SozialbetrugSo einfach kam der Leverkusener Al-Zein-Clan an Geld vom Jobcenter
Düsseldorf/Leverkusen – Wie konnte der Leverkusener Al-Zein-Clan sein Luxusleben finanzieren? Unter anderem mit Sozialbetrug, lautet die Antwort, sagt die Anklage gegen Mitglieder des Clans.
Wird der Prozess gegen die Großfamilie geführt, sitzt ein Minimum von zehn Justizbeamtinnen und Justizbeamten im Saal des Landgerichts Düsseldorf. Eine noch größere Schar Anwälte verteilt sich zwischen den sieben Angeklagten. So auch am Dienstag, dem zweiten von 30 angesetzten Verhandlungstagen.
Die Anklage füllt 127 Seiten
Diesmal stand ebenjener Sozialbetrug im Vordergrund, den die Staatsanwaltschaft der Großfamilie neben Körperverletzung, Erpressung, Geiselnahme und Zwangsarbeit vorwirft. Die Liste ist lang, die Anklage füllt 127 Seiten. Um den vielschichtigen Fall zu verstehen, nahm die Verteidigung den Teamleiter des Jobcenters Leverkusen, der für Rückzahlforderungen verantwortlich ist, mehrere Stunden lang als Zeugen in die Mangel.
Der Mitarbeiter, selbst Jurist, gab geduldig Einblick in den Ablauf der Beantragung und Bewilligung von finanziellen Leistungen des Jobcenters. Damit wurde klar, wie die Al Zeins sich Geld erschlichen haben sollen, mit dem sie mutmaßlich ihre Villa in Leverkusen mitfinanzieren – und wie leicht sie an das Geld kamen. So verursachten auch kaum ausgefüllte Formulare, unvollständige Adressen und abweichende Unterschriften bei der Behörde keine Zweifel.
Bis Mai 2015 reichen die bewilligten Zahlungen zurück, die nun wieder eingefordert werden sollen. Ein Wort, das der Teamleiter wieder und wieder erklärte, war die „Bedarfsgemeinschaft“, nach der Bezüge festgesetzt werden. So gab Clan-Oberhaupt Badia Al Zein etwa an, sich von seiner Frau getrennt zu haben, was eine Aufteilung dieser Gemeinschaft und damt höhere Bezüge nach sich zog. Nach der Razzia in der Rheindorfer Al-Zein-Villa im Juni 2021 verschaffte sich der im Zeugenstand sitzende Mitarbeiter selbst einen Eindruck vor Ort – und sah, dass die Angaben falsch waren.
Drei unterschiedliche Unterschriften
Weitere Unstimmigkeiten in den Antragsformularen der Familie, die für Sachbearbeiter anscheinend Alltag sind, warfen für die Verteidigung Fragen auf. So kreuzte Badia Al Zein einmal an, er sei Spätaussiedler. „Wir alle wissen, dass er das nicht war“, erklärt der Teamleiter und verwies auf die Schwierigkeit, die seine Kunden und Kundinnen häufig mit deutschen Formularen hätten.
Auch ist in der Prozessakte zu sehen, dass bei einem Nachbewilligungsantrag des Clan-Oberhaupts auf die Frage nach Einkommen weder das „Ja“ noch das „Nein“ angekreuzt wurden. Der Zeuge sagt, wenn die Familie dem Jobcenter bereits bekannt ist und der Gesamteindruck stimme, hieße das automatisch, dass kein Einkommen ins EDV-System eingetragen werde. Der Anwältin der Tochter von Badia Al Zein, die in der Reihe vor ihrem Vater auf der Anklagebank saß, fiel auf, dass auf drei Formularen, die scheinbar von ihr stammen, drei unterschiedliche Unterschriften zu finden sind.
Auch das könnten die Sachbearbeiter nicht immer nachprüfen, versicherte der Jobcenter-Mitarbeiter. „Aufenthaltstitel, Einkommen und Vermögen sind die drei K.o.-Kriterien“, auf die vor einer Bewilligung geprüft werde, erklärt der Mitarbeiter. Und bis 2021 sahen die Sachbearbeitenden keinen Grund, die Angaben anzuzweifeln.
„Komplett unauffällig verhalten“
„Die Familie hat sich in Leverkusen komplett unauffällig verhalten“, sagte der Zeuge. Das änderte sich im Mai 2021, als zumindest er das erste Mal mit Polizei und Staatsanwaltschaft über den möglichen Betrug der Familie Al Zein sprach.
Wer hat vorher schon mit der Polizei gesprochen, woher kamen Hinweise, welche Informationen sind dem Jobcenter zur Verfügung gestellt worden? Diese Fragen trieb die Verteidigung um, die das Vorgehen des Jobcenters auf allen Ebenen hinterfragte. Es zeichnete sich ab, dass wahrscheinlich noch weitere Mitarbeitende des Leverkusener Jobcenters im Zeugenstand Platz nehmen werden.
Das könnte Sie auch interessieren:
Für den bereits befragten Teamleiter und seine Aufgabe dürfte von vorrangigem Interesse hingegen sein, wer wann wo tatsächlich wohnte. Seine aktive Teilnahme am Gerichtsprozess mag nun vorbei sein, aber das hauseigene Verfahren gegen den Clan hat er noch vor sich. Jedes Familienmitglied muss einzeln geprüft werden. Mittlerweile hat er schon einige Excel-Tabellen der womöglich anstehenden Rückzahlungen auf Basis der Informationen der Ermittlungsbehörden erstellt.
Wie viel der Leverkusener Al-Zain-Clan der Sozialleistungsbehörde tatsächlich schuldet, ist ergo noch nicht klar. Die Anklage geht von fast einer halben Million Euro aus.
Die drei angeklagten Männer und vier Frauen erklärten dem Richter am Dienstag, keine Angaben zu den Vorwürfen, nur zu ihrer Person machen zu wollen. Am Donnerstag, 7. Juli, geht der Prozess mit der Befragung zweier Zeuginnen im Landgericht weiter.