Raub, Entführung, KokainWie die Mafia-Organisation ’Ndrangheta im Rheinland agiert
- In Duisburg startet am Montag einer der größten Mafia-Prozesse der deutschen Geschichte. 14 Personen sind angeklagt, Teil eines Drogenrings zu sein.
- Einer der Hauptangeklagten gilt als Drahtzieher und soll aus Wesseling den internationalen Drogenring gelenkt haben.
- Der Blick in eine Schattenwelt.
- Ein Text aus unserem Archiv: Dieser Artikel wurde zuerst im Oktober 2020 veröffentlicht.
Duisburg/Wesseling – Die drei Männer wähnten sich während der Fahrt in dem VW Touran sicher. Nicht ahnend, dass der Wagen durch das Bundeskriminalamt (BKA) verwanzt worden war, konferierten sie über Drogentransfers aus Südamerika. Das Gespräch drehte sich mitunter um 100 bis 150 Kilogramm. Giuseppe M. aus Wesseling, vermutlich Chefdrogendealer führender Clans der kalabrischen Mafia, sprach von „lavoro bianco“ (weißer Arbeit), wohl ein Codewort der Mafia-Organisation ’Ndrangheta für Kokaingeschäfte.
Sein Onkel sei gerade dabei, informierte M., in der süditalienischen Heimat wichtige Personen zu treffen. Offenbar ging es darum, bei etlichen Mafia-Familien das Geld für die Rauschgifttransaktionen einzusammeln. Am Ende kam M. auf ein besonderes Anliegen zu sprechen: Er brauche ein Gewehr und einen Schalldämpfer. „Schau mal, ob Du was bekommst“, soll er zu einem Mittelsmann gesagt haben.
14 Angeklagte sollen Teil von internationalem Drogen sein
Eine Episode aus dem April 2017, die sich nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ in der 649-seitigen Anklage eines der größten Mafia-Verfahren in Deutschland findet. Ab dem heutigen Montag müssen sich 14 Hauptakteure eines internationalen Drogenringes vor dem Landgericht Duisburg verantworten. Dazu zählt auch der mutmaßliche Kopf der Bande: Giuseppe M., ein 34-jähriger Kalabrese, der vor allem über ein Lokal in Wesseling seine Strippen im international organisierten Verbrechen gezogen haben soll.
Die Staatsanwaltschaft gab dem Kokain-Ring den Namen „Mafia & Co KG“. Denn neben führenden Mafiosi müssen sich auch Drogeninvestoren einer türkischen Connection aus dem Rhein-Erft-Kreis und Köln sowie marokkanische Großdealer vor der Wirtschaftsstrafkammer verantworten. Aus Sicherheitsgründen finden die Sitzungen im Hochsicherheits-Gerichtsbunker in Düsseldorf statt.
Seit 2014 soll die „Mafia & Co KG“ mit 650 Kilogramm Kokain gehandelt haben. Die Anklage listet 51 Tatbestände auf, darunter auch die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Versicherungsbetrug, Steuerhinterziehung sowie unerlaubter Waffenbesitz. Allein bei einem der türkischen Geldgeber fanden sich vier Pistolen.
Mutmaßliche Mafia-Mitglieder halten sich an Kodex
Während sich aber die mutmaßlichen Mitglieder der ’Ndrangheta an die interne Schweigepflicht der Mafia (Omerta) halten, legten sechs Geldgeber oder Lieferanten im Vorfeld Teilgeständnisse ab. Inzwischen wurden sie von der Untersuchungshaft verschont.
Nach Hinweisen aus den Niederlanden und Italien nahmen das BKA und das Landeskriminalamt NRW im Juni 2016 verdeckte Ermittlungen auf. Die konzertierten Nachforschungen mit den europäischen Kollegen in einer gemeinsamen Ermittlungsgruppe (Joint Investigation Team) führten dazu, dass am 23. März 2018 in zwei Containern im Hafen von Rotterdam 3,5 Tonnen Kokain entdeckt wurden. Der Stoff fand sich teils versteckt in Holzbalken. Bisher aber konnten die Strafverfolger die Angeklagten nicht als Empfänger der Lieferung überführen.
Anfang Dezember 2018 dann hatten die Drogenfahnder in der europaweiten Operation Pollino zugeschlagen: 85 Haftbefehle wurden vollstreckt, 150 Objekte durchsucht, davon 70 hierzulande. Allein die Beschuldigtenliste der Duisburger Staatsanwaltschaft umfasst 58 Personen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Selten gewannen die Ermittler gegen die Organisierte Kriminalität derart tiefe Einblicke in Strukturen und Operationen des mächtigsten Mafia-Syndikats in Italien. Nach Einschätzung der Bundesregierung gelten die Ableger der ’Ndrangheta inzwischen als bedeutendste Organisation der hiesigen Unterwelt. Spätestens seit die Auseinandersetzungen führender kalabrischer Verbrechersippen im Mord an sechs Mitgliedern einer rivalisierenden Familie vor einem italienischen Restaurant in Duisburg 2007 gipfelten, gerieten die Machenschaften der ’Ndrangheta verstärkt ins Blickfeld der Sicherheitsbehörden.
Das Geschäft im Verborgenen
Üblicherweise agieren die Mafia-Clans im Verborgenen. Doch die jahrzehntelang schwelende Fehde zweier Familien im so genannten „Mutterhaus“ der ’Ndrangheta, dem süditalienischen Ort San Luca, führte schließlich zu dem Massaker in der Ruhrmetropole. Exakt 39 Familien ziehen nach Erkenntnissen der Polizei aus der knapp 4000 Einwohner bestehenden Kleinstadt heraus global ihre Fäden im kriminellen Milieu – oder vollstrecken in ganz Europa Mordkommandos. So wie in Duisburg. Giovanni Strangio, Pizzabäcker und Haupttäter, befand sich zwei Jahre lang auf der Flucht, ehe er in Amsterdam gefasst und später zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. In seiner Wohnung im rheinischen Kaarst stellte die Kripo seinerzeit eine interessante Zigarettenkippe auf der Terrasse sicher. Am Filter fand sich die DNA-Spur eines guten Bekannten aus der ’Ndrangheta-Elite.
Sein Name: Giuseppe M., mutmaßlicher Boss jenes mafiösen Drogenrings, der sich nun vor der Duisburger Wirtschaftsstrafkammer verantworten soll. Bereits vor 13 Jahren als 20-Jähriger unterhielt der Angeklagte also in in NRW bereits enge Kontakte zu Killern kalabrischer Syndikate. Nachdem ein Familienboss sich als Aussteiger den Drogenfahndern anvertraute und 2016 in Rösrath ein weiterer Mafia-Capo nahe Köln festgenommen wurde, sollen führende Clans den Ermittlungen zufolge dann das Rauschgiftgeschäft in die Hände des Giuseppe M. gelegt haben.
Der Fall „Mafia & Co KG“ enthält alle Facetten, die US-Thriller kaum besser erzählen könnten. Einzige Ausnahme: Es handelt sich um wahre Begebenheiten. Die Spur führt zu den Drogenkartellen in Kolumbien und zu versteckten Servern in Costa Rica. Hochrangige Aussteiger schildern die Strukturen der ’Ndrangheta, die Abläufe des internationalen Rauschgifthandels. Wer zahlt, wer kassiert.
Die Anklage berichtet über verdeckte Ermittler, verwanzte Autos, GPS-Sender, mühselige Observationen. Die Mafiosi benutzten Krypto-Handys für ihre illegalen Geschäfte, die zum ersten Mal durch IT-Forensiker des BKA zum Teil ausgelesen werden konnten. Rauschgiftfinanziers verlangten Wucherzinsen in Höhe von 20 Prozent im Monat. Die Palette reicht von Morddrohungen, Raub, Entführungen bis hin zu Polizei- und Behördenmitarbeitern, die führende Bandenmitglieder mit Daten aus den Amtscomputern versorgt haben sollen.
Denn wie prahlte ein Mafioso in einem abgehörten Gespräch in seinem Auto so schön: „Wir sind die stärkste Mafia, dann kommt Sizilien (die Cosa Nostra d. Red.), wir sind ’Ndrangheta.“