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Serie „Verschwundene Gebäude der Stadt“Folge 1 - Das alte Rathaus in Wiesdorf

Lesezeit 5 Minuten

„Stattlich breitgelagerter Putz- und Werksteinbau“: Das alte Rathaus in im Jahr 1960.

Leverkusen – Leverkusen ist eine junge Stadt. 91 Jahre der Existenz sind nicht viel. Die Historie ist im Vergleich zu anderen Städten entsprechend überschaubar und eher dann umfangreich, wenn es um die einzelnen Ortschaften geht, die heutzutage die Stadtteile Leverkusens bilden. Dennoch: Geschichte wurde auch zwischen Rhein und Bergischem Land geschrieben.

Und: Es gibt eine Vielzahl an ehemals wichtigen Gebäuden, die mittlerweile aus dem Stadtbild verschwunden und dennoch in der Erinnerung der Menschen verankert sind. Sie sind der Beweis dafür: Leverkusen ist trotz der recht kurzen Zeitspanne seines Bestehens nicht erst seit gestern in Bewegung, seine Geschichte wird nicht erst seit gestern geschrieben. Geschichte ist auch in Leverkusen erfahrbar. Und es ist immer wieder reizvoll, auf sie zurückzublicken und sich ihrer zu bedienen und zu vergewissern.

Erst prägend, dann verschwunden

Aus diese Ansatz heraus ist unsere neue Serie erdacht worden, deren Aufschlag heute erfolgt: Wir wollen nach und nach in mal längeren, mal kürzeren Episoden an jene Gebäude erinnern, die irgendwann einmal das Stadtbild Leverkusens prägten, ebenso irgendwann aber auch wieder aus selbigem verschwanden.

Auf diesen Stühlen und an diesen Tischen wurde Politik gemacht: Blick in den Ratssaal des alten Rathauses.

In Folge eins von geht es um das alte Rathaus in Wiesdorf, dem ja bis heute schon zwei weitere Rathäuser folgten. Das ist eine Schlagzahl des Bauens und Errichtens, die dann doch noch nicht einmal Städte mit Jahrhunderten der Existenz vorweisen können.

Baubeginn 1908

Baubeginn des Rathauses, das dort stand, wo Jahrzehnte später auch das nachfolgende, „grüne“ Betonklotz-Rathaus mitsamt Brunnen und Wasserspiel vor der Türe hochgezogen – und wieder abgerissen – werden sollte, war 1908. 1910 zog die Verwaltung der alten Bürgermeisterei Küppersteg ein.

Das Ende: Das Rathaus umringt von modernen Bauten (City C).

Dem damaligen Verwaltungsbericht zufolge, den unter anderem die Autorin Maria Först im Stadtarchiv befindlichen Sammelband „Rathäuser erzählen Stadtgeschichte“ zitiert, befanden sich im Erdgeschoss: „Das Standesamt, das Meldeamt, zwei Büros für die Steuerabteilung, das Trauzimmer, ein Sprechzimmer, Zimmer für die Hausmeisterei mit Telefon- und Fernsprechzentrale, die Gemeindekasse [...], Arbeitszimmer für den Kommissar, für den Wachtmeister und für das Sekretariat, die Polizeiwachtstube, Asservatenzimmer, Toiletten und zwei noch verfügbare Räume, von welchen einer zur zeit der Mütterberatungsstelle dient.“

1975 rückten die Bagger an und rissen den Bau ab, der Journalist Alfred Nasarke sprach martialisch von „schleifen“.

Unten drunter, im Untergeschoss, wurden seinerzeit laut Först unter anderem die Ratskellerwirtschaft, die Unfallstation, die Heizung, die Ortskrankenkasse, die Wohnung für den Hausmeister und – durchaus eine kuriose Nachbarschaft für letzteren – das Polizeigefängnis untergebracht.

Beeindruckende Maße

Die Maße des Rathauses waren übrigens durchaus beeindruckend: 57,40 Meter Frontlänge entlang der Köln-Düsseldorfer Straße als der heutigen Friedrich-Ebert-Straße, an der Büchelter Straße (heute vergleichbar mit der heutigen Wöhlerstraße) 20,46 Meter sowie 21 Meter an der südlichen Seite wurden gemessen. Der Autor Martin Bredenbeck beschreibt den Bau im Buch „Klötze und Plätze – Wege zu einem neuen Bewusstsein für Großbauten der 1960er und 1970er Jahre“ des Bundes Heimat und Umwelt in Deutschland (BHU) folgendermaßen: „Das Rathaus war ein stattlicher breitgelagerter Putz- und Werksteinbau in Formen der Neurenaissance und des Neubarock.“

Mit Schiefer verkleidet

Aus der Bautradition der Rathäuser waren einige Hoheits- und Würdeformeln aufgegriffen, beispielsweise Loggia, Uhr und Fahnenmast. Ein Turm als weiteres Hoheitssymbol war nicht geplant, er wurde aber in abgewandelter Form vom Dachreiter und dessen aufwendiger Haube zitiert.“ Hervorzuheben sei vor allem „die Einbindung des Rathauses in die Baukultur und Bautradition des Bergischen Landes: Neben den barocken Formen ist vor allem die Schieferverkleidung zu nennen“.

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Entworfen hatten das Rathaus die Architekten D. und K. Schulze aus Dortmund. Die Baukosten beliefen sich auf nach heutigen Maßstäben geradezu unvorstellbar niedrige 350 000 Mark. Das Grundstück selbst war 92 911,50 Mark wert.

Nazis übernahmen 1933

Gleichsam nicht verwunderlich wie schlimm: Während in den ersten Jahren noch von den Mitgliedern der Familie Leverkus gestiftete Ölbilder der letzten drei deutschen Kaiser im Sitzungssaal des Gebäudes hingen, denen 1932 ein vom Abgebildeten selbst in Auftrag gegebenes Porträt Carl Duisbergs folgte, übernahmen 1933 auch im Leverkusener Rathaus die Nazis auf allen Ebenen – unter anderem mit einem Bild des Führers Adolf Hitlers vor „marschierender SA und Brandenburger Tor“.

Den Zweiten Weltkrieg überstand das Haus weitgehend unbeschadet. Es gab zudem immer wieder kleinere bis größere Erweiterungen. Und womöglich würde der Bau unter diesen Voraussetzungen noch heute stehen. Indes: Nicht nur die Zahl der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Verwaltung wuchs und die Raumnot griff um sich. Auch die Stadt drumherum wuchs. Sie wurde moderner. Wollte mehr. Wollte Großstadt werden und ihren Status als Zentrale der internationalen Chemiebranche untermauern. So kam die Stadtsparkasse hinzu. Das Stadthaus.

Kurzum: „Die Leverkusener Innenstadt wurde in der Wirtschaftswunderzeit Schritt für Schritt verändert und mit zahlreichen, immer größeren und auch höheren Neubauten stets von neuem modernisiert“, schreibt Bredenbeck. Aufnahmen aus den 1960er Jahren zeigen diese rasante Wandlung, die das noch gar nicht so alte Rathaus beinahe anachronistisch erscheinen lassen.

Abbruch 1975

1975 wurde es schließlich abgebrochen und durch den für viele abgrundtief hässlichen Betonbau ersetzt, der dann bis 2007 wie ein aus Zeit und Raum gefallener Monolith in der City stehen sollte. Der Journalist Alfred Nasarke bezeichnete das Ende des Rathauses in „Rathäuser erzählen Stadtgeschichte“ recht martialisch bis melodramatisch so: Im Juli 1965 „faßte der Stadtrat [...] den kühnen Entscheid, das alte Rathaus zu schleifen. Noch stand es zwar, aber es sollte fallen!“ Es war – nach nur 55 Jahren – das Ende einer Ära.