Mafia-Organisation 'NdranghetaDie Drogen-Connection vom Rhein
- Die Mafia-Organisation 'Ndrangheta hat vom Rheinland aus ihre internationalen Kokaingeschäfte gelenkt.
- Ermittler gewannen tiefe Einblicke in die verbrecherischen Strukturen.
- Teil 1 von 4 unserer Serie „Die Mafia im Rheinland“
- Ein Text aus unserem Archiv: Diese Serie wurde im Jahr 2020 veröffentlicht.
Köln/Wesseling – Guiseppe M. reagierte im April 2017 verärgert. Im Monat zuvor hatten Schweizer Zollfahnder an der Grenze einen Drogenkurier mit knapp 16 Kilogramm Kokain erwischt. Die 14 Pakete waren in der Rücksitzbank eines Citroens C 5 verborgen worden. Guiseppe M., mutmaßlicher Chef eines Drogenrings der italienischen Mafia-Organisation ’Ndrangheta mit Hauptstützpunkten an Rhein und Ruhr, stand unter Druck. Seine Hintermänner forderten ihr Geld zurück. Als ihn ein Nachbar in Wesseling auch noch darauf aufmerksam machte, dass die Polizei sein Lokal „Leonardo Da Vinci“ mit Videokameras beobachtete, schien klar zu sein, wie sie auf ihn gekommen waren: „Diese Bastarde“ von der Drogenfahndung, schimpfte er in einer von den Ermittlern entschlüsselten Nachricht seines Krypto-Handys, hätten die letzten Ziele im Navi des Drogenautos ausgelesen und seien auf die Adresse in Wesseling gestoßen. Von jener Gaststätte aus war der Kokainlieferant zu seiner Tour über Holland nach Italien gestartet.
Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ wusste Guiseppe M. spätestens seit April 2017, dass die hiesigen Behörden hinter ihm her waren. Dennoch soll der mutmaßliche Mafioso unbekümmert weiter seinen Geschäften nachgegangen sein: Drogenhandel im großen Stil. Dies zumindest legen die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft Duisburg nahe, die inzwischen in einer spektakulären Anklage gegen den 34-jährigen Kalabresen und 13 seiner mutmaßlichen Hauptkomplizen mündeten. Nachdem die Polizei sein Lokal observierte, gab Guiseppe M. die Devise aus: Man solle zum Schein den Restaurantbetrieb hochfahren.
Drogengeschäfte im großen Stil
Alsbald beruhigten sich die Gemüter. Die „Mafia & Co KG“, so benannt durch die Duisburger Strafverfolger, organisierte laut Anklage die nächsten Verbrechen: Drogengeschäfte im großen Stil. Seinen letzten Coup sollte der mutmaßliche Mafia-Boss Guiseppe M. nicht mehr in Freiheit erleben. Am 2. Dezember 2018 erreichte eine Maschine aus Bogota den Flughafen Schiphol in Amsterdam. In einer Palette mit frischen Rosen hatten Mitarbeiter einer Tarnfirma aus der kolumbianischen Hauptstadt der Staatsanwaltschaft zufolge 26 Kilogramm Koks versteckt. Ehe die Zollfahnder zugreifen konnten, verschwand der Stoff zwar in dunkle Kanäle. Drei Tage nach der Rosenlieferung aus Bogota jedoch wanderten Giuseppe M. und etliche seiner mutmaßlichen Helfer im Zuge der internationalen Operation Pollino in Untersuchungshaft. Inzwischen warten sie auf ihren Prozess.
Seit 2014 soll die „Mafia & Co KG“ laut Anklage unter anderem mit knapp einer halben Tonne Koks gehandelt haben. Insgesamt listen die Strafverfolger 51 Delikte auf. Nach Hinweisen aus den Niederlanden und Italien nahmen das BKA und das Landeskriminalamt NRW im Juni 2016 verdeckte Ermittlungen auf. Die konzertierten Nachforschungen mit europäischen Kollegen in einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe führten ferner dazu, dass am 23. März 2018 in zwei Containern im Hafen von Rotterdam 3,5 Tonnen Kokain entdeckt wurden. Der Stoff fand sich teils versteckt in Holzbalken. Allerdings ist noch unklar, ob die Angeklagten auch die Empfänger waren.
Üblicherweise agieren die Mafia-Clans im Verborgenen
Selten gewannen die deutschen Strafverfolger derart tiefe Einblicke in Strukturen und Operationen des mächtigsten Mafia-Syndikats in Italien. Laut der Bundesregierung gelten die Ableger der ’Ndrangheta inzwischen als gefährlichste Organisation der hiesigen Unterwelt. Spätestens seitdem die Auseinandersetzungen führender kalabrischer Verbrechersippen im Mord an sechs Mitgliedern einer rivalisierenden Familie vor einem italienischen Restaurant in Duisburg 2007 gipfelten, gerieten die Machenschaften der ’Ndrangheta hierzulande verstärkt ins Blickfeld der Sicherheitsbehörden.
Üblicherweise agieren die Mafia-Clans im Verborgenen. Doch die jahrzehntelang schwelende Fehde zweier Sippen im „Mutterhaus“ der ’Ndrangheta, dem süditalienischen Ort San Luca, führte schließlich zu dem Massaker in der Ruhrmetropole. Exakt 39 Familien ziehen nach den Erkenntnissen der Polizei aus der knapp 4000 Einwohner bestehenden Kleinstadt heraus ihre Fäden im globalen kriminellen Milieu – oder vollstrecken in ganz Europa Mordbefehle. So wie in Duisburg.
Giovanni Strangio, Pizzabäcker und Haupttäter, befand sich zwei Jahre lang auf der Flucht, ehe er in Amsterdam gefasst und später zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. In seiner Wohnung im rheinischen Kaarst stellten die Ermittler seinerzeit eine Zigarettenkippe auf der Terrasse sicher. Am Filter fand sich die DNA-Spur eines guten Bekannten aus der ’Ndrangheta-Elite. Sein Name: Guiseppe M., mutmaßlicher Boss jenes mafiösen Drogenrings, der sich nun vor der Duisburger Wirtschaftsstrafkammer verantworten soll. Das heißt: Bereits vor 13 Jahren als junger Mann unterhielt Guiseppe M. in NRW enge Kontakte zu Killern kalabrischer Syndikate.
Gemäß der Omerta schweigt der Angeklagte bisher. Der 34-jährige Mafioso lebte lange in der ’Ndrangheta-Hochburg San Luca. Schon früh soll er Kontakte zu wichtigen Figuren unterschiedlicher kalabrischer Mafia-Clans geknüpft haben. Sein Onkel organisierte mit einem mächtigen Clan-Chef über Jahre hinweg den Drogenhandel. Als der Onkel am 3. August 2016 im rheinischen Rösrath festgenommen wurde, und sein Komplize später in Italien ebenfalls, suchten die Mafia-Sippen nach einem Nachfolger für die Kokaintransporte. Und so verfielen sie laut Staatsanwaltschaft auf Guiseppe M..
Cheflogistiker für den Pelle-Vottari-Clan
Der Mann kannte das Geschäft. Schon in den Jahren zuvor soll er für seinen Onkel und dessen Komplizen gearbeitet haben. Er wusste wie man Scheinfirmen gründete, die offiziell mit Holz oder Reis handelten, tatsächlich aber Drogen unter der legalen Ware versteckten. Über einen Strohmann wurde im Januar 2015 die Düsseldorfer Firma „Rigano Im- & Export“ gegründet, an die Koks-Lieferungen bis zu 83 Kilogramm gegangen sein sollen.
Den Anklägern zufolge fungierte Guiseppe M. fortan als Cheflogistiker für den Pelle-Vottari-Clan und die Giorgi-Ciceri-Familie auch auf dem südamerikanischen Rauschgiftmarkt. In den Benelux-Seehäfen arbeitete die „Mafia & Co KG“ mit albanischen und marokkanischen Banden zusammen. Diese Gruppierungen schleusten den Stoff rechtzeitig am Zoll vorbei von Bord. Dafür kassierten sie knapp ein Drittel der Koks-Lieferungen. Strohleute von Tarnfirmen, Hafenarbeiter, Logistiker, Kuriere, teure Krypto-Handys, über die verschlüsselte Nachrichten liefen – der ganze Kostenapparat senkte den Gewinn. Am Ende blieb den Mafiosi nach Abzug aller Zahlungen nur die Hälfte der Einfuhren, heißt es in internen Auswertungen.
Einzig seinen „Brüdern“ aus den Mafia-Clans soll Guiseppe M. ohne Bedenken vertraut haben. Als ein verdeckter Ermittler der Polizei, Deckname Kara, ein Koksgeschäft mit der Bande abwickeln wollte und sich erkundigte, an wen er das Geld für den Stoff übergeben solle, antwortete ein Vertrauter von M.: Das sei egal, „ist alles familia“.
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Bis zu seiner Festnahme soll Guiseppe M. von seinem Restaurant in Wesseling aus zahlreiche Mafia-Geschäfte gelenkt haben. Das Lokal benannte er im Laufe der Zeit in „Il Petirosso“ um, das Rotkehlchen. So harmlos aber der Name klang, so kriminell sollen seine tatsächlichen Eigner vorgegangen sein. Nach dem Verlust einiger Ladungen Koks sollen sie den Nachforschungen zufolge im April 2018 ein Einbrecherteam angeheuert haben, um das Lokal komplett zu verwüsten. Die Versicherung zahlte insgesamt 125 000 Euro an die Mafiosi.
Das Lokal „La Piazza“ in Brüggen galt als Mafia-Hotspot
Einen Monat zuvor hatten Medien über einen rechtsradikalen Anschlag auf ein Lokal im niederrheinischen Brüggen berichtet. Die Täter hatten den Innenraum zerstört, an den Wänden fanden sich schwarze Hakenkreuze nebst einem Schriftzug: „Raus hier.“ Zunächst ermittelte der Staatsschutz. Die angebliche Nazi-Attacke entpuppte sich als Farce. Das Lokal galt als Mafia-Hotspot.
Der eigentliche Besitzer, ein ’Ndrangheta-Mitglied des Drogenrings, beschwerte sich in einem belauschten Gespräch bei dem Anführer der Einbrecher, warum sie nicht einfach „paff von oben rein“ die Bude abgefackelt hätten. Dafür habe die Zeit nicht gereicht, erwiderte der so Gescholtene. Die „Bullen“ seien im Anmarsch gewesen. Sein Auftraggeber reagierte unzufrieden: „Da wird aber kein Schaden von 80.000 herauskommen.“