1000 Tote in den letzten KriegstagenAls die Amerikaner 1945 Oberberg besetzten
- Wir blicken 75 Jahre zurück. Auf das, was sich damals im Oberbergischen Kreis zugetragen hat.
- 1945 wurde Engelskirchen zum Ziel der beiden schwersten Luftangriffe in Oberberg.
- Die beiden konzentrierten Angriffe vom 19. und 28. März richteten in dem Ort ein wahres Inferno an.
Oberberg – Nachdem Orte der Aggerschiene wie Dieringhausen schon im November 1944 „kleinere“ Angriffe mit mehreren Toten zu beklagen hatten, setzten im Februar/März 1945 gezielte Bombardierungen ein. Wegen seines angeblich militärisch wichtigen Bahnhofes als Umschlagplatz für V2-Waffen und seiner Bedeutung als Verkehrsknotenpunkt, wurde Engelskirchen zum Ziel der beiden schwersten Luftangriffe in Oberberg. Man wollte so Truppenverlegungen, Material- und Munitionstransporte verhindern beziehungsweise erschweren.
Die beiden konzentrierten Angriffe vom 19. und 28. März richteten in dem Ort ein wahres Inferno an, zumal am 19. März ein mit Granaten beladener Munitionszug mit 50 Waggons getroffen wurde. Die beiden Angriffe forderten allein 223 amtlich beurkundete Tote unter den Einwohnern und Evakuierten. Während das abgelegene Nümbrecht durch Luftangriffe „nur“ acht Tote und vier Verletzte zu beklagen hatte, starben im industriereichen Gummersbach zum Kriegsende 75 Personen, etwa 80 weitere erlitten Verletzungen. Bei der Bombardierung des Krankenhauses in Bergneustadt starben zirka 40 Personen.
Auch der nördliche Teil des heutigen Kreisgebietes blieb nicht verschont. In Hückeswagen waren gleichfalls Fabriken, Eisenbahnlinien und der Bahnhof bevorzugte Angriffsziele, allerdings nicht mit ähnlichen katastrophalen Auswirkungen wie in Engelskirchen. In Wipperfürth war etwa das Rathaus Angriffsziel, da man hier – zu Unrecht – einen Sender vermutete.
Hitlers Befehl der „verbrannten Erde“
Den Luftangriffen konnten die deutsche Flak und die Luftwaffe nichts mehr entgegensetzen. Nachdem am 7. März 1945 auch die Brücke von Remagen unzerstört in die Hände der amerikanischen Truppen fiel, war es nur eine Frage der Zeit, bis diese Oberberg besetzt hatten. Von Süden kommend benötigten sie denn auch nur eine gute Woche, nämlich vom 6. bis zum 14. April 1945, um von Morsbach bis nach Radevormwald vorzudringen.
Diese in der historischen Rückschau schnelle Besetzung eines hügeligen Gebietes von immerhin mehr als 1000 Quadratkilometern darf nicht dazu führen, das blutige Geschehen dieser Tage mit seinen vielen Toten und Verletzten zu übersehen. Die deutschen Truppen, die im Oberbergischen standen, gehörten zur Heeresgruppe B, die General Model befehligte und dessen Gefechtsstand sich bei Olpe befand. Es war auch für die Deutschen Ende März eindeutig erkennbar, dass die Heeresgruppe B in einem Kessel, dem sogenannten Ruhrkessel, eingeschlossen werden sollte. Hitler persönlich untersagte die Rücknahme der Front auf die Linie Kassel-Teutoburger Wald und erklärte darüber hinaus am 2. April den Ruhrkessel zur „Ruhrfestung“, die die Heeresgruppe B bis zum Letzten verteidigen sollte. Hinzu kam der sogenannte Befehl der „verbrannten Erde“, dem gemäß vor dem Rückzug aus einem Gebiet wichtige Versorgungsanlagen wie Elektrizitäts- oder Wasserwerke und Brücken zerstört werden mussten.
Aus diesen Anordnungen und Befehlen Hitlers erwuchsen für Teile des Oberbergischen große Gefahren. Denn so unterblieb nicht nur die von vielen erhoffte schnelle Kapitulation, sondern die gesamte regionale Infrastruktur war bedroht. Insbesondere die Sprengung der Aggertalsperre und die dadurch verursachte Flutwelle durch das Aggertal hätten katastrophale Folgen für das Gebiet gehabt. Seit dem Bombardement am 1. Dezember 1943 hatte man versucht, die Mauer durch verschiedene Tarnungen vor alliierten Luftangriffen zu schützen. Nun bereitete ein deutsches Pionierkommando der 5. Panzerarmee die Sprengung vor; genügend Sprengstoff lagerte bereits am Fuße der Mauer. In einem am 5. August 1946 verfassten Bericht rekonstruierte Reinhard Kaufmann die Vorgänge zur Rettung der Talsperre.
Besprechung in Gummersbach
Danach hatte Anfang April der Kölner Regierungspräsident Reeder, der in der Region auch als Reichsverteidigungskommissar fungierte, evakuierte Behördenleiter, höhere Polizeiführer, Wehrmachtsoffiziere usw. zu einer Besprechung nach Gummersbach eingeladen. Allgemein vertrat man noch die Meinung, das Eindringen der Amerikaner sei nur vorübergehend, da diese der deutsche Widerstand bald wieder über den Rhein zurückdrängen werde. Das Aggertal war nach den Aussagen Reeders für eine Räumung vorgesehen, weshalb dort Brücken, das Kreiselelektrizitätswerk, die Aggertalsperre usw. von deutscher Seite zerstört werden müssten. Folgende Argumentation für den Erhalt der Sperre habe er, Reinhard Kaufmann als Vertreter der heimischen Wirtschaft, vorgetragen: Die befürchtete Sprengung bringe das Flussgebiet, allen Siedlungen und Werken unübersehbaren Schaden und in ihrer Folge durch Wassermangel in der Vorflut den Industriegemeinden die Gefahr von Krankheiten und Seuchen.
Und das in einer Zeit, in der die alte Ordnung aufhöre, die Betriebe und Orte voller Ausländer seien, und die Not vor der Türe stehe. Inhaltlich hatte Kaufmann natürlich Recht, auch wenn bezweifelt werden kann, ob er es in diesem Kreis gewagt hatte, vom Ende der „alten Ordnung“ zu sprechen. Obwohl Reeder mit den Verhältnissen vertraut war, lehnte er es strikt ab, irgendwelche Ausnahmen zu machen. Erst drei Tage vor der Besetzung des Aggertals gelang es in einer weiteren Besprechung, in der vor allem Stabsoffiziere anwesend waren, den zuständigen Pionierkommandeur zum Verzicht auf die Speermauersperrung zu bewegen. Auch der abwesende Reeder hatte sich nun beim Gauleiter für ihren Erhalt eingesetzt. Allerdings bestanden die Militärs auf die Sprengung wichtiger Brücken.
In die Luft gejagt
Nur wenige Stunden vor dem Eintreffen der Amerikaner in Dieringhausen am 11. April konnte RP Reeder, der fast schon auf der Flucht nach Wipperfürth war, überzeugt werden, Truppen aus dem Kreiselektrizitätswerk abzuziehen, das dann auch nicht zum Kampfplatz wurde und erhalten blieb. Auch wenn die abziehenden deutschen Soldaten auf die Sprengung der meisten Brücken verzichteten, wurden doch zum Leidwesen der Anwohner einige in die Luft gejagt, ohne dass dies den Vormarsch der Amerikaner ernsthaft verzögert hätte. Zu den zerstörten Anlagen zählten unter anderem die Brücke bei der Bergischen Achsenfabrik in Wiehl, die große Straßenbrücke in Ründeroth – durch die Explosion wurde der gesamte Ortskern stark in Mitleidenschaft gezogen –, die Straßenbrücken in Engelskirchen, Brunohl und Oberderschlag sowie die Ohler Brücke in Wipperfürth. Auch wenn dies schmerzhafte Eingriffe in die Verkehrsverbindungen waren, so erlitt in den letzten Kriegstagen die oberbergische Infrastruktur weniger Schaden, als man dies Anfang April befürchten musste.
Die deutschen Soldaten und die schlecht bewaffneten örtlichen Volkssturmleute waren den anrückenden US-Truppen völlig unterlegen, zumal diese auch über die absolute Lufthoheit verfügten. Dennoch kam es immer wieder zu einzelnen, teilweise heftigen Gefechten. Allein auf deutscher Seite kosteten sie mehr als 1000 Soldaten, Volkssturmleuten und Zivilisten das Leben.
Einige Soldaten starben
So starben noch in den letzten Kriegstagen allein in der Gemeinde Morsbach 79 deutsche Soldaten und 23 Zivilisten. Während einige Ortschaften durch den frühzeitigen Abzug der deutschen Soldaten verschont blieben, mussten andere unter dem Fanatismus vereinzelter Befehlshaber leiden. Besonders umkämpft war dabei am 11./12. April eine Anhöhe in Drabenderhöhe. Obwohl seine Einheit bereits eingeschlossen war und beide Seiten schon hohe Verluste zu verzeichnen hatte, befahl der völlig uneinsichtige Hauptmann Kanski eine Weiterführung der „Verteidigung“. Erst als er – zum Glück für die deutschen und amerikanischen Soldaten sowie die Zivilisten – schwer verwundet wurde, konnte das Gefecht beendet werden. Zuvor waren aber allein 24 deutsche Soldaten und drei Zivilisten ums Leben gekommen.
Die Aussichtslosigkeit war bekannt
Obwohl den deutschen Soldaten die Aussichtslosigkeit ihres Kampfes bewusst war, wagten es nur wenige, sich in die Wälder oder in die Heimat abzusetzen. Der damals 18 Jahre alter Melder Hans Willmann, der am 11. April in Gummersbach-Derschlag in Gefangenschaft geriet, erinnerte sich anhand von Tagebuchnotizen: „2. April 1945: Ich wusste, dass einige Kameraden sich mit der Möglichkeit beschäftigen, sich von der Truppe abzusetzen, um sich zu ihrem Heimatort durchzuschlagen, der oft in greifbarer Nähe lag. Doch sie alle wussten um die Gefahr, aufgegriffen zu werden und sie wussten um die Standgerichte.“
Diese Befürchtungen waren durchaus berechtigt. Denn Ende März wurde etwa ein 21-jähriger Berliner, der sich von der Truppe entfernt hatte, in Gummersbach zum Tode verurteilt, erschossen und anschließend zur Abschreckung aufgehängt. So, wie die Soldaten teilweise einander misstrauten, waren sie ganz im Gegensatz zu den Einquartierungen 1939/40 häufig in den Wohnhäusern der Einheimischen nicht mehr willkommen, insbesondere wenn sie in der Nähe der Häuser ihre Gefechtsstände errichteten. Nicht zu Unrecht fürchteten die Bewohner, dass dadurch ihre Häuser oder sie selber bedroht wären. Denn sie wussten durch Flugblätter und Erzählungen vom üblichen Vorgehen der Amerikaner.
Um möglichst wenige Menschenleben zu riskieren, setzten diese vor allem Material und Technik ein. Falls sie auf Widerstand stießen, setzten sie zuerst Geschütze und Panzer – gegebenenfalls auch Flugzeuge – ein, um das Haus, die Stellung, den Ort sturmreif zu schießen. Falls weiße Fahnen zum Zeichen der Kapitulation gezeigt wurden, beendeten sie die Kämpfe. Da viele deutsche Kommandeure häufig erst nach blutigen Gefechten die Stellung räumten oder sich ergaben, war der Blutzoll besonders auf deutscher Seite in diesen wenigen Tagen verhältnismäßig hoch. (gp)
Andere Fanatiker wie der Kreisleiter Pieck oder der Gauleiter Grohe, die noch kurz vor der Ankunft der Amerikaner zum bedingungslosen Widerstand aufgerufen hatten, waren allerdings schon auf dem Weg nach Mitteldeutschland, in der Hoffnung, einer Festnahme entgehen zu können. Diese Feigheit der führenden NS-Größen hatte sicherlich für die Bevölkerung Vorteile. Denn falls sie auch in den letzten Kriegstagen noch Macht besessen hätten, wäre die Zahl der Rückzugsgefechte und damit der Toten wohl noch höher gewesen. Nachdrücklich musste dies Radevormwald erfahren, dass man gegen amerikanische Truppen „verteidigte“ und dessen Stadtkern durch Artilleriebeschuss noch in letzter Minute stark zerstört wurde.
Das könnte Sie auch interessieren:
Mit der Kapitulation Radevormwalds am 14. April waren gut drei Wochen vor dem offiziellen Kriegsende die Kampfhandlungen im Gebiet des heutigen Oberbergischen Kreises beendet. Selbst überzeugte Nationalsozialisten waren froh, aus diesem blutigen Chaos ihr Leben gerettet zu haben.