Der Krieg gehört zum Leben der Menschen dazu. Die Hilfsbereitschaft in Leverkusen ist groß. Die Herausforderungen sind es auch.
Ukrainisches Leben in LeverkusenEntsetzen über den Krieg hält an, Wille zum Widerstand auch
Als Elena Büchel am Morgen des 24. Februar 2022 an ihr Telefon geht, hat sie noch keine Nachrichten gesehen. Der „Leverkusener Anzeiger“ ruft sie an, um mit ihr über den Ausbruch des Krieges zu sprechen, von dem die Leverkusener Künstlerin mit ukrainischen Wurzeln da noch gar nichts weiß. Sie sammelt sich und ruft zurück, erzählt von ihrer Cousine, die mit Mutter, Mann, Kindern und Enkelkindern in Kiew ausharrt: „Sie waren noch schnell einkaufen. Jetzt sitzen sie zu Hause. Sie wissen nicht, wie lange die Geschäfte noch aufhaben werden. Ihnen wurde gesagt, sie sollen die Badewannen mit Wasser voll machen, falls bei den Beschüssen durch die russische Armee auch Wasserleitungen getroffen werden.“
Sie selbst sei total entsetzt: „Es hat keiner geglaubt, dass es zu einem Krieg kommt – bis zu dem Moment, in dem sie Bomben gehört haben.“ Jetzt, im Februar 2023, nach einem Jahr Krieg in ihrer alten Heimat, aus der sie in den 90ern nach Deutschland kommt, als sie 25 Jahre alt ist, kann Elena Büchel ihre Gefühle nicht eindeutig bestimmen. Die Stimmung unter ihren Familienmitgliedern und Freunden in der Ukraine sei optimistisch, sagt sie. Der Besuch des amerikanischen Präsidenten habe ihnen wirklich viel bedeutet. Sie selbst kommt aus Tschernihiw, einer Großstadt im Norden von Kiew.
Was ihr Sorgen macht? Dass so viele Russen offenbar nach wie vor hinter Putin, hinter seinem Größenwahn und seiner Aggression stünden, das sei krass. Sie selbst könne sich die Hetze in den russischen Medien nicht anschauen, sie sagt: „Das hält man einfach nicht aus“. Die gelernte Kunstlehrerin macht in Leverkusen Kunstkurse mit ukrainischen Frauen, unter anderem meditatives Malen, mit dem die Erlebnisse verarbeitet werden können. Auch ihre eigene Kunst ist natürlich vom Krieg beeinflusst. Am Sonntag um 11 Uhr ist Vernissage ihrer eigenen Ausstellung im Freudenthaler Sensenhammer.
Die Unterstützung für die Ukraine sei wichtig, auch Demos würden in der Ukraine wahrgenommen, am Freitag ab 19 Uhr in Köln auf dem Roncalliplatz am Dom zum Beispiel oder die Kundgebung der Leverkusener Jugendparteien am selben Tag um 18 Uhr vor dem Rathaus.
Ein anstrengendes Jahr liegt hinter ihnen
Wenige Tage, nachdem vor einem Jahr der Krieg begonnen hatte, wurde es in der Quettinger Wohnung der Engelmanns eng. Für Wochen zogen dort Flüchtlinge ein: eine befreundete Familie aus Kiew mit Kindern. Die wohnen inzwischen in Köln. Anfang März 2022 galt es noch als wahrscheinlich, dass die Russen die Ukraine in wenigen Wochen überrannt haben würden; wenigstens das ist anders gelaufen.
Michael Engelmann ist Mitglied in der Freikirchlichen Gemeinde Leverkusen. Die Gruppe hat ein unscheinbares Gemeindehaus in Manfort an der Poststraße. Dort hat man vielen geflüchteten Landsleuten geholfen, Engelmann hat, genau wie Elena Büchel, ein anstrengendes Jahr hinter sich.
Leverkusen: 499 Ukrainerinnen und Ukrainer in städtischen Unterkünften
In gewissem Maß gilt das auch für die Stadt Leverkusen, die mit der Unterbringung und Versorgung ukrainischer Geflüchteter eine gewaltige Aufgabe hatte. „Der hohe Zuzug an Geflüchteten beinhaltet Herausforderungen im Bereich der Betreuung“, drückt es eine Sprecherin der Stadt nüchtern aus.
2003 ukrainische Geflüchtete sind seit Beginn des Krieges Leverkusen zugewiesen und in der Stadt untergebracht worden, 499 von ihnen leben aktuell in städtischen Gemeinschaftsunterkünften. Das sind über 42 Prozent aller dort lebenden Menschen verschiedener Nationalitäten.
Die Herausforderung ist weiterhin nicht bewältigt: „Die Belegungskapazitäten in den städtischen Einrichtungen sind nahezu erschöpft, es besteht weiterhin ein hoher Unterbringungsdruck“, schreibt die Sprecherin. Weitere Gemeinschaftsunterkünfte werden derzeit für Geflüchtete geschaffen, so etwa im Wiesdorfer Krankenhaus St. Josef und auf dem Gelände des ehemaligen Freibades Auermühle. „Ferner mietet die Stadt in Einzelfällen auch privaten Wohnraum zur Unterbringung an.“
Ein Kommen und Gehen zwischen Leverkusen, Köln und der Ukraine
40 bis 50 Flüchtlinge seien durch das Gemeindehaus seiner Kirche gegangen, sagt derweil Michael Engelmann, haben dort gewohnt, bis eine Unterkunft gefunden war. Zurzeit wohne dort ein Mann, sagt Engelmann, aber auch der habe bald eine neue Bleibe. Ansonsten halten jugendliche Freikirchler an der Poststraße regelmäßig Sprach- und Integrationskurse ab. Dreimal die Woche kämen 20 bis 30 Leute und lernten Deutsch, sagt der Sozialarbeiter, der beruflich mit Drogenabhängigen arbeitet.
Zwischen Leverkusen, Köln und der Ukraine gebe es mittlerweile ein häufiges Kommen und Gehen, nach wie vor werden Spenden für die Ukraine gesammelt. Freikirchliche Militärkapläne kämen quasi auf Fronturlaub zu ihren Frauen hierher, sagt Engelmann.
Er selbst ist tief gläubig, glaubt, alles sei mehr oder weniger vorherbestimmt. Selbstverteidigung hält er aber trotz seiner bibeltreuen Grundeinstellung für richtig.