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Verzweifelte Ahrwinzer„Ohne Hilfe wird das hier eine Geisterlandschaft“

Lesezeit 9 Minuten
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Edler Wein, vom Schlamm zerstört

  1. Winzer Alexander Stodden sagt über die Flutwelle der Ahr: „Wenn Sie das auf Köln übertragen, was hier los war, hätten sie eine Hochwassermarke von 17 Metern.“
  2. Die komplette Infrastruktur des Ahrtals ist zerstört: Keine Bahn, keine Fremdenzimmer, keine Straßen, keine Restaurants.
  3. Auch einige Winzer haben die Horrornacht nicht überlebt. Weil alles weg ist, denken jetzt einige ans Aufhören.
  4. Eine Reportage.

Altenahr/Rech – Der Pfarrer von Rech kann jetzt aufs Wasser gucken. Sein Haus stand bis vor Kurzem in der dritten Reihe, aber dann kam das Inferno. Die Wassermassen der Ahr spülten die Gebäude vor dem seinen komplett weg, die Uferstraße auch. Die Brücke – zerstört. Die Uferböschung – weg. Die Bahntrasse – endet im Nichts. Die Bäume – zersplittertes Holz. Die Ahr – ein Flüsschen. Allein der Nepomukschrein steht noch wie durch ein kleines Wunder über dem Flussbett. Ein leichter Ölfilm auf dem Wasser glänzt regenbogenfarben im Sonnenlicht.

„Im Einklang mit der Natur alles tun, um Wein zur Vollendung zu bringen. Die Weinberge sind das Pfund, mit dem wir wuchern können.“ - Alexander Stodden, Ahr-Winzer

Das Szenario erinnert an einen Endzeit-Film. Fußgänger balancieren über einen schwimmenden Steg, Autowracks werden auf der improvisierten Schotterstraße abtransportiert, Bagger verladen die Müllberge in riesige Mulden, verdreckte Helferinnen ziehen mit ihren Schaufeln zum nächsten Keller, über das Megafon eines Panzerwagens werden die Bürgerinnen zu einer Versammlung gerufen, am Himmeln knattern Hubschrauber im Minutentakt. Überall Soldaten, Polizisten, Feuerwehrmänner, THW-Leute. Ein Frontlader passiert vorsichtig eine Pontonbrücke. Wenn jetzt noch ein Flüchtlingstreck um die Ecke biegen würde, man wäre nicht überrascht.

Alles zum Thema Feuerwehr Köln

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Zerstörte Infrastruktur: in Altenahr sieht es aus wie nach einem Bombenangriff, auch die Bahnlinie ist massi demoliert.

Im Einklang mit der Natur ist hier nichts mehr. „Sie hätten das mal vor drei Tagen sehen sollen“, sagt Winzer Alexander Stodden fast gelassen. Er weist einen Bundeswehrtanklaster ein, der Diesel für das Notstromaggregat auf seinem Hof bringt. An Strom und Wasser aus Leitungen ist nicht zu denken. „Die alltäglichen Dinge fehlen. Nur Dixiklos, keine Duschen.“ Man freut sich an Kleinigkeiten wie der Hähnchenbraterei auf Rädern, die den Menschen heute kostenloses Mittagessen bietet, oder den beiden jungen Frauen, die Tag für Tag ihren kleinen Würstchenstand aufbauen vor dem, was von Stoddens Vinothek übrig geblieben ist. „Abnehmen werde ich wohl nicht“, sagt er und grinst. „Die Unterstützung ist sagenhaft.“

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Auch Winzer Alexander Stodden aus Rech beklagt massive Schäden.

Hinter dem Haus befreien Männer und Frauen Weinflaschen vom Schlamm und stapeln sie in Gitterboxen. „Mit vier Metern Hochwasser haben wir ja gerechnet“, sagt der 48-Jährige, der das Weingut Jean Stodden in fünfter Generation leitet und zu einem der Spitzengüter im Ahrtal entwickelt hat. Kritiker bescheinigen seinem Spätburgunder „Weltklasse“, der „Feinschmecker“ urteilt: „Alexander Stoddens Weine sind zwar leise, doch wer richtig hinhört, hat eine der schönsten Symphonien im Glas.“ Der Gault Millau bezeichnete ihn 2018 als den „Pinot-Noir-Verrückten von der Ahr“.

Die Horrornacht in Rech, Dernau und Altenahr

Jetzt steht er in Shorts und T-Shirt im Aufräumchaos und schaut nachdenklich hoch zum Herrenberg. Bis zu einem bestimmten Punkt habe man versucht, das Wasser von den Kellern fernzuhalten – vergebens. „Wenn Sie das auf Köln übertragen, was hier los war, hätten sie eine Hochwassermarke von 17 Metern.“ Die Hochwasserschutzmauer schützt bis 11,30 Meter. Fünfeinhalb Meter Wasser mehr? Unvorstellbar, auch von Köln wäre nicht mehr viel übrig gewesen.

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Zwei junge Frauen stehen täglich in Rech und verteilen kostenlos Würstchen an Anwohner und Helfer.

Alexander Stodden ist glücklich, dass seine Familie die Katastrophe gesund überlebt hat. Zu viele Menschen, auch Bekannte oder Nachbarn, sind gestorben. Dennoch hat es ihn hart erwischt. Der halbe Fuhrpark ist weg, das neue Blockheizkraftwerk wohl nicht zu reparieren. Vom Wein gar nicht zu reden. „Wo meine Flachlagen standen, ist jetzt Steinwüste“, sagt Stodden.

150 von 180 Barriques sind allein bei Stodden zerstört

Auch wenn das Basement der Weingutes mittlerweile weitgehend entschlammt und entwässert ist, der Schaden ist immens. Über Tage war mehr Wasser im Keller als Wein: 180 Barriques à 228 Liter dümpelten in der brackigen Brühe, hauten sich teils gegenseitig die Stöpsel aus den Spundlöchern. Als das Wasser abgepumpt ist, setzt sich ein Film aus Heizöl, Diesel und anderem auf die Fässer und gibt ihnen den Rest. Der Winzer zeigt seinen Fässerfriedhof: „Wenn ich 30 Prozent des gelagerten Weins retten könnte, wäre ich glücklich.“

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Nur scheinbare Idylle: In Dernau stand das Wasser bis hoch an die Kirche.

Mit Schutt beladene Muldenkipper rollen in Reihe über die vom Matsch befreite Landstraße Richtung Dernau, Staubwolken ziehen über das, was von den Flachlagen übrig ist, zwischen Restrebstöcken glitzert ein Autowrack. Durch die Dörfer geistern die dramatischen Geschichten aus der Nacht, in der das Wasser kam. Die von den Näkel-Schwestern Meike und Dörte etwa, die beim Versuch, ihre direkt an der Ahr gelegene Produktions- und Lagerhalle zu schützen, fast ertrunken wären. Sie konnten sich auf die Krone eines alten Baumes retten, von wo sie die Feuerwehr erst Stunden später barg.

"Wir stehen quasi vor dem nichts."

„Das Hochwasser hat unser Weingut so gut wie völlig zerstört“, schreiben die Inhaberinnen des wohl bekanntesten Gutes an der Ahr auf Twitter, die Großen Gewächse aus dem „Kräuterberg“ oder dem „Pfarrwingert“ von Meyer-Näkel aus Dernau sind unter Kennern weltweit gefragt. „Die Produktion, das Barrique- und Tanklager, die Maschinenhalle und das Flaschenlager wurden von der sechs Meter hohen Flutwelle erfasst. Fast alle Barriquefässer sind weggeschwommen, zum Großteil sogar die Tanks, und unsere Weinpresse wurde viele Kilometer mitgerissen. Wir stehen quasi vor dem nichts.“

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Lukas, Sermann, innovativer Jungwinzer aus Altenahr, hat alles verloren, aber überlebt.

Ähnlich ist die Geschichte von Lukas Sermann, einem der jungen, innovativen Winzer aus dem etwas flussaufwärts gelegenen Altenahr. Er habe noch mit seinem Vater versucht, Gerätschaften zu sichern, als der Tsunami angerollt sei. Im letzten Moment konnten sich die Männer über einen Gabelstapler in den zweiten Stock eines Nachbarhauses retten, schlugen die Scheibe ein. „Bis über die erste Etage war alles überspült. Ein Freund hat mir ein Video geschickt und geschrieben: Ich glaub, da schwimmen gerade deine Fässer vorbei.“

Vollkommen durchnässt, eingerollt in alte Teppiche

Dann brach das Netz zusammen. Sie verbrachten die Nacht vollkommen durchnässt im fremden Haus, eingerollt in alte Teppiche, keinen Kontakt zur Außenwelt. „Aber alle aus der Familie haben überlebt, das ist das wichtigste.“ Seine Produktionshalle ist zu großen Teilen zerstört, der Jahrgang 2020 komplett weg. Gegenüber, auf dem Friedhof, checken Polizei und Feuerwehr, ob die Flut keine Leichen exhumiert hat. In den Gebäuden, die noch stehen, klaffen dunkle Löcher, wo einst Fenster und Türen einluden, Essen und guten Wein zu genießen. „Wein ist mein Leben“, sagt der 31-jährige Sermann, „deswegen machen wir weiter, trotz allem.“

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Marc Adeneuer, VDP-Vorstand des Regionalverbandes Ahr, hat dem Fachmagazin „Falstaff“ gesagt: „Ich habe zwölf Menschen gekannt, die im Wasser umgekommen sind. Jetzt möchte ich einfach nur, dass diese Region als Ganze überlebt.“ Das wird schwer genug, denn fast jeder hier hat etwas verloren. Eine Region, die fast ausschließlich vom Wein und vom Tourismus lebt, hat keine Infrastruktur mehr. Keine Straßen, keine Brücken, keine Restaurants, keine Zimmer. Bis die Bahn wieder fährt, werden wohl viele Jahre ins Land gehen. Und es ist jetzt schon absehbar, dass nicht alle weiter machen. „Wie sollen wir in den nächsten zwei Jahren Wein verkaufen?“ fragt sich nicht nur Matthias Baltes, Geschäftsführer der Winzergenossenschaft Mayschoss. „Selbst wenn man versichert ist, ist dieser Totalausfall existenzbedrohend.“

Existenzbedrohender Totalausfall

Seine Immobilien in Mayschoss, Ahrweiler und Walportzheim sind abgesoffen, die interne Logistik samt EDV komplett zerstört. „Jetzt werden die Gebäude entkernt.“ Gutachter der Versicherungen waren da, um die Schäden zu bewerten. Wie es weitergeht? Er zuckt die Achseln. „Ohne Hilfe von außen wird das hier eine Geisterlandschaft.“

Es sind die konkreten Dinge, an die man sich klammert. Und Mitte bis Ende September steht die Weinlese an. „Die muss gerettet werden“, sagt Matthias Baltes, „der Jahrgang 2021 ist das Kapital, um unsere Existenz zu sichern.“ Deshalb sei der anstehende Laubbeschnitt extrem wichtig. Jetzt entscheide sich, was im Herbst auf die Kelter kommt. „Die Triebe müssen gegipfelt werden“, erläutert Baltes: besonders in einem feuchten Sommer würden die Trauben entblättert, um Luft und Sonne zu bekommen. „Der Pflanzenschutz darf nicht unterbrochen werden, deshalb sind wir sehr dankbar, dass jetzt die Hubschrauber auch über den Flachlagen spritzen dürfen“, sagt Baltes und betont, dass es sich nicht um Insektizide handelt, sondern der Wein nur vom Pilzbefall geschützt werden muss. „Durch die hohe Feuchtigkeit breitet sich der falsche Mehltau aus.“ Es ist nicht mehr oder weniger als eine Überlebensfrage.

Falscher Mehltau bedroht die kommende Ernte

Deshalb ist man an der Ahr so dankbar für eine unfassbare Welle der Solidarität der Kollegen aus anderen Anbaugebieten. Aus ganz Deutschland kommen sie und übernehmen vor allem an freien Wochenenden den Beschnitt. 550 Hektar Rebflächen sind an der Ahr zu bearbeiten, keine zehn Prozent davon sind Flachlagen. „Die Handarbeitstrupps arbeiten sich durch die Steillagen“ sagt Baltes. „Die fangen links an und machen Reihe für Reihe – egal, wie der Winzer heißt. Obmänner beaufsichtigen das.“ Auch zur Ernte im Herbst würden Helfer gebraucht.

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Pilzbefall bedroht die Ernte: die Rebstöcke müssen dringend beschnitten ("gegipfelt") werden.

Einer, der die Hilfen so koordiniert, dass sie möglichst punktgenau da einsetzen, wo sie gebraucht werden, ist Christian Althammer. Der Haupterwerbswinzer, der Wein nur anbaut und nicht selbst produziert, ist selbst nicht abgesoffen und will deshalb die Kollegen unterstützen. Er verteilt ankommende Sachspenden wie Schmalspurtraktoren oder anderes Gerät und organisiert Pläne, um etwa die 400 Winzerkollegen, die letzte Woche ins Ahrtal kamen, sinnvoll einzusetzen. Natürlich brauche man Geld und Maschinen, aber: „Allein die Dagernova hat mehr als 600 Mitglieder, viele davon Nebenerwerbsbetriebe“, erzählt Althammer. „Die haben teilweise nicht einmal mehr Scheren.“ Groß ist die Not auch im logistischen Bereich. Viele hätten keine Computer mehr, Netzverbindungen seien nach wie vor schwierig mancherorts. Hilfswillige wenden sich derzeit an seine persönliche E-Mail (c.althammer@events-ahrtal.de), eine Website gäbe es nicht. Und für die Ernte würden in diesem Jahr besonders viele helfende Hände gesucht.

Benefizwein "SolidAHRität"

Hilfe ganz anderer Art hat Dominik Hübinger, Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft Dagernova in Bad Neuenahr, angeleiert. „Wir werden bei Kollegen an der Mosel einen Benefizwein abfüllen lassen. Ab kommenden Freitag wird unter dem Namen „SolidAHRität“ bei Peter Mertes in Bernkastel-Kues diese Sonderedition produziert.“ Als Preis sind derzeit 7,49 Euro pro Flasche im Gespräch. „Der Handel wird auf seine Margen und auf Exklusivität verzichten“, freut sich Hübinger, „Aldi etwa hat zugesagt, kein Problem damit zu haben, wenn es den Wein auch bei Edeka gibt.“ So breit aufgestellt könnte die Aktion am Ende viel Geld in die Kassen des Hilfsfonds bringen.

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Die Flachlagen hat das Hochwasser komplett zugemüllt oder gänzlich fortgerissen.

Aber Hübner kann auch anders helfen. Weil die Traubenannahmestationen seiner Genossenschaft vom Wasser verschont blieben, kann zumindest ein Teil der Ernte aus dem oberen Ahrtal bei ihm angenommen werden. „Dass die Ernte dieses Jahr wohl nicht so toll werden wird, liegt nicht am Hochwasser, sondern eher am Wetter. Es ist einfach zu feucht.“ Der Einklang mit der Natur scheint auf lange Sicht kaum mehr möglich.