Erftstadt-Blessem/Hennef. Der Tag von Susanne und Holger Eich ist voller Termine. Wenn das Ehepaar nicht wegen neuer Ausweise zum Bürgeramt oder wegen Grundbuch-Auszügen zum Amtsgericht fährt, wird eine Wohnung besichtigt oder es müssen Strümpfe oder ein Pulli gekauft werden. „Wenn ich dann vor der Verkaufsauslage stehe, holt es mich wieder ein“, sagt Susanne Eich. „Ich denke daran, was da alles in meinem Schrank gelegen hat. Das fühlt sich vollkommen irreal an.“
Das Ehepaar aus Erftstadt-Blessem hat bei dem Unwetter sein ganzes Hab und Gut verloren. Den beiden gehörte das mittlere der drei Häuser, das samt ihrem Grundstück in dem Hochwasser-Krater versunken ist. Fünf weitere Häuser werden noch abgerissen. Die Fotos der Grube sind um die Welt gegangen. Außer einer kleinen blauen Tasche mit Schlüsseln und einem Handy konnten die Eichs nur retten, was sie am Leib trugen. Und ihr Leben. Im letzten Moment.
Rettung im letzten Moment
„Meine Eltern sind im Krieg vertrieben worden“, sagt Susanne Eich. Sie sitzt in Hennef, im Garten ihrer Schwester, in deren Haus das Ehepaar untergekommen ist. Die Sonne scheint und Susanne Eich lächelt. Die Mutter habe nach dem Krieg häufig gesagt, irgendwie gehe es immer weiter, Hauptsache, man hat die Krise zu zweit überlebt. „Als ich von unten gesehen habe, dass meine Frau am Seil nach oben in den Hubschrauber gezogen wurde, da war ich so glücklich, das kann ich nicht beschreiben“, sagt Holger Eich. Seine Stimme versagt, die Tränen kommen. Er sei ein positiver Mensch, habe keine Angst vor Herausforderungen. „Aber ich sage es ganz offen, ab und zu weine ich seit dem Unglück abends. Oder ich fange plötzlich an zu zittern, ohne offensichtlichen Grund.“
Die Eichs sind von ihren Arbeitgebern auf unbestimmte Zeit freigestellt worden. „Wir sollen erst einmal unsere Sachen regeln“. Manchmal sei es verwirrend, was noch alles getan werden müsse, sagt Holger Eich. Vom Tag, als die Katastrophe kam, erzählen die beiden, als wäre es gestern gewesen.
Holger Eich: „Wir haben uns keine großen Gedanken gemacht. Abends, gegen 18 Uhr, da standen die Autoreifen so zwei, drei Zentimeter im Wasser. Das floss aber wieder ab. Dann sind wir irgendwann ins Bett gegangen. Die Stadt hatte die Kanalisation vor sechs, sieben Jahren erweitert. Da haben wir gedacht, selbst wenn noch etwas kommt, dann läuft das ab, da wird nicht allzu viel passieren.“
Susanne Eich: „Nachts gegen ein Uhr hat uns eine Nachbarin wach geklingelt. Das Wasser steigt und steigt, rief die. Als wir die Haustür öffneten, stand es nur noch etwa einen Zentimeter unter der obersten Treppenstufe, also etwa 80 Zentimeter hoch.“
Holger Eich: „Mit Holzplatten, schwere Blumentöpfe obendrauf, haben ich versucht, die etwas höher liegenden Kellerschächte abzudecken. Etwa eine Viertelstunde später krachte es im Keller, die Flut hatte die Fenster zertrümmert. Etwa nach einer Stunde lief das Wasser in das Erdgeschoss. Das ging rasend schnell. Gegen drei Uhr schwammen die Sofas im Wohnzimmer.“
Susanne Eich: „Na ja, muss ich halt putzen, wenn das Wasser wieder weg ist, habe ich gedacht. Und der Schaden, kann man nichts machen. Irgendwann wird es schon aufhören, nachzulaufen. Wir müssen nur noch etwas ausharren. Dann haben wir uns oben im ersten Stock aufs Bett gelegt, um etwas auszuruhen. Wir konnten ja eh nichts machen.“
Holger Eich: „Am nächsten Tag, so gegen Mittag, kam urplötzlich die Strömung. Da wurde mir mulmig. Ich dachte: Ok, du schaffst es vielleicht noch mit aller Macht durch die Fluten. Aber meine Frau? Um sie nicht zu beunruhigen, habe ich nichts gesagt.“
Susanne Eich: „Das Wasser schoss richtig durch die Straße, und große Gegenstände krachten gegen unsere Haustüre.
Holger Eich: „Aus dem Schlafzimmerfenster heraus habe ich gesehen, dass noch etwas anderes passierte. Die Abbruchkante der etwa sechs- bis siebenhundert Meter entfernt liegenden Kiesgrube kam immer näher. Die wanderte regelrecht auf uns zu. Das Weizenfeld vor unserem Haus verschwand im Nichts. Das sieht irgendwie komisch aus, dachte ich. Was ist da los?“
Susanne Eich: „Um 14 Uhr habe ich die Polizei angerufen, die Feuerwehr war nicht mehr zu erreichen. Man kommt uns holen, haben die gesagt. Es passierte aber nichts. Um 15 Uhr habe ich wieder angerufen. Die Akkus unserer Handys wurden langsam leer. Gegen 15.30 Uhr raste die Kante immer schneller auf uns zu. Wo bricht das Feld denn hin, das ist doch ebenerdig, habe ich gesagt. Im Gebirge, wenn am Hang was wegbricht, das versteht man. Aber hier? Zum ersten Mal hatte ich jetzt Todesangst, habe noch einmal bei der Polizei angerufen. Und gesagt: »Wir sitzen hier an einer Abbruchkante. Und wenn Sie uns nicht spätestens in einer Stunde abholen, dann könnte es sein, dass unser Haus mit uns in diesem Erdloch versinkt.«“
Der Hausrat ist nicht versichert
Der Rettungshubraucher der Bundeswehr kam etwa eine Viertelstunde später. Von den drei gepackten Taschen durfte nur die kleine blaue Handtasche mit. Als Susanne Eich am Seil hing, sah sie von oben das ganze Ausmaß der Verwüstungen. „Um Himmels willen, hoffentlich hält das noch, bis Holger und der Retter oben sind“, habe sie gedacht. Der Moment, als ihr Mann im Hubschrauber ankam: „Ich wusste, das Leben ist gerettet, wir hatten uns noch. Die Sachen waren mir erstmal egal.“
Dass weder Haus noch Grundstück zu retten waren, sei ihm in diesem Moment schon klar gewesen, sagt Holger Eich. „Man hofft zwar noch. Aber dieser riesige Krater. Unfassbar, was da passierte. Wenn Sie sehen, was da auf ihr Lebenswerk zurollt. Das ist nicht zu begreifen.“ Vor einigen Tagen, in einem Drohnenvideo der Bundeswehr, hat das Ehepaar die Dachfenster ihres Hauses entdeckt. Tief unten in der Grube. „Und wie wäre es jetzt, wenn man die Fenster öffnet und alles ist wie vorher?“, hat Holger Eich sich gefragt.
Gibt es eine Entschädigung für das verschwundene Grundstück?
Das Ehepaar hat zwar eine Gebäude-Elementarversicherung, die für Hochwasserschäden aufkommt, aber keine entsprechende Hausratabsicherung. „Das Haus ist versichert, von den Sachen, die drin waren, verabschiedet man sich gedanklich – bleibt einem ja auch nichts anderes übrig. Aber was ist mit dem Grundstück?“, fragt Susanne Eich.
Am Montag komme der Sachverständige der Versicherung, um über das weitere Vorgehen zu beraten.Nachdem sie das 250-Quadratmeter-Grundstück mit Haus 1999 kurz nach ihrer Hochzeit gekauft hatten, wurde im Laufe der Jahre vieles erneuert.
„Neu anfangen zu müssen, das ist extrem bitter“
„All die Mühe und das Geld, das wir reingesteckt haben. Das war unser Schmuckstück. Und das Umfeld! Mit den Nachbarn, wir haben uns traumhaft gut verstanden, so etwas kriegen Sie nie wieder“, sagt Holger Eich. „ Ich stehe etwa eineinhalb Jahre vor der Rente, habe gedacht, wir können durchatmen und das Leben genießen. Jetzt wieder völlig neu anfangen zu müssen, das ist extrem bitter.“
Es seien die Selbstverständlichkeiten, die schmerzen können, berichtet seine Frau. Der Gedanke, wenn man unterwegs ist: Jetzt fahre ich wieder nach Hause. „Aber da ist ja nichts mehr.“ Das fühle sich eigenartig an. „Entwurzelt“, ergänzt Holger Eich. Ob es die Kiesgrube war, die die Jahrhundertflut in Blessem zur Katastrophe werden ließ? „Wir sind oft mit den Rädern um die Grube gefahren, zuletzt vor etwa einem Monat. Ich hatte immer schon ein komisches Gefühl. Denn die haben tiefer und tiefer gegraben“, sagt Holger Eich. Seine Frau meint: „Wir wollen da jetzt nicht irgendwem voreilig die Schuld in die Schuhe schieben. Warten ab, was die Geologen sagen. Vielleicht war das abgesichert, vielleicht war das alles rechtens.“
„Wir wollen nie wieder an die Unglückstelle zurück“
Und in Zukunft, wäre es denkbar, irgendwann einmal zurück nach Blessem zu ziehen? Nein, er werde den Ortsteil nie wieder betreten, sagt Holger Eich. „Wir waren da zu glücklich.“ Sie werde vielleicht noch einmal in den Ort, niemals aber an die Unglücksstelle zurückkehren, sagt seine Frau. „Alleine die Vorstellung, das Haus liegt unter dem Boden, die ist gruselig. Wie in einem Grab.“