Kremershof WipperfeldZiel ist ein nachhaltiger Bauernhof
Wipperfeld – Eine kurze Berührung des Automatikhebels genügt und schon hat Rahel Kremershof den Traktor mit seinen 205 Pferdestärken rückwärts aus der Remise bugsiert. Mit der Ballenzange am Frontlader geht es auf die Hügelspitze, wo ein gigantisches Heer von Siloballen auf seine Verfütterung wartet.
Es ist Spätherbst 2021. Ein Jahr, nachdem das Gut Kremershof auf der Grenze zwischen Oberberg und Rhein-Berg mit einem besonderen Vorsatz angetreten ist: den Wandel vom bergischen Milch-Bauernhof zur Bühne für allerlei innovative landwirtschaftliche Entwürfe zu schaffen. Zeit für ein Fazit.
Das Fazit nach dem ersten Jahr fällt positiv aus
„Wir sind rundum zufrieden, aber immer noch unheimlich neugierig auf Neues“, verrät Mona Beckmanns. Die studierte Soziologin ist inzwischen die Chef-Organisatorin des Kremers-hofes. Sie kümmert sich um das Marketing, beschäftigt sich mit den Details einer Genossenschaftsgründung oder wühlt sich durch die baurechtlichen Normen für den Außenbereich. „Einige der Gebäude hier sind so alt – damals gab es noch gar kein Baurecht“, erklärt Beckmanns mit einem Stirnrunzeln.
Das Pilotprojekt beginnt Anfang 2020 mit einer Kleinanzeige, die Landwirt Thorsten Kremershof ins Internet stellt. Vor ihm betrieb bereits der Vater die Milchwirtschaft, davor der Opa und davor dessen Vater. Der jüngste Kremershof aber hat die Nase voll. Vom Wachstum, vom Preisdruck und vor allem von zu wenig Nachhaltigkeit. Per Anzeige sucht er Menschen mit kreativen Ideen für seinen Hof. Und findet sie.
Geschichte der Solawi Kremershof
2016: Die Familie Kremershof entschließt sich, aus ihrem gleichnamigen Hof einen Bio-Hof zu machen.
2019: Die Familie beschließt, dass das Konzept der Milchwirtschaft für sie keine Zukunft hat.
Anfang 2020: Thorsten und Rahel Kremershof geben eine Kleinanzeige auf: Bauernhof sucht Menschen mit kreativen Ideen.
Mai 2020: Das heutige Team lernt sich kennen.
Herbst 2020: Die Zusammenarbeit wird beschlossen, Ideen zu Projekten werden konkret.
Frühjahr 2021: Das Konzept der Solidarischen Landwirtschaft (Solawi) für den Gemüsebereich wird beschlossen.
1. Juli 2021: Das erste Erntejahr beginnt, 173 Ernteteile sind verkauft.
März 2022: Anteile am nächsten Erntejahr können reserviert werden. Die erste große Generalversammlung soll stattfinden.
Auf zehn Pioniere plus mehrere Dutzend ehrenamtliche Helfer ist das Team in den letzten Monaten angewachsen. Teilweise kommen diese Menschen aus der Landwirtschaft, es tummeln sich aber auch Wirtschaftsingenieure auf dem Hof. „Jeder bringt Wissen ein, das macht uns aus“, betont Mona Beckmanns. Tatsächlich fällt die Geschäftigkeit auf. Überall auf dem Hofgelände wird gearbeitet.
„Das neueste Trendfood“
Michael Rethwisch findet man in den Gemüsebeeten. Auf über einem halben Hektar drängeln sich dort Möhren neben Kohlsorten und Roter Bete. Besonders stolz ist Rethwisch auf das Kohlröschen, eine Kreuzung aus Grün- und Rosenkohl, die aus Großbritannien stammt. „Das neueste Trendfood“, erklärt der Experte.
Der gesamte Gemüsebereich ist nach dem Prinzip der Solidarischen Landwirtschaft organisiert und praktisch eine Genossenschaft. Einmal pro Woche wird geerntet, das Gemüse dann zu Knotenpunkten gebracht, an denen es die Miteigner abholen. 150 Ernteteile und ein konkreter Plan für ein Verteilungsnetz habe man sich für 2021 vorgenommen, erinnert sich Beckmanns. In den Büchern stehen mittlerweile 173 verkaufte Ernteanteile und 50 weitere Interessenten auf der Warteliste. Die Ausgabe in Wipperfürth, Bergisch Gladbach, Engelskirchen, Remscheid und im Kölner Süden laufe wie am Schnürchen. „Unsere Erwartungen wurden übertroffen“, freut sich Beckmanns.
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Michael Rethwisch und seine Mitstreiter legen Wert darauf, dass sie nicht zukaufen. Heißt: Ganzjährig wird geerntet, nur ist die Kiste im Winter eben weniger gefüllt als im Sommer. „Die Inhaber der Ernteanteile tragen gemeinsam die Risiken und Chancen“, sagt Beckmanns. Wenn es das Wetter, wie im vergangenen Sommer, nicht gut mit Kürbissen und Tomaten meine, dann gebe es eben entsprechend wenige Exemplare zu verteilen.
Kühe dienen nun als Fleischlieferanten
Zwar wird auf dem Kremershof nicht mehr gemolken, die Kühe sind aber nicht völlig von der Bildfläche verschwunden. Die Vierbeiner säugen nun ihren Nachwuchs auf der Weide und dienen als Fleischlieferanten. Die beiden ersten Hofschlachtungen liegen erst einige Wochen zurück. „Momentan füttern wir auf der Wiese zu, damit die Tiere erst in den Stall müssen, wenn es richtig kalt wird. Draußen fühlen sie sich am wohlsten“, klärt Rahel Kremershof auf, die Spezialistin für den Tierbereich. Wie zur Bestätigung tritt Galloway-Rind „Nancy“ an den Zaun, der neueste Zugang im vierbeinigen Bestand.
Auf Hochtouren laufen die Vorbereitungen für einen Agroforst – sechs Hektar Grasland, die mit Baumreihen bepflanzt werden sollen. Dazwischen werden 25 Meter breite Streifen angelegt, die befahrbar sind und Platz für mobile Hühnerställe bieten. „Denn das Huhn ist ursprünglich am Waldrand zu Hause“, weiß Beckmanns und erklärt das Konzept, bei dem sich das Federvieh in die Büsche und Bäume zurückzieht. „Der Agroforst kombiniert mehrere Nutzungstypen – wir sind optimistisch, dass wir ein solches Projekt im großen Stil umsetzen können.“
An Ideen mangelt es der Mannschaft nicht. Der Erfolg des ersten Jahres befeuert die Fantasie weiter. „Nur eine Sache haben wir unterschätzt“, verrät Mona Beckmanns. „Dass so viel Geld und Zeitaufwand nötig sind, um überhaupt die Gründung voranzubringen, hätten wir alle nicht gedacht.“
www.gutkremershof.de