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Zerstörung durch HochwasserWie ein Winzer aus dem Ahrtal jetzt weitermacht

Lesezeit 8 Minuten
Lukas Sermann

Bis zur Dachrinne stand das Wasser am Weingut Sermann: Winzer Lukas Sermann (M.) mit den Eltern Elmar und Luzia.

Altenahr – „Man hat kein Zeitgefühl, wenn das Wasser kommt“, sagt Lukas Sermann, der letzte selbstständige Winzer in Altenahr. Das Jahrhunderthochwasser 2016 war hier bis auf 3,71 Meter gestiegen. „Wir haben in der Halle alles auf bis zu fünf Meter ausgerichtet. Im Haus läuft schon mal der Keller voll, das kennen wir. Als hier dann aber der Strom ausgefallen ist, wussten wir: Jetzt wird es interessant.“ Anfangs habe man alles vor dem Haus geparkt, was in der Halle steht, Auto, Quad, Presse, Förderband, Kühlung, alles, was wichtig sei auch für den Herbst. Aber das Wasser stieg immer weiter. „Dann muss irgendwo eine Brücke gebrochen sein oder sowas. Es kam keine Welle wie bei einem Tsunami, aber das Wasser ist dermaßen schnell gestiegen, dass mein Vater Elmar und ich den Absprung zurück ins Haus zu meiner Mutter verpasst haben. Und eine halbe Minute später hatten wir den Absprung verpasst, in die Dorfmitte zu gehen, die etwas höher liegt. Wir waren nicht direkt in Lebensgefahr, aber wir konnten nicht mehr in die Strömung, die war viel zu stark.“

Die beiden Männer sind dann über das Dach eines Gabelstaplers in ein leerstehendes Haus eingebrochen. Lukas hat ein Video von einem ihm bekannten Feuerwehrmann geschickt bekommen, der schrieb: Ach, da schwimmt der Sermann. „Unsere ganzen Fässer sind an ihm vorbeigeschwommen. Dann sah ich hier unsere Presse vorbeischwimmen und auch die Kühlung, der Stapler ist umgekippt. Von meinem Auto hörte ich noch eine Zeit lang die Alarmanlage, dann war das auch nicht mehr da. Das war schon in der Phase, in der alles egal war. Todesangst hatte ich keine, aber es war klar, wir müssen von Minute zu Minute gucken, was passiert.“ Erst um halb zwölf hörte das Wasser auf zu steigen, bei wohl etwas mehr als neun Metern. „Wir waren pitschnass, es war ja auch nicht wirklich warm. Wir haben uns dann in Teppiche eingewickelt. Das war völlig archaisch.“

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Zwei Häuser weiter, im Weingut, harrte Luzia Sermann die Nacht alleine aus. Blickkontakt zu den Männern gab es nicht, das Netz war zusammengebrochen. „Ich habe mich im zweiten Stock auf den Treppenabsatz gesetzt und zugeguckt, wie das Wasser Stufe für Stufe höher kam“, erzählt die 58-Jährige. Surreal sei das gewesen. „Mein Kopf war leer, aber ich war nicht panisch.“ Einen Moment echter Angst gab es, als eine komplette Außensauna gegen das Haus donnerte. „Ich habe mir wie ein kleines Kind das Plumeau über die Ohren gezogen und gezittert am ganzen Körper.“ Das Fenster stand sperrangelweit offen. Zumachen? Schaffte sie nicht mehr. „Es war wahnsinnig laut, die Baumstämme krachten in die Fenster, das Wasser war gewalttätig. Einstürzende Häuser machen Krach. Knirschen, schrappen, gurgeln.“ Dass zu dem Zeitpunkt unten Baumstämme in der Küche lagen, habe sie da noch nicht realisiert.

„Als es hell wurde, ist mein Vater dann durchs Wasser zu meiner Mutter gewatet“, erzählt Lukas. „Ich bin in den Ort rein, weil ich zu meiner Freundin wollte. Erst hab ich noch dem Nachbarn geholfen, seinen Vater zu suchen, der vermisst wurde. Heute weiß ich, dass er schon ertrunken war.“ Dann überquerte er auf der abgesperrten Brücke die Ahr. „Hat aber keiner was gesagt, die haben gesehen, dass ich nicht aus dem Hotel kam. Meine Freundin habe ich dann bei meinem Onkel getroffen, der auf dem Berg wohnt.“

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Lukas Sermann im Weinberg

Im Gästehaus des Onkels sind Elmar und Luzia derzeit untergekommen. Luzia, gelernte Industriekauffrau, versucht, die EDV wieder ans Laufen zu kriegen, der Frühstücksraum ist jetzt ihr Büro. „Die ersten zwei Wochen habe ich nur funktioniert. Mir fehlte Denkkapazität. Selbst geläufige Namen fielen mir nicht mehr ein. Du denkst, du hast einen an der Klatsche.“ Sie lacht. Erste Priorität habe jetzt die Ernte. „Der Keller muss stehen, wenn die ersten Trauben kommen.“ Und versandfähig müsse man wieder werden. Ein Teil der Flaschenweine lagert aus Platzgründen bei einem Spediteur in Grafschaft und blieb so von den Fluten verschont. „Das ist besser als nichts.“

„Man versucht, sich eine gewisse Normalität einzureden“, sagt Lukas. „Mein Tag sah immer so aus, dass ich etwa sechs Stunden im Weinberg war und ansonsten Termine wahrgenommen habe oder in der Gastronomie gearbeitet habe. Aufgrund der Witterung haben wir eh ein herausforderndes Jahr. Alles wächst sehr schnell, der Infektionsdruck für Pilzkrankheiten ist sehr groß.“

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Schlammverschmierte Flaschen

Hundert Helfer sind aus anderen Weingebieten gekommen. Bei einer gemeinsamen Putzaktion hat man sich Berg für Berg vorgenommen, das Laub geschnitten. Dann wurde mit Hubschraubern gespritzt. „Ohne die Hilfe ginge es nicht. Wir leben jetzt hier in diesen eigentlich unglaublichen Tagesschau-Bildern. Unser Weingut ist quasi besenrein. Aber unser Gemüsegarten – weg. Die Gastro-Küche, gerade für 120.000 Euro renoviert – weg. Das Gästezimmer, vor zwei Wochen fertig gemacht für 50.000 Euro – zerstört. Das tut doppelt weh, weil es neu war.“

Am Donnerstagmorgen sieht es in der Kellerei der Sermanns, die ja eigentlich eine moderne, oberirdische Produktions-, Lager- und Abfüllhalle ist, schon besser aus als noch vor Wochenfrist. Am Montag war Dachdecker Michael Ludes mit sieben Leuten extra aus Leiwen von der Mosel an die Ahr gekommen, um die Kellerei winterfest zu machen. Provisorisch wurden die weggeschwemmten Seitenwände der auf Stahlträgern stehenden Halle mit Holz und Planen abgedichtet, die Dächer des Weinguts repariert. Bereits eine Woche zuvor war Ludes, von Winzern vermittelt, mit Kumpeln zum Schlammschippen dagewesen, hatte die Schäden gesehen und einen erneuten Hilfseinsatz versprochen. „Der Schlamm ist weg bei uns, wir brauchen Spezialisten jetzt an der Ahr“, sagt Elmar Sermann (61). „Für die Tanks, für die Elektrik.“ Man habe jetzt Strom und fließendes Wasser, das sei schon fast luxuriös angesichts der Situation andernorts im Tal. Während auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Trupp Bundeswehrsoldaten versucht, die Gräber auf dem Friedhof vom stinkenden Schlamm zu befreien und im Minutentakt große Mulden voller Schutt über die Seilbahnstraße rumpeln, sieht es bei Sermanns trotz aller Zerstörung fast wieder geordnet aus.

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Alles ist jetzt auf die kommende Ernte ausgerichtet.

Elmar Sermann hat die Ruhe weg. Äußerlich. Obwohl sein Handy alle paar Minuten klingelt. Aber im Kopf rasen die Gedanken. „Wer hier nicht bellt“, sagt er, „bekommt nix. Man muss schnell sein.“ Und Sermann ist schnell. Ein Mietstapler steht vor der Tür, ein Tankspezialist war Mittwoch auch schon da, gerade wird ein Kompressor angeliefert. „Damit können wir die Elektrik trockenpusten.“ Viele Firmen seien sehr entgegenkommend, langjährige verlässliche Kontakte zahlen sich jetzt aus. Das erste Ziel ist klar: „Wir müssen die Ernte bergen.“ Dazu muss die Infrastruktur wieder hergestellt werden. Ein Paketbote liefert Ersatzteile. „Wie hoch war das Wasser hier?“, fragt er. „Auf dem Dach lag ein Baumstamm“, sagt Sermann. Unvorstellbar. Die großen Stahltanks werden bis zum Wochenende fertig gereinigt und dann wieder aufgestellt. Der Winzer weiß genau: „Im Herbst ist das selbst in einem gut organisierten Betrieb Arbeit rund um die Uhr. In diesem Provisorium wird das schwierig.“

Sein Sohn Lukas arbeitet jetzt schon 14 bis 16 Stunden täglich. Bei der Fahrt in die Weinberge gähnt er wiederholt. Nicht nur sein Weingut ist in der Flut untergegangen, auch seine Wohnung in Bad Neuenahr stand bis unter die Decke voll Wasser. Eigentlich wollte er etwas Distanz haben zur Arbeit nach Feierabend, „ein bisschen Abstand zum Dorf und den ganzen Geschichten“, sagt er und zuckt mit den Schultern. „Jetzt wohne ich im ehemaligen Kinderzimmer meiner Freundin bei deren Eltern.“

Wir fahren zum Altenahrer Eck. Der Blick ist fantastisch, und der braune Fluss der Zerstörung liegt im Tal unter Staubwolken wie eine Schlange, die alles auf einmal verschluckt hat und jetzt so vollgefressen ist, dass sie sich nicht mehr bewegen kann. „Die Lage hier liegt mir besonders am Herzen“, sagt Lukas und das Feuer kommt zurück in seine müden Augen. Die Weinstöcke hier sind teilweise 60 bis 70 Jahre alt, wurzelecht sogar 90 bis hundert. „Tiefes Wurzelwerk und geringe Erträge – das macht einfach bessere Trauben“, schwärmt der Mann, der in Geisenheim Weinbau und Önologie studiert hat und für die Ausbildung bis in Südafrika war. Er lebt für den Weinbau. „Alles dreht sich um Essen und Wein“, sagt Lukas, „und wenn man etwas liebt, wird man auch gut darin.“ Das Fachmagazin „Vinum“ zählt ihn zu den „neuen deutschen Rieslingstars“, der „Falstaff“ hat geschrieben: „Lukas Sermann gibt Gas. Die Flächen wurden um Parzellen im Recher Herrenberg, Neuenahrer Sonnenberg und Altenahrer Eck erweitert. Eine klare Entscheidung zu schnörkellosen Weinen ist zu erkennen, ebenso die Absicht, Lagen klar herauszuarbeiten – insbesondere das Kühle der oberen Ahr. Die 1939er-Rieslingreben haben unheimlichen Charme, die Dernauer Schieferlay tiefste Eleganz.“

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Vor der Flut lagerten auch Holzfässer in der Kellerei.

Mit dem Gipfeln der Rebstöcke ist man dank der Hilfe anderer Winzer wieder fast in der Zeit. Wenn die Sermanns jetzt die Technik auf die Reihe kriegen, kann die Ernte kommen. Luzia ist guter Dinge, dass der Versand ab kommender Woche wieder läuft. Elmar ist schon einen Schritt weiter und sorgt sich darum, wo Erntehelfer übernachten könnten. „Man muss auch das Menschliche sehen“, sagt er und sorgt sich um die, die ihre Häuser verloren haben: „Stell dir den November vor, Nieselregen, ein trübes Hotelzimmer, und um halb fünf wird es dunkel – das ist psychologisch eine Mordsherausforderung.“ Er macht sich wieder an die Arbeit. Nur so geht’s. „Wir haben von Tag eins an gesagt, wir machen weiter“, sagt Lukas, „und die Familie zieht mit.“