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Zu Gast in GummersbachMit der Gelassenheit eines Nomaden

Lesezeit 4 Minuten

In Dieringhausen stellte der Schamane Galsan Tschinag sein neues Buch vor, begleitet von Ehefrau Sabine Gödecke. 

Gummersbach – „Ich bin aus dem Paradies des Friedens in eine Welt von Kämpfen und Zerstörung gekommen“, sagte der mongolische Schamane Galsan Tschinag jetzt im Saal der Evangelischen Kirchengemeinde in Gummersbach-Dieringhausen. Zwar sei der Krieg Russlands mit der Ukraine in der Mongolei nicht unbekannt, doch der mehrere tausend Kilometer entfernte Konflikt nicht alltägliches Gesprächsthema. Der Angehörige des Tuwa-Volkes aus dem Altai-Gebirge betonte, dass er im Hauptberuf Schamane und damit Heiler sei: „Ich heile mit den Händen, meiner Stimme und mit Worten.“

In Leipzig hat er Germanistik studiert

Der 78-Jährige schilderte, dass er in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in Leipzig Germanistik studiert habe. „Worte sind für mich die Brücke zur ganzen Welt geworden.“ Während seiner mehrjährigen Lehrtätigkeit an mongolischen Universitäten habe er die deutsche Sprache in der Mongolei populär gemacht: „Heute sprechen etwa 40.000 Mongolen Deutsch.“

Zu Beginn der Lesung aus seinem 40. Buch in deutscher Sprache erklärte er mit einem Lächeln, dass die Gummersbacher eine Weltpremiere erleben würden – sein Buch „Kennst du den Berg: Mongolische Wanderjahre“ sei frisch auf dem Markt. Am Tisch mit seiner Ehefrau Sabine Gödecke aus Hamburg, mit der er seit einem Jahr verheiratet ist, und Christine Scharlipp, Vorsitzende des Fördervereins Mongolei, liest Tschinag mit kräftiger Stimme in typisch mongolischer Alltagskleidung mit Deel und spitzem Fellhut aus seinem neuen Werk.

Hilfsbereite Landsleute und sturköpfige Beamte

Darin beschreibt er seine Rückkehr in die Mongolei nach dem mit „Summa cum laude“ abgeschlossenen Studium in Deutschland. Mit bewegter Stimme, der die Eindrücklichkeit des damals Erlebten auch nach mehr als 50 Jahren noch deutlich anzumerken ist, erzählt er von der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft seiner Landsleute, aber auch von der Sturköpfigkeit mancher Beamten.

Anschließend rezitiert er Gedichte, die jene Gegensätzlichkeit seiner nomadischen Herkunft („Ich bin das Gras der asiatischen Steppe und der Stein des Altai“) und dem Leben in einer modernen Großstadt, die mit ihrem nächtlichen Lichterglanz das Elend dahinter versteckt, beleuchten.

Verhöre und Repressalien durch den heimischen Staat

Jüngst schilderte Galsan Tschinag in einem Interview mit dieser Zeitung in der Reichshofer Ortschaft Welpe, dass er aufgrund seiner deutschen Prägung zahllose Verhöre und Repressalien durch den mongolischen Staatssicherheitsdienst habe hinnehmen müssen: „Ich wusste, dass ich bespitzelt werde, aber nicht von wem. Ich wurde als Vaterlandsverräter und ausländischer Spion beschimpft – und irgendwann galten die immer wieder ausgesprochenen Unwahrheiten oder Halbwahrheiten als Tatsachen.“ So wurde ihm Mitte der 1970er auch die Lehrerlaubnis entzogen.

In seiner schwersten Zeit vor einer Anhörung beim Zentralkomitee habe ihn vor allem seine schamanische Lehrerin aufgerichtet. Sie habe ihn gebeten, ihr in ihre großen, grünen Augen zu schauen und geraten: „Schau der Gefahr direkt ins Auge und gehe durch das Feuer – ich stehe hinter Dir.“ Nach einer Eskalation in der entscheidenden Konfrontation habe sich das Blatt plötzlich gewendet und er habe den Raum nach einer freundschaftlich getrunkenen Tasse Tee wieder verlassen können: „Das war das Ende von acht Jahren Verhör.“

Mit der Gelassen eines Nomaden

Galsan Tschinag berichtete, dass seine Ausbildung als Schamane schon im Alter von fünf Jahren begonnen habe. Anders als in der Schulmedizin sei die Ausbildung jedoch niemals abgeschlossen: „Schamanen lernen ein Leben lang.“ Viele Krankheiten seien auch eigentlich keine Krankheiten, sondern Missverständnisse zwischen Mensch und Umwelt. Krankmachend seien etwa überheizte Räume und die vollständige Abkopplung von der Natur: „Zum Leben gehören Hitze wie Kälte, Hunger und auch Schmerzen.“ Galsan Tschinag ist ein Verfechter der Entschleunigung: „80 Prozent des bisher Erreichten reichen völlig.“

Die nomadische Ruhe und Gelassenheit finden sich in seinen Texten wieder: „Meine Bücher haben alle autobiografische Elemente.“ Für sein Gesamtwerk hat der Schriftsteller mehrere Preise bekommen, etwa 1992 den Adelbert-von-Chamisso-Preis, im Jahr 2002 wurde er zudem mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

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Nach der Premiere in Dieringhausen geht seine Lesereise weiter über Bonn nach Süd- und Ostdeutschland, bevor er nach Lesungen in der Schweiz in den Altai zurückkehrt. Zu seiner Motivation als Schriftsteller sagt Tschinag: „Ich bin ein Heiler – die Welt und die Menschen sind krank und leiden.“