Lindlarer Lkw-Fahrer in Krise„Man behandelt uns wie Aussätzige“
- Lindlarer Lkw-Fahrer trifft die Corona-Krise.
- Zum einen sollen sie die Versorgungsketten aufrecht halten, zum anderen haben sie auf der Strecke mit Probleme zu kämpfen.
- Sie erzälen ihre Geschichte.
Lindlar – Klatschen für die Lkw-Fahrer – diesen Aufruf starten derzeit Initiativen im ganzen Land. Die Frauen und Männer hinter dem Brummi-Lenkrad seien wahre Superhelden der Corona-Lage. Sie hielten die oft zitierten Lieferketten am Leben, der Normalverbraucher solle Anerkennung zollen und fleißig Applaus spenden.
Hört man Otto Grasser zu, waren seine Begegnungen der letzten Wochen allerdings weit weniger heroisch. Grasser ist einer von zehn Fahrern der Spedition Kellershohn und lenkt 450 Pferdestärken durch ganz Deutschland. „Man behandelt uns wie Aussätzige“, sagt er nachdenklich. Grasser fühlt sich derzeit nicht wie ein Held – sondern wie der sprichwörtliche letzte Dreck.
Hygienische Zustände an Rastplätzen bedenklich
Die hygienischen Zustände, unter denen er und die Kollegen momentan arbeiteten, seien eines Menschen nicht würdig, berichtet Grasser. Und das in einer Zeit, in der alle über die Bedeutung von Hygiene redeten. Bereits seit Wochen sind viele Autobahn-Rastanlagen mit angeschlossener Gastronomie geschlossen. „Und deshalb fühlt sich offenbar auch niemand zuständig, die Toiletten- und Duschbereiche zu säubern“, so Grasser.
Auswirkungen der Corona-Krise
Mit 15 bis 20 Prozent Einbußen durch Corona kalkuliert die Spedition Kellershohn derzeit. „Die ersten, die wegbrachen, waren die Messebauer, danach kamen die Automobilzulieferer“, berichtet Willi Kellershohn. Kellershohn ist davon überzeugt, dass sich nach Corona die Grundsätze des Lagermanagements ändern werden. „Bisher war das Lager auf der Straße – alles wurde genau so geliefert, wie es gebraucht wurde“, erklärt der Spediteur.
An der Automobilindustrie und anderen Großproduktionen habe man gesehen, welche drastischen Auswirkungen es gebe, wenn man überhaupt nichts auf Lager habe: „Von jetzt auf gleich stand alles still.“
An unappetitlichen Beispielen mangelt es ihm nicht. „Wenn die ersten hundert Fahrer das gleiche Klo benutzt haben und niemand sauber macht, ekeln sich die Nachfolgenden dermaßen, dass sie lieber in den Wald gehen.“ Oder direkt auf dem Parkplatz: „Über manche Anlagen läufst du im Zickzack-Kurs, um nicht in den Scheißhaufen deines Nachbarn zu treten – man muss das so deutlich sagen“, schildert Grasser. Duschen fällt oft ganz aus. „Mit Feuchttüchern kann man sich für eine Nacht mal behelfen, danach wird es unschön“, nickt der Fahrer.
Probleme bereiten den Brummi-Lenkern aber nicht nur öffentliche Anlagen. Auch in den Warenannahmen vieler Firmen herrscht offenbar die Ansicht, dass der Fahrer besser jetzt als gleich wieder verschwindet – er könnte potenzieller Corona-Überträger sein. Räume, in denen sich die Fahrer bis vor wenigen Wochen frischmachen konnten, bleiben versperrt. „Wir haben alle Fahrzeuge mit Masken ausgerüstet und viel Aufwand betrieben, um Desinfektionsmittel zu bekommen“, berichtet Geschäftsführer Willi Kellershohn.
Gleichwohl ließen einige Unternehmen seine Mitarbeiter nicht ins Haus. Dabei gebe es sogar eine Art Trend: Je größer der Konzern, desto weniger schere er sich meist um die Nöte der Anlieferer. Das Problem werde durch derzeit lange Wartezeiten bei der Be- und Entladung noch verschärft, sagt Otto Grasser. In vielen Firmen herrscht Kurzarbeit, es gibt weniger Personal und dauert deshalb länger. „Mal ehrlich: Soll ich meinem Kunden dann vor die Laderampe pinkeln?“, fragt Grasser.
Das könnte Sie auch interessieren:
Chef und Fahrer schlagen allerdings auch versöhnliche Töne an. Das Miteinander zwischen Pkw und Lkw auf den Straßen sei friedlicher geworden, die Autofahrer rücksichtsvoller. Kellershohn und Grasser plädieren dafür, das angeblich gestiegene Ansehen der Brummi-Fahrer auch konkret umzusetzen. Durch regelmäßige Reinigung der Sanitäranlagen, durch Duschmöglichkeiten in den Firmen – wenn nötig getrennt vom Rest des Firmengebäudes. Klatschen alleine reiche einfach nicht.
Auch die Industrie- und Handelskammer Köln (IHK) hat das Problem aufgegriffen und appelliert an Unternehmen, den Fahrern Zugang zu sanitären Anlagen zu gewähren. „Der Job ist für die Fahrer derzeit schon herausfordernd genug – er sollte ihnen nicht auch noch erschwert werden“, sagte Hauptgeschäftsführer Ulf Reichardt. Die IHK weist darauf hin, dass die Logistikunternehmen mit ihren Beschäftigten momentan dringend benötigt würden.