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Mafia im RheinlandDer Mann, der Drogengeschäfte der ’Ndrangheta organisierte

Lesezeit 7 Minuten
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Seit Ende 2015 lebt seine ganze Familie an einem bewachten Ort unter falscher Legende im Zeugenschutz. (Symbolbild)

  1. Über NRW-Lokale wurde tonnenweise Kokain verschoben.
  2. Erst organisierte dieser Kronzeuge die Drogengeschäfte der ’Ndrangheta. Als seine Komplizen ihn bedrohten, stieg der führende Consigliere aus und vertraute sich der Polizei an.
  3. Sein Seitenwechsel rief bei den betroffenen ’Ndrangheta-Clans seinerzeit harsche Reaktionen hervor.
  4. Er solle seine Aussagen zurücknehmen, hieß es. Im Gegenzug winke eine halbe Million Euro und gefälschte Pässe für die Flucht. Er aber weigerte sich.
  5. Dieser Artikel wurde im Mai 2020 veröffentlicht. Ein Text aus unserem Archiv

Düsseldorf – Domenico Scoglio (Name geändert) wurde die Sache dann doch zu heikel. Die nächste Drogenfuhre aus Südamerika stand an, zwei Millionen US-Dollar hatten Kuriere zu den Großlieferanten aus Übersee geschafft. Scoglio, ein führender Rauschgift-Consigliere (Berater) der kalabrischen ’Ndrangheta, bekam allerdings kalte Füße. Nach Unstimmigkeiten mit seinen Partnern drohte man, ihn zu töten. Vor viereinhalb Jahren wechselte er deshalb die Seiten und avancierte zum Pentito für die italienische Polizei, zum Reumütigen, zum Verräter. Seitdem sitzt er im Zeugenschutzprogramm. Ein Glücksfall für die Duisburger Staatsanwaltschaft.

Denn Scoglio ist nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ der wichtigste Kronzeuge im Mammutkomplex um einen von NRW aus international operierenden mutmaßlichen Drogenring der ’Ndrangheta, dessen 14 mutmaßliche Hauptakteure im Februar angeklagt wurden. Die Strafverfolger sprechen von der „Mafia & Co KG“, die bis zu ihrer Festnahme Ende 2018 über die Rhein- und Ruhrschiene im großen Stil Kokain von ihren südamerikanischen Quellen über die Seehäfen in Belgien und den Niederlanden nach Süditalien verschoben haben soll.

Scoglio belastete die Angeklagten im Duisburger Drogenkonsortium um den mutmaßlichen Boss Giuseppe M. schwer. Schließlich sollen diese bei ihm den Kokainhandel gelernt haben. Scoglio fungierte einst als einer der Chefstrategen im Rauschgiftgeschäft der ’Ndrangheta. Und so gewährte er den deutschen Drogenfahndern detaillierte Einblicke in die Methoden der mächtigsten der vier italienischen Mafia-Organisationen.

Hochburg in Kalabrien

Den Ermittlungen zufolge lenkt die ’Ndrangheta über die Heimatprovinz Reggio Calabria ihre kriminellen Operationen in ganz Italien, EU-Staaten wie Deutschland nebst Süd- und Mittelamerika. Die Familiensyndikate seien auch in Deutschland und Belgien höchst aktiv, erläuterte der Direktor der italienischen Anti-Mafia-Behörde DIA, Giuseppe Governale, im vergangenen Jahr. „Durch Korruption und Gewalt dringen sie tief in die Gesellschaft ein und werden immer größer und einflussreicher“, so der DIA-Chef. Die italienische Anti-Mafia-Polizei bezifferte allein die wöchentlichen Einnahmen aus dem Drogenschmuggel auf bis zu 350 Millionen Euro.

Die Organisation besteht demnach aus vielen lokalen Einheiten, darüber stehen drei Bezirke, sogenannte Mandamenti, deren Spitze ein kriminelles Gremium namens „Crimine o-Provincia“ bildet. Es geht um Drogen- und Waffenhandel, Entführungen, Raub, Diebstahl, Mord, Erpressung, Geldwäsche, Betrug, Hehlerei und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Als Hochburg der Verbrecher AG gilt eine Kleinstadt, beschaulich gelegen am Abhang des Aspromonte-Gebirges an der Südspitze Kalabriens: Die Ermittler zählen in San Luca mit seinen knapp 4000 Einwohner insgesamt 39 Mafia-Familien, die meist miteinander verwandt oder verschwägert sind. Der Ort firmiert als „Mutterhaus“ der ’Ndrangheta.

Die beiden mächtigsten Clans Pelle-Vottari und Nirta-Strangio agieren von hier aus verstärkt auch in NRW. Der Sechsfach-Mord vor einem Duisburger Lokal im Jahr 2007 geht auf einen Drogenkrieg der beiden Sippen in der Heimat zurück.

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Der Pate Antonio Pelle, 57, sitzt seit 2016 in Haft. Sein Clan soll hinter den Drogengeschäften gestanden haben. Er gilt zudem als Auftraggeber der Duisburger Mafia-Morde.

Gerade der Pelle-Vottari-Clan dehnt seine Drogen-Connection in NRW seit Jahrzehnten aus. Kronzeuge Domenico Scoglio will nach eigenen Angaben vor allem für den Chef der mächtigen Familie gearbeitet haben: Antonio Pelle. Der Pate soll auch die Duisburger Morde in Auftrag gegeben haben. Im Oktober 2016 entdeckten die italienischen Ermittler den seit Jahren flüchtigen Mafioso in seinem Versteck. Hinter einem Kleiderschrank verborgen, lebte der Boss in einem Bunker unter seinem Haus in der Kleinstadt Bovalino. Inzwischen muss er 20 Jahre Haft absitzen. Laut der Duisburger Staatsanwaltschaft soll der Mafia-Überläufer Scoglio für Clanchef Pelle, 57, zwischen 2010 und 2015 die großen Drogenschäfte in Südamerika abgewickelt haben.

Und so wies der Ex-Consigliere Domenico Scoglio die Duisburger Ankläger in die Abläufe im Rauschgifthandel der ’Ndrangheta ein, beschrieb die ungeheuren Gewinnspannen: In Kolumbien kostete das Kilo Koks 2000 Euro, nach der Einfuhr in die Niederlande wurden 32 000 Euro fällig, in Süditalien stieg der Preis dann auf 45 000 Euro.

Bereits als Jugendlicher begann Scoglio seine kriminelle Karriere. Mit 19 Jahren musste er eine fünfjährige Haftstrafe absitzen. Nach seiner Entlassung verlegte sich der Kalabrese auf den Rauschgifthandel. Stets protegiert durch Mafia-Familien stieg er zum Cheflogistiker für die Koks-Lieferungen auf. Als Resident hatte Scoglio in Bogota zur Tarnung eine Blumenfirma eröffnet. Somit fiel nicht auf, dass er häufig seine Lieferanten in Südamerika besuchte. Zugleich gab er eine Art „Broker“, der den Preis mit den Kartellen abstimmte, die Ware prüfte und die Kosten für den Transport aushandelte.

Am Schluss habe man bei den Familien zu Hause nachgefragt, wer investieren wolle, führte Scoglio aus, „und wir legten die Menge der »Arbeit« (Kokain, d. Red.) fest, die gemacht werden sollte … Anschließend ging es nach Argentinien, Brasilien oder Uruguay, um zu sehen, ob die Lieferanten in der Lage waren, die »Arbeit« zu bewältigen.“ Sobald der Abgesandte grünes Licht gegeben habe, sei das Geld übermittelt worden. Der Stoff landete meist in den Benelux-Seehäfen, die Einnahmen wurden brüderlich geteilt. Anders als im Mafia-Streifen „Der Pate“ erhielten die Investoren der Clans je nach Einlage ihre Gewinne. Im Drogenhandel sei es nicht üblich, den Bossen einen Anteil zu zahlen, erzählte der Überläufer.

Die Gewinne aus den Kokain-Schiebereien flossen nach Angaben Scoglios zu 90 Prozent in Pizzerien, Restaurants und Eisdielen in den Niederlanden und Deutschland.

Zum einen wurden die Lokale für Stützpunkte krimineller Aktivitäten genutzt. So fanden sich Scoglio und seine Komplizen häufiger in einer Duisburger Eisbar zu konspirativen Treffen ein. Dabei ging es den Ermittlungen zufolge beispielsweise um die Frage, wie Transporte von 200 Kilo Koks mit Hilfe zuverlässiger Hafenarbeiter in Antwerpen und Rotterdam sicher aus den Seecontainern auf Lkws zu verfrachten sind.

In den Gastronomie-Betrieben lagerten Waffen

In den Gastronomie-Betrieben des Rheinlands lagerten laut Scoglio auch Waffen und Stoff. So etwa in einem Mafia-Restaurant in Wesseling.

Zum anderen dienten die Lokale dazu, illegale Einnahmen zu waschen. Drogengewinne aus Italien, berichtete der Informant, würden bevorzugt im Ausland investiert. Das hat nach seiner Aussage einen einfachen Grund: Bereits ab einer Summe von 1000 Euro müssen die Besitzer der Guardia di Finanza nachweisen, dass der Betrag nicht aus illegalen Einkünften stammt. Somit könne man in bella italia „mittlerweile mit flüssigem Geld nichts mehr machen“, führte Scoglio aus.

Ganz anders sieht es hierzulande aus. Trotz neuer Vermögensabschöpfungsregeln fehlt es an einer eindeutigen Beweislastumkehr. Das heißt: Der Mafia fällt es leichter, die illegalen Geldflüsse in Deutschland zu verschleiern. Wer viel flüssiges Kapital habe, „investiert in Deutschland, weil es dort einfacher ist, sich Restaurants und Autos zu kaufen“, sagte Scoglio aus.

Sein Seitenwechsel rief bei den betroffenen ’Ndrangheta-Clans seinerzeit harsche Reaktionen hervor. Domenico Scoglio hatte gegen die grundlegende Regel verstoßen: Das Schweigegebot, die Omerta. Ein Mafia-Boss setzte seinen Vater bereits im Herbst 2015 erheblich unter Druck. Domenico solle seine Aussagen zurücknehmen, hieß es. Im Gegenzug winke eine halbe Million Euro und gefälschte Pässe für die Flucht. Scoglio aber weigerte sich.

Ermittler entschlüsselten Chatgespräche

Bald darauf entdeckte sein Vater einen Mann mit einem Gewehr vor seiner Haustür. Offenbar wartete der Fremde darauf, dass der alte Mann sein Heim verließ, um ihn zu erschießen. Der Vater informierte die Polizei. Seit Ende 2015 lebt die ganze Familie an einem bewachten Ort unter falscher Legende im Zeugenschutz.

Die Lücke, die Scoglio nach seinem Ausstieg hinterließ, soll der Pelle-Vottari-Clan durch einen seiner Ex-Helfer geschlossen haben: Fortan soll Giuseppe M. von seinen Stützpunkten im Rheinland aus mit weiteren führenden Mafiosi bis zu ihrer Festnahme die Rauschgifttransporte gelenkt haben. Bei der Razzia im Dezember 2018 wurden 108 Mobiltelefone beschlagnahmt, das Gros mit Verschlüsselungssoftware ausgestattet.

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Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ist es IT-Forensikern des Bundeskriminalamts (BKA) 2019 gelungen, einen Teil der codierten Chatgespräche wieder lesbar zu machen. Ein bahnbrechender Erfolg. Werben doch die Anbieter mit ihren Schutzmechanismen für Krypto-Handys, die nicht zu knacken seien.

Und so rekonstruierten die BKA-Experten beispielsweise einen brisanten Chat aus einem Krypto-Handy, das Giuseppe M. benutzt haben soll: Am Abend des 28. April 2017 berichtete er von einem Marokkaner, der ihm neben Kokain auch noch Crack für 18 000 Euro das Kilo angeboten habe. Seine Gesprächspartner jubelten. Es sei der pure Wahnsinn, dass er den Marokkaner aufgetan habe, antwortete ein Mafioso via codiertem Chat, „dann werden wir reich“. Welch ein Trugschluss.