50 Jahre in BergneustadtWie Sigrid Schmidt zur eigenen Praxis gelangte
Hackenberg – Wer weiß, wie Sigrid Schmidts Berufsweg verlaufen wäre, hätte sie ihr früherer Chefarzt im Olper Krankenhaus nicht so chauvihaft abgekanzelt. Als die junge Ärztin von einem Zusatzdienst befreit werden wollte, um ihre schwer erkrankte Tochter im Siegener Krankenhaus besuchen zu können, da sagte er: „Da sehen Sie’s, Frauen und Beruf, das verträgt sich nun mal nicht!“
Schmidts Reaktion: Sie kündigte. Und eröffnete als Hausärztin am 1. Juli 1971 auf dem Bergneustädter Hackenberg ihre eigene Praxis. Diese wird heute von ihrer Tochter Dr. Angelika Schmidt geführt, doch hilft die mittlerweile 82-Jährige gelegentlich dort immer noch ein wenig aus.
Viele Stationen führten sie zur eigenen Praxis
In Kiel geboren, war ein Unfallkrankenhaus in Trier Schmidts erste berufliche Station – keine zwei Wochen nach Ende ihrer Ausbildung im Februar 1964. „Die vielen Unfälle, das war brutal“, erzählt sie. Für Motorradfahrer gab es noch keine Helm-, für Autofahrer keine Gurtpflicht, die Verletzungen der Unfallopfer waren entsprechend heftig. Sieben Monate hielt es Schmidt dort aus, danach folgten weitere Stationen in den Krankenhäusern von Gummersbach, Olpe, Bergneustadt – und bis zur Kündigung wieder Olpe, da lebte sie inzwischen mit Mann und Kindern.
Der Schritt zu einer eigenen Praxis in Bergneustadt kam nicht von ungefähr. Sechs Jahre hatte Schmidt hier am städtischen Krankenhaus gearbeitet, kannte viele Menschen und die Kollegen in der Stadt. 2500 Menschen lebten damals schon auf dem Hackenberg, die kürzlich abgerissenen Wohnblocks an der Breslauer Straße und der Schönen Aussicht wurden gerade erst gebaut, weiteres Wachstum war geplant. Der Stadtteil war im Aufbau, genug Patienten würde die frischgebackene Hausärztin also haben. Hatte sie auch. Schon fünf Jahre später schon konnte sie ein Grundstück kaufen und das Haus bauen, in dem die Praxis bis heute ist.
„Die waren froh, dass ich da war.“
Mehr und mehr entwickelte sich der Hackenberg zum Schmelztiegel der Nationen. Italiener und Griechen zogen zu, dann Türken und Russlanddeutsche. Schmidt lernte schnell sich durchzusetzen. Hatten Muslime, besonders die Männer, keine Vorbehalte, sich von einer Ärztin behandeln zu lassen? Sie schüttelt den Kopf: „Nee, die waren froh, dass ich da war.“
Nicht gemocht hat sie die Hausbesuche nachts. Zwar hatte Schmidt mit Anfang 30 im Jahr der Praxiseröffnung den Führerschein gemacht, aber nachts chauffierte ihr Mann sie zu den Patienten. Den Notdienst im Stadtgebiet organisierten die sechs Hausärzte damals untereinander für die Wochenende und Feiertage. „Aber unter der Woche waren wir alle immer im Dienst.“ Das heißt, immer musste jemand in der Nähe des Telefons sein. Theaterbesuche? Fehlanzeige.
Die Arbeit ist super, die Rahmenbedingungen nicht
Immerhin gab’s irgendwann mal den Anrufbeantworter. Die Quartalsabrechnungen erfolgten per Hand, von den heutigen Möglichen der EDV und IT wagte damals niemand zu träumen. Die gehören heute zum Alltag von Tochter Angelika. Sie übernahm die Praxis, als ihre Mutter vor 14 Jahren von der Kassenärztlichen Vereinigung per Entzug der Kassenzulassung mit 68 Jahren in den Ruhestand zwangsversetzt wurde. „Die haben mich glatt entlassen“, beschreibt die Seniorchefin den Vorgang immer noch mit vorwurfsvoller Stimme. „Und haben uns sechs Monate hingehalten, ehe meine Tochter übernehmen durfte.“
Dr. Angelika Schmidt hatte nach ihrem Studium ebenfalls zunächst im Krankenhaus gearbeitet, „aber irgendwann fiel der Entschluss: Hier bleib’ ich nicht“. Die Übernahme der Praxis hat sie nie bereut sagt sie, „ich glaube nicht, dass ich eine eigene eröffnet hätte“. Bereut hat sie den Schritt nicht: „Die Arbeit ist super, die Rahmenbedingungen allerdings suboptimal“, spielt sie auf den immer größer werdenden Verwaltungsaufwand an. Beide Ärztinnen arbeiteten noch Jahre zusammen in der Praxis, „aber nie zur selben Zeit“, sagt die Tochter und lächelt. So kam man sich mit medizinischen Einschätzungen nicht ins Gehege.
Rückzug ja, Ruhestand nein
Heute hat sich Sigrid Schmidt aus dem Praxisalltag zurückgezogen. Aber tatsächlich macht sie noch einige wenige Hausbesuche. Zwei über 90-Jährige Patienten besucht sie regelmäßig: „Die machen extra Frühstück, wenn ich komme. Da bleibe ich anderthalb Stunden welcher Arzt hat heutzutage schon so viel Zeit?“
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