Ende August erscheint der 15. Band der „Beiträge zur Oberbergischen Geschichte“. Wir stellen einige besonders interessante Beiträge in Auszügen vor.
Geschichten aus der GeschichteOberbergische Täter und Komplizen des NS-Terrors

Der Dieringhauser KZ-Kommandoführer Herbert Oehler (l.) wurde als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt, wurde aber verschont.
Copyright: SNB (Sowjetisches Nachrichtenbüro)/Bundesarchiv
Die Schätzungen, wie viele Täter es waren, hängen stark von der Definition ab. Direkt am Holocaust beteiligt waren etwa 200 000 bis 250 000 Menschen aus Deutschland und Österreich. Dazu kamen Hilfskräfte aus anderen Ländern, deren Anzahl schwer zu bestimmen ist. Erweitert man die Definition der direkten Beteiligung auf Personen, die alle Formen von Verbrechen des NS-Regimes unterstützt und vorbereitet haben, kommen Historiker auf 500 000 bis über eine Million Täterinnen und Täter.
Es gibt keine klare Definition des Täter-Begriffs, der eigentlich aus dem Wortschatz der Justiz stammt. Des Weiteren finden sich Begriffe wie „Profiteure“, „Belastete“, „Funktionäre“ oder „Kollaborateure“, „Helfer“ und „Komplizen“. Die Forschung hat in den letzten Jahrzehnten den Kreis der Täter stetig erweitert. Zu Beginn lag der Fokus auf Adolf Hitler und den Haupttätern, die im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess vor Gericht standen.
Täter in vielen oberbergischen Familien
Im Rahmen der „Neueren Täterforschung“ entwickelte sich die Forschung weiter und neue Gruppen wurden untersucht. Ins Blickfeld rückten Lehrerinnen und Lehrer, Ärztinnen und Ärzte, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ministerien, in Verwaltung, Justiz, den Kirchen sowie des Reichssicherheitshauptamtes und der Einsatzgruppen. Ein wichtiger Bereich der Täterforschung ist auch die Frage, wie die deutsche Justiz nach 1945 mit den Täterinnen und Tätern umgegangen ist. Nur 6656 Menschen wurden verurteilt. Täter gab es überall, in jeder Region und in jedem Ort, in sehr vielen Familien.
Oberbergische Täter gab es in vielen Bereichen des Staates und der NSDAP. Oberberger waren zum Beispiel Aufseher im Konzentrationslager Auschwitz, leiteten die Gestapo in Düsseldorf und übernahmen Tätigkeiten in führenden Stellen des Deutschen Reiches in Verwaltung und Justiz. Die Tatorte lagen überwiegend nicht in Oberberg. Neben bekannten oberbergischen NS-Größen wie vor allem Robert Ley, seinen Mitarbeitern Otto und Fritz Marrenbach sowie den „alten Kämpfern“ Heinrich Katzenbach und Bruno Friedrich gab es eine lange Reihe von Tätern, über die bisher wenig bekannt war .
Späte Aufarbeitung in Oberberg
Der Regionalhistoriker und langjährige Kreisarchivar Gerhard Pomykaj stellte 2001 treffend fest: „Eine ernsthafte und kritische Beschäftigung mit der Zeit des Nationalsozialismus begann im Oberbergischen noch später als in anderen Regionen Deutschlands.“ Bis heute fehlt eine zusammenhängende Darstellung für den gesamten Oberbergischen Kreis. Ebenso hat die große Mehrheit der Städte, Vereine, Verbände, Organisationen und Kirchengemeinden den Zeitraum von 1933 bis 1945 weder untersucht, noch wissenschaftlich aufgearbeitet. Der Umgang mit der NS-Zeit nach 1945 spiegelt das gleiche Bild wider. Dennoch gibt es eine Reihe von wichtigen Publikationen zur Geschichte des Nationalsozialismus, allen voran der dritte Band der „Oberbergischen Geschichte“.
Die Beschäftigung mit Täterinnen und Tätern ist bis heute kein Schwerpunkt der regionalen Forschung. Im Oberbergischen wurde die Täterforschung von vielen Personen und Organisationen vernachlässigt, in Teilen verdrängt und verschwiegen. Dies ist sicherlich eine Mischung aus bewusstem Schützen einzelner Personen und Familien, fehlenden Unterlagen in Archiven und der schwindenden Möglichkeit der Zeitzeugenbefragung.
Robert Ley war herausragende Figur
Bereits in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg wurde ein Bild der NS-Zeit konstruiert, das eher auf Verharmlosungen setzte. Der Hochschulprofessor und Heimatkundler Theodor Rutt aus Rösrath war sich Mitte der 1950er-Jahre sicher, dass „der gesunde familien- wohl auch heimatverwurzelte Stamm der Oberberger nicht zu radikalen Lösungen neigte“.
Die Kritik ging in eine andere Richtung, sie richtete sich an die Besatzungsmacht, die gegen die „Landplage“ der plündernden und bewaffneten Banden der Kriegsgefangenen und Fremdarbeiter nichts unternahm. An keiner Stelle findet sich ein Hinweis auf die Täterinnen und Täter, die den Nationalsozialismus und damit seine Auswirkungen für die oberbergische Bevölkerung erst möglich gemacht hatten. Der Leser findet nur einen Satz über eine Person, die im Nationalsozialismus aktiv war: „So ist es dem Chemiker Dr. Robert Ley gelungen, schon früh im Oberbergischen der Nationalsozialistischen deutschen Arbeiterpartei Anhänger zuzuführen“ .
Brandenburger war Pionier in Oberberg
Die Arbeit Rutts, die im Auftrag des Oberbergischen Kreises verfasst wurde, ist exemplarisch für die erste Phase nach 1945, in der über die NS-Zeit wenig gesprochen und geschrieben wurde. Bis in die 1980er-Jahre fand regionalhistorische Forschung zum Nationalsozialismus kaum statt. Der Historiker und Gymnasiallehrer Hans-Wilhelm Brandenburger (1952-1990), dessen Forschungsarbeiten bereits Ende der 1970er-Jahre begannen, war der Pionier der lokalen NS-Geschichtsforschung im Oberbergischen. Brandenburgers Dissertation „Ley-Land“ war Mitte der 1980er-Jahre der Beginn der regionalen Forschungsperspektive. Er setzte sich intensiv mit Robert Ley auseinander, sein Umfeld diente zum Teil als Zeitzeugen. Leider konnte Brandenburger wegen seines frühen Todes seine Forschungen nicht fortführen.
Jürgen Woelke initiierte Anfang der 1980er-Jahre einen Gesprächskreis mit Zeitzeugen des Nationalsozialismus im Rahmen der VHS Gummersbach. In dieser Zeitung veröffentlichte er eine Artikelserie. Der Oberbergische Kreis veranstaltete im Oktober und November 1988 eine Ausstellung im Schloss Homburg. Zielsetzung war, anlässlich des 50-jährigen Jahrestages der Reichspogromnacht am 9. November 1938, „das Defizit in der historischen Aufarbeitung der nationalsozialistischen Zeit und seiner Folgen zu verringern“ . Die Perspektive der Täter war in den 1980er-Jahren nur von wenig Interesse.
Gerhard Pomykaj hat für die Erforschung der nationalsozialistischen Zeit im Kreis und in der Stadt Gummersbach sehr viel geleistet. Seine Publikationen zum Holocaust, zur Zwangsarbeit, viele Vorträge, unter anderem zu Steinmüller, und insbesondere der dritte Band der „Oberbergischen Geschichte“ sind die wichtigsten Forschungsergebnisse, die wir haben.
Im Dezember 2021 erschien der Sammelband „Indoktrination, Unterwerfung, Verfolgung“, der Aufsätze von 28 Autorinnen und Autoren enthält. Auch die Täterforschung fand Berücksichtigung. Erstmals werden ausführliche Beispiele zu oberbergischen Lehrern präsentiert, die im Nationalsozialismus aktiv waren, wie zum Beispiel Friedrich Bals , Karl Tabbert, Otto Kaufmann, Paul Heck, Albert Schumacher, Walter Becker und Otto Bäcker.
Kritik an Ehrung des Nümbrechters Otto Kaufmann
Bereits 2001 hatte Pomykaj auf die Ausstellung unter dem Titel „Rasse, Volk und Familie im Oberbergischen“, die von Otto Kaufmann (1900-1985) in der Turnhalle der Gummersbacher Oberrealschule organisiert worden war, hingewiesen. Der Heimatverein Nümbrecht hatte Kaufmann in einer Ausgabe der „Heimat-Klänge“ Ende 2020 einen längeren Aufsatz gewidmet. Nach einem Bericht über Kaufmann in dieser Zeitung im Januar 2021, in dem seine Verdienste im Bereich der Mundart- und Heimatpflege gewürdigt wurden, meldete sich der Leiter des Lindlarer Freilichtmuseums, Michael Kamp, mit der Frage „Wussten Sie nicht, dass Otto Kaufmann ein überzeugter Nazi war?“ bei der Zeitung und der Gemeinde Nümbrecht. Um den Lehrer und Heimatforscher entzündete sich eine Kontroverse, nachdem es weitere Presseberichte zu seiner Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus gab.
Kamp kommt zu dem Schluss, dass Kaufmann „ein überzeugter Nationalsozialist war, der sich mit dem Regime mehr als notwendig arrangiert hat und die menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus als weltanschaulicher Erzieher vertreten und verbreitet hat“. Kamp wertete insbesondere die Schulchronik der Hilfsschule Gummersbach (heutige Jakob-Moreno-Schule) aus. Kamp veröffentlichte einen weiterführenden Aufsatz, in dem er Kaufmanns Wirken auf der Basis vieler Quellen darstellte.

Otto Kaufmann (l.), Ehrenmitglied des Bergischen Geschichtsvereins, wurde 1974 mit der Crecelius-Medaille geehrt.
Copyright: Werner Stranzenbach
Mitglieder des Heimatvereins Nümbrecht vertraten eine andere Position – in einer umfangreichen Replik sammelten sie viele Argumente in zum Teil drastischer Sprache, um Otto Kaufmann in ein anderes Licht zu rücken. „Man sei sicher, alle Vorwürfe entkräften zu können“, lautete der Tenor. Das „Defensionswerk“ konnte die Ratsmitglieder nicht überzeugen. Im März 2021 erfolgte die Umbenennung der Otto-Kaufmann-Straße in Gouvieuxstraße, benannt nach der französischen Partnerstadt Nümbrechts, einstimmig und ohne Enthaltung. In manchen Kommentaren wurde kritisiert, dass es keine Diskussion im Nümbrechter Rat gab, sondern eine direkte Abstimmung erfolgte.
Forschungen zum Wirken des späteren Bundestagsabgeordneten, Nümbrechter Bürgermeisters und oberbergischen Landrats Heinrich Schild in der NS-Zeit führten im März 2021 ebenfalls zu der Umbenennung der nach ihm benannten Straße in „Nümbrechter Straße“.
Das Jahr 2021 mit den beiden Umbenennungen, der Diskussion um einen Auftrag für einen „externen Historiker“ zur Erforschung der Nachkriegszeit und der Veröffentlichung eines neuen Sammelbandes hatte trotz vieler Emotionen einen durchaus positiven Effekt. Die Beschäftigung mit der lokalen Geschichte des Nationalsozialismus ist wieder mehr ins Zentrum der Öffentlichkeit gerückt.
Mein Wunsch wäre, dass an den Schulen des Kreises mehr als bisher ein regionalgeschichtlicher Zugang bei der Vermittlung des Themas „Nationalsozialismus“ Einzug hält, der auch Beispiele für lokale Täter beinhaltet. Biografien bieten didaktische Vorteile, Lebenswege ermöglichen Identifizierung oder den Aufbau von Distanz. Hier bedarf es sicher auch geeigneter Quellen und Darstellungstexte, die im Unterricht einzusetzen sind. Die Entwicklung solcher Materialien wäre ein lohnendes Projekt, das auch eine finanzielle Förderung verdient hätte.
Es geht nicht um das moralische Verurteilen der Menschen, die in der NS-Zeit gelebt haben. Bei historischen Arbeiten sollte es um das Verstehen gehen.
Einige oberbergische Täter
Karl Haselbacher (1908-1940) war der Sohn des Geschäftsführers der Mühlenthaler Spinnerei in Dieringhausen, die zum damaligen Zeitpunkt einer der größten Betriebe der Region war. Er besuchte die Oberrealschule in Gummersbach und machte dort 1924 sein Abitur. Nach dem Jura-Studium an der Universität Köln, absolvierte er seine Referendarzeit in Köln bei dem nationalsozialistischen Rechtsanwalt Karl Bartels. Haselbacher war in die Verteidigung von Robert Ley involviert, der sich wegen antisemitischen Äußerungen in der Zeitung „Westdeutscher Beobachter“ zu verantworten hatte. 1934 kam Haselbacher zum Geheimen Staatspolizeiamt, war Vorgänger von Adolf Eichmann in der Funktion des „Juden-Referenten“. Weitere berufliche Stationen führten ihn nach Wien und zur Gestapo Kiel, wo er die Ausbürgerung des späteren Bundeskanzlers Willy Brandt veranlasste. Der SS-Obersturmbannführer und Oberregierungsrat war schließlich bis zu seinem Tod im Jahr 1940 Leiter der Gestapo Düsseldorf und Führer eines Einsatzkommandos in Belgien. Er kam bei einem Verkehrsunfall ums Leben.
Herbert Oehler (1906-1972) stammte aus Dieringhausen-Brück, er trat 1933 in NSDAP und SS ein. Von Beruf war er Schlosser, war verheiratet und hatte zwei Kinder. Er war Angehöriger der Lagermannschaft in den Konzentrationslagern Oranienburg, Buchenwald, Auschwitz, Natzweiler und Heppenheim. Ab Frühjahr 1944 war Oehler Kommandoführer im Lager Schörzingen in Baden-Württemberg. Oehler agierte dort sehr brutal und gewalttätig, berichtet Lagerschreiber Julien Hagenbourge: „Vielleicht am deutlichsten zeigte sich dies bei Fluchtversuchen, wenn er die eingefangenen Flüchtlinge beispielsweise winters in eisiger Kälte stunden- oder gar tagelang nackt auf dem Appellplatz stehen und manchmal noch mit Wasser übergießen ließ.“ Im Rahmen der Rastatter Prozesse wird sein Fall verhandelt. Herbert Oehler wird am 15. April 1947 zur Todesstrafe verurteilt. Das Urteil wird jedoch nicht vollstreckt, stattdessen sitzt er bis 1957 in französischen Gefängnissen. Danach kommt er frei. Nach seiner Freilassung verschlägt es ihn nach Patersbach in Rheinland-Pfalz.
Erika Flocken (1912-1964) stammt aus Hessen. Von Juni 1944 bis April 1945 war sie als leitende Ärztin für die Häftlinge des Außenlagers Mühldorf zuständig, welches in den Einzugsbereich des Konzentrationslagers Dachau gehörte. Von dem amerikanischen Militärgericht wurden ihr zahlreiche Taten zur Last gelegt, darunter die Vernachlässigung von kranken Häftlingen. Zudem war sie an Selektionen von jüdischen Häftlingen beteiligt, die in Auschwitz in den Gaskammern umgebracht wurden. Im Mai 1947 erfolgte das Todesurteil. Flocken ist die erste Frau, die durch ein Militärgericht zum Tode durch den Strang verurteilt wurde. Die Todesstrafe wurde in eine Haftstrafe umgewandelt, 1956 wurde sie aus dem Kriegsverbrechergefängnis entlassen. Von 1957 bis 1961 hatte sie im Kreiskrankenhaus Waldbröl eine Anstellung als Assistenzärztin. Dort war man mit ihr sehr zufrieden. Im April 1964 verstarb sie in Bad Salzuflen.
Karl Everts (1905-1952) wurde in Ründeroth als einer von drei Söhnen des langjährigen Bürgermeisters Karl Everts geboren. 1919 machte er an der Gummersbacher Oberrealschule das Abitur. Nach dem Jura-Studium arbeitete er in der zivilen Justiz. Im Oktober 1941 kam er nach Wien an das Gericht der Division 177, dessen Leitung er im August 1944 übernahm. In seiner Zuständigkeit verfolgte er mit großer Energie Fälle von „Selbstverstümmelungen“. Diese Form der „Wehrkraftzersetzung“ führt im Jahr 1944 zu 90 Verfahren gegen Soldaten, die sich Verletzungen selbst beigebracht hatten, um dem Einsatz an der Front zu entkommen. Die Geständnisse erreichte Everts mit Foltermethoden. In fast der Hälfte der Verfahren forderte er die Todesstrafe, rund 20 Mal wurde sie verhängt. Im Februar 1945 leitete Everts den Vollzug der Todesstrafe an 14 Soldaten, davon viele unter 20 Jahre alt. Bei seiner Entnazifizierung half ein Schreiben des Ründerother Bürgermeisters Karl Osberghaus, der Everts „eine demokratisch-nationale Gesinnung“ bescheinigte. Von 1948 bis 1950 war Everts ehrenamtlicher Bürgermeister in Ründeroth.