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Serie

Mein ältester Schatz
Anna Katharina Weiß bekam mit fünf Jahren ein spanisches Stofftier

Lesezeit 4 Minuten
Eine ältere Frau hält einen älteren Teddybären aus ihrer Kindheit in den Händen.

Schmuddels heißt der treue Begleiter seit Kindertagen. Im Ruhestand hat ihn Anna Katharina Weiß zur literarischen Figur gemacht.

Bis heute bietet die Nümbrechterin dem Teddybären Schmuddels ein Zuhause und erinnert sich gerne an ihre Kindheit und die Familienurlaube.

Schmuddels sitzt meistens in einem Nümbrechter Bücherregal. Er lässt es langsamer angehen, schließlich ist er auch schon 64 Jahre alt. Schmuddels ist ein Teddybär. Er gehört Anna Katharina Weiß und das schon seit sie fünf Jahre alt ist – also seit eben 64 Jahren. Und in dieser langen Zeit haben beide viel erlebt.

Schmuddels stammt aus der Nähe von Figueras, einer Stadt mit heute rund 48.000 Einwohnern an der spanischen Costa Brava. Dass er in einem Nümbrechter Wohnzimmer steht, hat er dem schlechten Wetter an der Ostsee zu verdanken. „Wir waren 1960 als Familie dort im Urlaub – und es hat die ganze Zeit nur geregnet“, erinnert sich Anna Katharina Weiß. Irgendwann wird es ihrem Vater zu bunt. „Wir fahren jetzt nach Spanien“, soll er gesagt haben. Obwohl die Familie noch nie dort gewesen ist, packt man alle sieben Sachen, geht es zunächst zurück nach Warburg, dem damaligen Wohnort in Ostwestfalen. Um dann, mit vermutlich etwas leichterem Gepäck, die rund anderthalb Tausend Kilometer nach Süden zu fahren.

Mein ältester Schatz: „Beginn einer langjährigen Freundschaft“

„Das war der Beginn einer langjährigen Freundschaft – in gleich zweierlei Hinsicht. Denn meine Eltern hatten in Rosas bei Figueras später ein Ferienhaus, in dem wir viele Urlaube verbracht haben“, erzählt Anna Katharina Weiß. Und sie hat Schmuddels getroffen. „Er stand in einem Schaufenster, und ich wollte ihn unbedingt haben“, erinnert sich die 69-Jährige schmunzelnd. Vermutlich habe sie ein wenig gequengelt – mit Erfolg. Denn die Fünfjährige hat seitdem einen treuen Freund, dem sie gerade als Kind viele Dinge und Erlebnisse anvertraut und der immer zugehört hat – und einen, den sie immer wieder auch beschützen muss.

Ein altes Urlaubsfoto von einer Mutter und ihrer Tochter. Die Tochter hält einen Teddy in den Händen.

Die kleine Anna Katharina 1961 in Spanien mit Mutter und Teddy.

Gleich zu Beginn schwebt das Leben Schmuddels nämlich in durchaus veritabler Gefahr. Man mag dazu stehen, wie man will, aber der Stierkampf ist – zumindest in den 1960er Jahren – ein wesentlicher Bestandteil der Kultur auf der iberischen Halbinsel. Und so geht auch die kleine Anna Katharina mit ihrer Familie einmal in eine Arena. Schmuddels ist natürlich dabei. „Es war so, dass man bei großer Begeisterung für das Geschehen vom Publikum aus Dinge in die Mitte warf, irgendwelche Dinge“, erinnert sich Weiß.

Die Nümbrechterin hatte auch Sorge um ihren Schmuddels

Und das wäre Schmuddels beinahe zum Verhängnis geworden. „Ein Mann vor uns war wirklich sehr bei der Sache. Er hatte aber nichts zum Werfen. Neben ihm stand ein kleines Mädchen, das eine Puppe im Arm hielt“, sagt sie. Es braucht nicht viel Fantasie, um zu erahnen, was passiert. Die Puppe des – dem begeisterten Mann übrigens nicht bekannten – Mädchens landet unter lauten „Olé! Olé!“-Rufen in der Arena.

„Ich hatte große Angst, dass Schmuddels ein ähnliches Schicksal drohen könnte und habe ihn ganz festgehalten“, sagt Weiß. Zwar habe den Werfer umgehend das schlechte Gewissen geplagt und er habe dem weinenden Mädchen die größte und schönste Puppe versprochen. Die Angst um Schmuddels habe das aber nicht gemindert.

Ich hatte große Angst, dass Schmuddels ein ähnliches Schicksal drohen könnte und habe ihn ganz festgehalten.
Anna Katharina Weiß über ihren Teddybär

Auch später muss sich Weiß ihm immer wieder schützend zur Seite stellen. „Mein Bruder und mein Vater haben sich einen Spaß daraus gemacht, ihm etwas antun zu wollen – was natürlich nie passiert ist“, sagt die Nümbrechterin lachend.

Schmuddels   ist nie ein Kuscheltier gewesen. „Aber ich liebe ihn bis heute heiß und innig. Ich war früher in einem Internat, dort hat er mich die ersten Jahre begleitet, ich habe ihm viel erzählt“, sagt Anna Katharina Weiß. In der Pubertät wird der Kleine dann eher zum stilleren Begleiter. „Ich wusste, dass er da ist, und das reichte.“

Jetzt, seitdem sie im Ruhestand ist, hat Schmuddels aber noch einmal eine große Aufgabe bekommen. „Ich habe über ihn geschrieben. Ich bin ins Ernst-Christoffel-Haus, ein Seniorenheim der Diakonie Michaleshoven, als ehrenamtliche Helferin zum Vorlesen gekommen. Als dann Corona kam, wurde ich gefragt, ob ich nicht Geschichten einsprechen könnte, die über das Heimradio abgespielt werden könnten.“ Sie habe daraufhin beschlossen, rund um Schmuddels die eine oder andere Geschichte aufzuschreiben. Zwei kleine Bände sind daraus geworden, auch mit anderen Protagonisten als ihrem alten Freund.

Er bleibt aber die Hauptfigur. Und so kann Schmuddels nun über seine menschliche Freundin seine Geschichten weitergeben – und vielleicht auch dafür sorgen, dass die älteren Herrschaften selbst ins Erzählen kommen.