Luft-Bläschen nach oben steigen sehe, spüre ich, wie sich mein Körper langsam entspannt. Mein Herz trommelt nicht mehr. Mein Atem geht langsam. Meine Muskeln brennen nicht mehr. Sie wissen wohl noch nichts von dem Muskelkater, der mich am nächsten Morgen am ganzen Körper begrüßen wird.