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Mafia im RheinlandWie sich die 'Ndrangheta mit türkischem Geld finanziert haben soll

Lesezeit 6 Minuten

Eine Salve bei einer Hochzeit in Wesseling: Serkan B. sitzt heute in Untersuchungshaft. 

  1. Mitunter stockte der Geldfluss aus der Heimat, deshalb hat die NRW-Mafia laut Ermittlungen türkische Kreditgeber angezapft.
  2. Reichten ihre Kontakte auch zur PKK und ins Rockermilieu?
  3. Teil 2 von 4 unserer Serie „Die Mafia im Rheinland“

Köln/Wesseling – Die Hochzeitsfeier in Wesseling strebte ihrem Höhepunkt zu. Serkan B. feuerte auf der Straße mit seiner Maschinenpistole etliche Salven in die Luft. Die martialischen Handy-Bilder im feinen Anzug mit einer Schreckschusswaffe Mitte Dezember 2016 zeigten den Kfz-Mechaniker auf dem Weg zu ganz Großem. Mitunter nannte sich der Schütze seinerzeit Pablo. So wie sein Vorbild Pablo Escobar, der verstorbene Drogenbaron des kolumbianischen Medellin-Kartells. Serkan B. wähnte sich offenbar auf demselben Weg: Zu Macht und Millionen.

Hinter der Fassade einer Kfz-Werkstatt und einer Tankstelle im Erftkreis soll der heute 40-jährige Deutsch-Türke nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ einen illegalen Geschäftszweig aufgezogen haben: Mit drei weiteren Komplizen aus dem Köln-Bonner-Raum soll er laut der Staatsanwaltschaft Duisburg bis zu seiner Verhaftung Anfang Dezember 2018 Kokaingeschäfte eines Drogenrings der kalabrischen Mafia-Organisation finanziert haben.

Mafia-Familie in Kalabrien kam gelegentlich in Verzug

Immer wenn die Geldflüsse aus Süditalien stockten, sprang die rheinische Türkei-Connection den Ermittlungen zufolge ein. Denn um auch ihre anderen kriminellen Machenschaften zu finanzieren, kam die Mafia-Familie in Kalabrien gelegentlich in Verzug. Auch wenn Drogenlieferungen von der Polizei abgefangen wurden, gelang es den Italienern nicht immer, schnell neues Geld nachzuschießen. Gut eine halbe Million Euro sollen die „Investoren“ um Serkan B. deshalb als „Stammkapital“ in das Drogensyndikat gesteckt haben, das von Lokalen an Rhein und Ruhr aus knapp eine halbe Tonne Kokain nach Italien verschoben haben soll.

Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Duisburg 14 Hauptakteure des 58-köpfigen Kokainringes angeklagt. Neben führenden Mafiosi der ’Ndrangheta müssen sich vier Mitglieder der Türkei-Connection um Serkan B. vor Gericht verantworten. Letztere legten Teilgeständnisse ab und wurden gegen Kautionen von bis zu 150 000 Euro von der U-Haft verschont. Die Strafverfolger sprechen von der „Mafia & Co KG“. Einem kriminellen Joint Venture, das von Südamerika über die Beneluxstaaten und die Logistik-Zentrale in Deutschland die einflussreiche ’Ndrangheta-Familie mit Stoff beliefert haben soll.

Giuseppe M. soll der Kopf der Rheinland-Bande gewesen sein.

Die Geschichte begann den Ermittlungen zufolge im Jahr 2015. Serkan B. lernte einen Italiener kennen, der für seine Drogentouren geeignete Mietwagen suchte. Sein Name: Guiseppe M., mutmaßlicher Cheflogistiker führender ’Ndrangheta-Clans. Im Herbst 2016 geriet der Kalabrese in die Klemme und bat Serkan B. um ein Darlehen in Höhe von 50 000 Euro. Die Konditionen konnten sich sehen lassen: Der monatliche Zinssatz lag bei 24 Prozent. Serkan B. witterte laut Anklage das Geschäft seines Lebens. Er holte drei Bekannte ins Boot, als Guiseppe M. weiteres Geld brauchte. Die Summen stiegen in den sechsstelligen Bereich. Die Türkei-Connection besorgte das Geld von Bekannten zu günstigen Konditionen und gab es zu Wucherzinsen an die ahnungslosen Mafiosi weiter.

Viele der wahren Geldgeber sind den Ermittlern bis heute nicht bekannt. Allerdings legen die Erkenntnisse der Staatsanwaltschaft Duisburg nahe, dass die vier türkischen Darlehensgeber ihr „Rauschgiftinvestment“ aus äußerst dubiosen Quellen gespeist haben sollen. Da ist etwa der mitangeklagte Besitzer einer Luxus-Auto-Firma aus Grevenbroich: Bei seiner Verhaftung fanden sich vier halbautomatische Pistolen nebst Munition. Zudem verfügte er über große Geldbeträge. Ferner besitzen die Ankläger Belege dafür, dass der türkische Unternehmer Mitglied der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK sein soll. Stammte seine Einlage für die Mafia-Kredite von der PKK? Die Ermittler wissen es bislang nicht.

Die Pistole wurde bei einer Razzia gegen die Mafia sichergestellt.

Ein weiteres angeklagtes Mitglied der Türkei-Connection fungierte vor seiner Festnahme als Bürovorsteher einer Kölner Steuerberatungskanzlei. Mustafa P. (Name geändert) lebte auf großem Fuß, fuhr einen Maserati. Hohe Spielschulden drückten. Mit knapp 900 000 stand er in der Kreide, zugleich registrierten die Finanzfahnder Bareinzahlungen binnen vier Jahren von 1,2 Millionen Euro. Der Enddreißiger jedenfalls trug offenbar maßgeblich dazu bei, dass die Kanzlei lief, indem er neue Mandanten an Land zog.

Allerdings, schränkt die Staatsanwaltschaft ein, handele es sich bei den Kunden „in erheblichem Umfang um Personen aus dem schwerstkriminellem Milieu Kölns“. So sollen etwa der Chef der Kölner Rocker-Gang „Bandidos“ genauso zur Klientel gehören wie ein führendes Mitglied des rivalisierenden „Rhine Charters“ der Hells Angels. Anfang Januar trafen sich die konkurrierenden Kuttenträger zufällig in der Steuerberatungskanzlei. Schüsse fielen, der Konflikt setzte sich auf der Straße fort. Verletzt wurde niemand, allerdings sitzt der Bandidos-Boss inzwischen wegen versuchten Totschlags in U-Haft.

Duisburger Mafia-Jäger halten die Kontakte des Bürovorstehers Mustafa P. in die Rockerszene für keinen Zufall

Die Duisburger Mafia-Jäger halten die Kontakte des Bürovorstehers Mustafa P. in die Rockerszene für keinen Zufall: Bislang stehe aber noch nicht fest, ob der Türke Darlehen krimineller Kuttenträger in das Mafia-Geschäft investiert hat. Tagelang wurde P. 2019 zu den Vorwürfen vernommen. So etwa zu den Geldgebern eines Mafia-Kredits in Höhe von 50 000 Euro. Der Bürokaufmann, sonst so redselig, schwieg. Als Grund gab der Angeklagte an: Er wolle in Köln noch weiterleben.

Fakt ist: Die türkischen Investoren hatten sich verzockt. Finanzierte Drogentouren wurden abgefangen, die „Partner“ von der ’Ndrangheta zahlten nicht zurück. Da half es auch nicht, dass die Türkei-Connection vor lauter Misstrauen die Drogenfahrzeuge der kalabrischen Mafia mit GPS-Sender versehen hatten, um die Touren zu verfolgen. Im März 2017 fingen Zöllner an der Schweizer Grenzstelle Novazzone eine Drogen-Lieferung ab. In dem durch einen elektronischen Code gesicherten Versteck in der Lehne der Rücksitzbank fanden sich 14 Pakete Kokain. Als die Nachricht die türkischen Investoren erreichte, herrschte Entsetzen: „Meine 140 000, mein ganzes Geld weg, ich habe fast einen Herzinfarkt bekommen, Alter“, jammerte einer der Geldgeber aus Wesseling in einem abgehörten Telefonat.

Dieselbe Pleite widerfuhr einem weiteren Kurier im Juni 2017. Knapp acht Kilogramm Stoff hatten die Mafiosi laut Staatsanwaltschaft unter dem Fahrer- und dem Beifahrersitz sowie in der Lenkradstange versteckt. Bei Meran in Südtirol stoppte eine Streife den Fahrer. Per SMS schrieb der Schmuggler seinen Hintermännern in Deutschland: „Die Guardia Di Finanza hat mich verhaftet.“ Man möge doch bitte einen guten Anwalt für ihn suchen.

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Der neuerliche Fehlschlag löste bei den türkischen Geldgebern Panik aus. Im August 2017 reisten Emissäre nebst Initiator Serkan B. den Ermittlungen zufolge in die kalabrische Mafia-Hochburg San Luca, um Schadenersatz einzufordern. Es war der Gang in die Höhle des Löwen. Verfolgt durch die kalabrische Polizei, gelang es den Gläubigern mit Hilfe einheimischer Mafiosi in einer Pension unterzutauchen. Letztlich traf man sich mit dem Sohn des Paten der einflussreichen Familie Pelle-Vottari. Der versprach die Angelegenheit zu regeln. Es sei nun ein Problem der Familie, soll er bekundet haben. Er habe um sein Leben gefürchtet, wird Serkan B. später einem verdeckten Ermittler bei einem Treffen für einen Drogendeal berichten.

Der türkischstämmige Polizeibeamte, Deckname Kara, hatte sich seit Sommer 2018 an die „Mafia & Co KG“. herangearbeitet – insbesondere an Serkan B.. Seinerzeit sollen die türkischen Investoren nebenbei ihr eigenes Drogengeschäft eröffnet haben, um ihre Verluste zu kompensieren. Seit Juni 2018 verhandelte Serkan B. mit dem Undercover-Agenten Kara. 30 000 Euro sollte das Kilo Koks kosten. Kara reagierte begeistert. Acht bis elf Kilogramm wollte er angeblich regelmäßig abnehmen. Die Verhandlungen zogen sich über Monate hin: Misstrauen beherrscht das Drogengeschäft. Vor allen Dingen bei Neukunden.

Serkan B. schaute sich den Kaufinteressenten genau an. Er reiste eigens nach Karlsruhe, inspizierte die Wohnung des Mannes und kehrte beeindruckt zurück. Das war einer, der einen Kokaindeal im ein- bis zweistelligen Kilobereich stemmen konnte, dachte B.. Er ahnte nicht, dass er auf einen Polizeilockvogel hereingefallen war, als er am 6. September 2018 auf dem Parkplatz eines Baumarktes in Leverkusen zwei Kilogramm Kokain übergab. Im Gegenzug überreicht der verdeckte Ermittler dem Großdealer 63 000 Euro.

Drei Monate später endete der Traum vom großen Geld für Serkan B., alias Pablo Escobar, mit der Festnahme.