InterviewIndustrielle Nutztierhaltung ist laut Anton Hofreiter nicht zukunftsfähig
Anton Hofreiter ist promovierter Biologe und Grünen-Politiker. Seit 2013 sitzt er neben Katrin Göring-Eckardt der Bundestagsfraktion vor.
Die industrielle Nutztierhaltung ist nicht zukunftsfähig. Anton Hofreiter erklärt den Weg zur Agrarwende
Herr Hofreiter, laut Ernährungsreport 2017 sagen 87 Prozent der Befragten, ihnen sei am Wohl der Nutztiere und artgerechter Haltung gelegen. Wobei sich vier von fünf Verbrauchern bessere Informationen über die Aufzuchtbedingungen wünschen. Überrascht Sie das?
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Nein, das überrascht mich nicht. Niemand will im Supermarkt Detektiv spielen müssen, um herauszubekommen, woher das Fleisch kommt und wie die Tiere gehalten wurden. Aber genau dazu ist man heute oft gezwungen. Schauen Sie sich viele werbewirksame Verpackungen an – kein Wunder, dass die Leute das Gefühl haben, wenig oder falsch informiert zu sein. Bei einem „Gut Drei Eichen“ sehen Sie das Logo einer Landidylle. Wenn Sie aber nachfragen, dann erfahren Sie: Das Gut gibt es überhaupt nicht. Wir wollen Transparenz statt Verbrauchertäuschung.
In Ihrem Buch „Fleischfabrik Deutschland“ stellen Sie die unerfreulichen Fakten der Massentierhaltung dar. Was sollten die Menschen Ihrer Meinung nach am dringendsten über konventionelle Fleischproduktion dieser Größenordnung wissen?
Die Logik von „Wachse oder Weiche“ dominiert gerade die Landwirtschaft in zerstörerischem Maß. Die Betriebe werden immer größer und halten immer mehr Tiere. Tierfabriken mit 40000 Masthühnern gehören zum Standard. Bäuerliche Betriebe mit weniger Tieren haben extrem zu kämpfen – viele geben auf. Seit die Union auf Bundesebene für die Landwirtschaftspolitik verantwortlich ist, erleben wir ein massives Höfesterben. Darunter leiden auch gerade die Tiere.
Was heißt das fürs Schwein?
Es ist in der industriellen Schweinemast üblich, den Tieren den Schwanz zu amputieren, damit sie ihn sich aus Langeweile in der Enge nicht gegenseitig anbeißen. Das kann zu erheblichen Verletzungen führen. Unter den miesen Haltungsbedingungen, die einem Tier von 110 Kilogramm einen Quadratmeter Spaltenboden aus Beton zugesteht, werden diese intelligenten Tiere zu Kannibalen. Statt die Haltungsbedingungen zu verbessern, werden die Tiere den Ställen angepasst.
Und was heißt das für uns?
Jeder sollte wissen: Die industrielle Massentierhaltung bedeutet nicht nur systematische Tierqual, sie schadet auch uns Menschen über viele unterschiedliche Wege. Die deutsche Fleischproduktion hängt über die Fütterung am Tropf der Sojaimporte aus Südamerika. Dafür werden dort Regenwälder gerodet und Kleinbäuerinnen und Kleinbauern von ihrem Land vertrieben – manchmal sogar ermordet. Hier in Deutschland herrschen teils miserable Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen. Unser Grundwasser wird durch die Güllefluten aus den Mega-Ställen zunehmend verschmutzt. Und resistente Killerkeime aus dem Stall stellen mittlerweile eine erstzunehmende Bedrohung für unsere Gesundheit dar.
Da sprechen Sie weitreichende Themen an. Können Sie das für unsere Leser verkürzen?
Wir sollten beides im Blick haben: Einerseits die schädlichen Folgen der industriellen Massentierhaltung für Boden, Wasser und Klima, und andererseits die massiven Eingriffe dieses großen, internationalen Geschäftes in die Lebensumstände von Kleinbauern hier und im globalen Süden.
Ist die Agrarwende eine Revolution?
Wie kann ein Umbau dieser Art Fleischerzeugung aussehen – ist die Agrarwende nicht eine Revolution?
Wir müssen die Landwirtschaftspolitik vom Kopf auf die Füße stellen. Wir müssen unsere Art vom Umgang mit Tieren und der Natur grundlegend überdenken. Angefangen mit höheren gesetzlichen Mindeststandards, zum Beispiel beim Umwelt- und Tierschutz. Bis hin zur Art und Weise, wie wir mit Ländern des globalen Südens umgehen. Da geht es um Handelsverträge und ungerechte Subventionspolitik. Klar ist dabei für uns: Wir wollen unsere Bäuerinnen und Bauern mitnehmen. Die Veränderungen brauchen Zeit. Deshalb halten wir Grüne einen Ausstieg aus der industriellen Massentierhaltung in den nächsten 20 Jahren für realistisch.
Was heißt das konkret für die deutsche Landwirtschaft?
Die Landwirtschaft ist einer der am meisten mit Steuergeldern geförderten Bereiche. Doch die Förderung treibt unsere Landwirtschaft in die falsche Richtung. Von den sechs Milliarden Euro Subventionen erhalten 20 Prozent der Betriebe 80 Prozent. Einfach nur, weil sie die größten Betriebe sind. Das wollen wir ändern. Öffentliche Gelder sollten verstärkt nach öffentlicher Leistung verteilt werden – zum Beispiel für guten Tier- und Umweltschutz.
Ihr Plan?
Wie gesagt: In 20 Jahren gibt es keine industrielle Massentierhaltung mehr. Dafür mehr Umweltschutz, Tierschutz und Landschaftsschutz. Weitere Ziele sind eine deutliche Erhöhung des Anteils ökologisch und regional angebauter Lebensmittel. Es gibt eine Einschätzung vom wissenschaftlichen Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums, die wie ein Weckruf wirken muss. Denn auch diese Experten schreiben in ihrem „Gutachten zur Nutztierhaltung“ dass die derzeitigen Haltungsbedingungen so nicht zukunftsfähig sind.
An was merken das Nicht-Experten?
Es gibt immer wieder Berichte über Tierquälerei in Großställen. Unser Wasser wird verschmutzt. Es gibt Mais-Monokulturen, die ganze Landschaften prägen. Singvögel verschwinden. Bienen sterben. Viele Menschen wollen nicht, dass es so weitergeht. Wir haben ein gemeinsames Interesse, diese Fehlentwicklungen zu beenden.
Immer mehr kleine und mittelständische Betriebe geben auf. Welche Alternativen zu Wachstum und Masse haben denn diese Landwirtschaften noch, sich zu behaupten?
Die politischen Rahmenbedingungen sind sehr ungerecht für bäuerliche Betriebe. Die auf Weltmarktexporte orientierte Agrarpolitik nützt ihnen nichts. Nehmen wir Milch. Da haben im vergangenen Jahr 4000 Erzeuger aufgegeben. Auch bei den Schweinehaltern waren es rund 1300 Betriebe. Es braucht einen anderen Rahmen: Die Zukunft liegt in einer regionaleren, ökologischeren Landwirtschaft. Die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln boomt; regionale Lebensmittel haben ein hohes Ansehen. Das muss politisch unterstützt werden.
Das richtige Kaufverhalten und gute Nutztierhaltung
Was ist bei Fleisch das richtige Kaufverhalten?
Wer es einrichten kann, profitiert vom Besuch beim regionalen Bauern, der ab Hof verkauft. Da weiß man, wo es her kommt und unterstützt regionale Struktur. Und natürlich hat Bio höchste Standards und wird streng kontrolliert.
Aber EU-Bio ist in den Richtlinien doch auch schlapp.
Trotzdem macht es im Vergleich zum konventionellen Standard einen Riesenschritt aus. Natürlich sind Verbände-Siegel wie Bioland, Naturland oder Demeter noch besser. Aber auch EU-Bio ist bereits ein Fortschritt.
Sie sind Biologe. Was ist gute Nutztierhaltung?
Als Biologe ist für mich klar: Eine 100 Prozent artgerechte Tierhaltung gibt es nicht. Aber es geht deutlich besser als heute. Dazu gehört in jedem Fall, dass die Tiere ausreichend Platz haben und tun können, was sie auch in der Natur tun würden. Schweine zum Beispiel suhlen sich gerne im Boden statt nur auf Beton zu stehen. Kühe müssen auf die Weide, Hühner brauchen Erde zum Picken. Enten sind Wasservögel – sie brauchen Zugang zu einem Teich. Ethik muss über Profit stehen. Es geht hier um den Umgang mit Lebewesen.
Eine weitere Zahl aus dem eingangs zitierten Report: 88 Prozent der Befragten sind bereit, ein Drittel mehr für Fleisch aus guter Haltung zu bezahlen. Was muss Fleisch konkret kosten?
Die derzeitigen Dumping-Preise gibt es nur, weil Tiere, Umwelt und Bäuerinnen und Bauern darunter leiden. Die bereits erwähnten Berater des Landwirtschaftsministeriums gehen davon aus, dass wesentliche Verbesserungen in der Tierhaltung etwa drei bis sechs Prozent höhere Preise bedeuten würden. Ich finde, Lebensmittel müssen ihren Preis wert sein.
Das scheint sehr überschaubar, anders als die Hürden in den herrschenden Machtstrukturen des Agrarmarktes. Sind sie unüberwindbar?
Nein, aber es gibt massive Widerstände von Seiten der Union und des Bauernverbandes. Wir müssen Schritt für Schritt raus aus der Logik von „immer größer, immer billiger, immer weltmarktfähiger“. Das wurde über Jahrzehnte hochgehalten. Vielen im Landwirtschaftsministerium und Bauernverband fällt es schwer, einzugestehen, dass das ein Irrweg ist. Außerdem gibt es ja auch Profiteure. Nicht die Verbraucher, nicht die Umwelt, nicht die normalen Bauern. Aber Megabetriebe, Großschlachtereien, Teile des Lebensmitteleinzelhandels, ein paar Molkereien, die international gefragt sind. Auch Konzerne wie Monsanto und Bayer profitieren massiv, denn viele Betriebe sind mittlerweile stark abhängig von Pestiziden und Kunstdüngern.
Sie wünschen sich eine Kennzeichnung von Fleisch ähnlich dem Eier-Code; der Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) will das Tierwohlsiegel. Wo liegt der Unterschied?
Das Tierwohlsiegel ist nicht definiert. Es ist freiwillig, zudem weiß niemand, wann und ob es kommt. Es gibt schon zu viele freiwillige Selbstverpflichtungen, die niemals eingehalten werden und nur Fassade sind. Unser Modell orientiert sich an der Erfolgsgeschichte der Eierkennzeichnung. Es ist verpflichtend, transparent und einfach. Natürlich muss man das von Tierart zu Tierart spezifizieren. Es gibt ja so ganz Schlaue, die sagen, der Hofreiter weiß nicht mal, dass Schweine nicht in Käfigen gehalten werden. Man kann aber sagen: Die 3 steht für den Mindeststandard. Die 2 für: Die Tiere haben Platz über den Mindeststandard hinaus. Die 1: Die Tiere haben Zugang ins Freie. Die 0: Es handelt sich um Bio-Produkte. Logisch braucht ein Rind mehr Platz als eine Pute. Klar ist den Enten ein Teich wichtiger als den Rindern. Das kann man alles definieren.
Das Landwirtschaftsministerium ist auch regierungsintern in der Kritik. Das Umweltbundesamt forderte jüngst mehr Mehrwertsteuer auf klimaschädliche Tierprodukte. Umweltministerin Hendricks (SPD) hat elf neue kritische Bauernregeln erstellt. Das und alle Siegel könnte man sich ja sparen, wenn die staatliche Schutzfunktion den ethischen Anspruch der Menschen abbildete.
Ja, deshalb müssen wir die gesetzlichen Mindeststandards so erhöhen, dass eben keine Tierquälerei mehr stattfindet. Es ist Aufgabe der Abgeordneten als Gesetzgeber, dass bestimmte Missstände nicht erlaubt sind. Barbara Hendricks ist allerdings selbst Teil dieser Bundesregierung. Unsere grünen Anträge zur Agrarwende lehnen Union und SPD im Bundestag ab. Clevere Kampagnen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bundesregierung bisher keine Verbesserungen durchgesetzt hat. So bleibt es Heuchelei.
Das Buch
Dr. Anton Hofreiter: „Fleischfabrik Deutschland“, Riemann Verlag 2016, 19,99 Euro-