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Direktor von Amtsgericht WipperfürthEine Frage der Perspektive

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Amtsrichter Andreas Türpe über digitale Fotos und digitale Justiz.

Wipperfürth – Andreas Türpe (53) ist Amtsgerichtsdirektor in Wipperfürth und Fotograf. 2020 veröffentlichte er einen Band mit Fotos auch vom Steinmüllergelände. Frank Klemmer traf ihn dort zum Spaziergang und sprach mit ihm über Detailaufnahmen von Graffitis und Fotos vom Unfallort.

Ein Jurist, der ziemlich professionell fotografiert: Ist das etwas Besonderes in Ihrem Berufsstand, Herr Türpe?

Andreas Türpe: Mir sind jedenfalls keine Juristen bekannt, die intensiv fotografieren. Ich kenne viel mehr Juristen, die zum Beispiel Musiker sind. Künstler und Fotografen sind da eher selten.

Was bedeutet Fotografie für Sie?

Sie hilft mir beim Abschalten. Als Amtsrichter hat man natürlich häufig Fälle, die einen nicht loslassen. Da habe ich dann das Fotografieren als Ausgleich. Oder das Radfahren ...

Fahren Sie viel und weit?

Ich bin regelmäßig mit dem Rennrad und dem Mountainbike unterwegs, so häufig, wie es die Zeit erlaubt. Manchmal – im Sommer recht häufig – fahre ich auch die 24 Kilometer bis zur Arbeit nach Wipperfürth.

Zurück zu Ihren Fotos: Wie haben Sie angefangen?

Schon in der Jugend. Mit 14 Jahren hatte ich schon mein eigenes Labor. Ja, das gab es damals noch. Und es war auch ein ganz anderes Fotografieren: eine ganz andere Spannung. Wenn man den Auslöser gedrückt hatte, wusste man noch lange nicht, ob das Foto etwas geworden ist. Da gibt einem das neue, das digitale Foto, bei dem ich sofort sehe, was ich mit meiner spiegellosen Systemkamera gemacht habe, eine ganz andere Freiheit.

Wir laufen hier gerade über das Steinmüllergelände, wo viele Fotos für Ihren im vergangenen Jahr erschienenen Bildband entstanden sind. Ein typischer Band für Ihre Fotos?

Eigentlich ganz im Gegenteil. Ja, ich fotografiere auch Landschaften und Architektur. Wenn ich meine Fotos ausstelle, beispielsweise in einer Kölner Galerie, sind das aber eher abstrakte Fotos: Strukturen, Ausschnitte aus Graffitis, sehr viele Details in Nahaufnahme.

Wer mich sieht, kann sich schon fragen: Warum fotografiert der da jetzt zum Beispiel diesen alten Stromkasten oder dieses abgerissene Plakat? Aber mich interessieren die Perspektive und vor allem Strukturen im Alltäglichen. Es sind auch Kratzer auf Alltagsgegenständen, die meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen.

Das klingt nach einem stark künstlerischen Ansatz. Was würden Sie sagen: Ist das ein Hobby oder sind Sie Profi?

(lacht) Auf jeden Fall bin ich ein Amateur. Ich habe keinen Antrieb damit mein Geld zu verdienen. Die Liebe zur Fotografie steht im Vordergrund.

Stimmt, Ihr Geld verdienen Sie ja auch mit der Juristerei. Wie hat es Sie als Richter nach Oberberg verschlagen?

Geboren bin ich in Hoffnungsthal, aufgewachsen in Bergheim an der Erft, weil mein Vater dort Richter war. Ich selbst habe in Köln studiert und damals in Forsbach gelebt. Später habe ich zeitweise in Hückeswagen gewohnt. Nach Gummersbach sind wir 2000 gezogen, weil meine Frau damals als Lehrerin hier gearbeitet hat und ich hier Richter wurde.

Nach einer Zwischenstation im Landesjustizministerium, beim Oberlandesgericht Köln und beim Amtsgericht Köln wurde ich dann 2012 Direktor in Wipperfürth. Meine Frau leitet heute das Wüllenweber-Gymnasium in Bergneustadt. Inzwischen sind wir also auch schon 21 Jahre im Oberbergischen verwurzelt.

Dennoch sind das viele Stationen. Ist das heute typischer für den Weg eines Juristen als der des Amtsrichters oder der Amtsrichterin, die an einem Ort sind und bleiben?

Das glaube ich nicht. Es gibt sie auch weiterhin, die anderen Wege. Da kann jeder seinen eigenen finden. Aber wer wechseln will, der kann das – auch als Amtsrichter. Und umgekehrt: Denn ich bin durchaus der Meinung, dass gute Juristen in die erste Instanz gehören. Allein schon aus volkswirtschaftlichen Gründen: Alles, was wir vor Ort richtig entscheiden oder anders erledigen, zum Beispiel durch einen Vergleich, spart viel Zeit und viel Geld.

Welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung?

Eine ziemlich große. Früher hatte jedes Amtsgericht nur eine kleine Bibliothek. Wollte ich den neuesten Aufsatz zu einem bestimmten Spezialthema haben, musste ich dafür schon zum Landgericht nach Köln fahren. Heute haben wir alle Zugänge zu Online-Portalen wie Juris, Jurion oder den Angeboten des Beck-Verlages. Da bietet die Digitalisierung eine echte Chance, die Qualität der Rechtsprechung zu verbessern – überall.

Und sie hilft in der Pandemie, oder? Wie haben Sie das erlebt? Schließlich ist Wipperfürth eines der ersten Pilotgerichte für die Einführung der digitalen Akte in Zivilsachen.

Es hat uns sehr geholfen, das auf jeden Fall. Noch nicht einmal so sehr bei den Richtern. Die konnte sich ihre Arbeit auch vorher schon mit nach Hause nehmen, wenngleich jetzt das Schleppen der Akten wegfällt. Aber weil wir die elektronische Akte hatten, ging das dann plötzlich sehr schnell auch bei den anderen Mitarbeitern des Gerichts, die das vorher noch nicht konnten. Und ich glaube auch nicht, dass wir das zurückdrehen werden. Homeoffice wird bleiben, zumindest an ein oder zwei Tagen in der Woche. Die Vorteile sind einfach zu groß.

Ist das nicht umgekehrt auch eine Gefahr für Gerichtsstandorte wie Wipperfürth? Wieso brauche ich solche dezentralen Standorte und die zugehörigen Gebäude noch, wenn ich die Arbeit doch von überall machen kann?

Eine solche Gefahr für die Gerichte im ländlichen Raum sehe ich nicht. Dafür gibt es auch immer noch genug Dinge, die vor Ort geregelt werden müssen. Das zeigen schon die Zahlen. Die Öffentlichkeit sieht häufig nur unsere Strafgerichte. Ihre Arbeit macht aber nur 10 bis 20 Prozent dessen aus, was bei uns anfällt. Und wenn es zum Beispiel um das Grundbuch geht, um Nachlasssachen oder ganz einfach nur um Kirchenaustritte, dann braucht man den Anlaufpunkt vor Ort, an dem einen schnell geholfen wird.

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Was ist Ihr Spezialgebiet?

Das Verkehrsrecht, also die zivilrechtliche Regulierung von Schäden aufgrund von Verkehrsunfällen. Da veröffentliche ich auch in der juristischen Fachliteratur und gebe einen Online-Kommentar mit heraus.

Dann aber doch noch mal die Frage an den Fotografen: Wie oft haben Sie sich schon über Fotos vom Unfallort in der Akte geärgert, weil sie schlecht fotografiert waren oder aus der falschen Perspektive?

(lacht) Ganz selten, ehrlich. Aber auch das liegt an meinem Faible für die Fotografie. Daher weiß ich einfach, dass es die richtige Perspektive im Prinzip nicht gibt: Alles ist immer irgendwie verzerrt. Und genau deshalb mache ich mich oft genug selbst auf den Weg, um mir vor Ort ein eigenes Bild zu machen. Ohne Fotoapparat.