„Unverantwortlich und weltfremd“Sportmediziner zum möglichen Saisonneustart
Fortsetzung oder Abbruch. Noch steht die Entscheidung aus, was mit der aktuellen Saison im Amateurfußball passieren soll. Thomas Giesen sprach mit Dr. Carsten Bernemann über die denkbaren medizinischen Risiken für die Spieler, sollte nach der langen Pause demnächst der Ball wieder rollen können. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Sportmedizin mit Praxis in Gummersbach unterstützt als Gesundheitspartner die Fußballer des FV Wiehl.
Herr Dr. Bernemann, haben Sie in Ihrer Praxis eigentlich viel weniger zu tun, seitdem der Amateursport in der Corona-Zwangspause steckt?
Dr. Carsten Bernemann: Ja, man merkt das. Der Montag war der typische Tag, an dem die Sportler in die Praxis kamen, die sich am Wochenende verletzt haben. Manche, weil sie die Verletzung zunächst nicht so ernst genommen haben, und andere, die zuvor schon im Krankenhaus waren und bei uns weiter behandelt werden. Das gibt es jetzt deutlich weniger.
Kann man den Rückgang in Zahlen ausdrücken?
Seit dem ersten Lockdown sind das 200 bis 300 Patienten in etwa. Aber das Fehlen der Amateursportler ist nicht der einzige Grund. Ich glaube auch, dass viele Angst haben, sich in einer Arztpraxis schneller mit Covid-19 anzustecken und deshalb nicht kommen, obwohl sie Beschwerden haben. Dazu besteht aber kein Grund. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering. Die Arztpraxis ist wegen der Vorkehrungen ein sehr sicherer Ort.
Sollte die behördliche Verfügungslage das Fußballspielen bald wieder zulassen und der Fußball-Verband Mittelrhein die Wiederaufnahme der Saison beschließen, dürften Sie wieder mehr zu tun bekommen. Wie wird sich ihrer Meinung nach die lange Pause auf das Verletzungsrisiko auswirken?
Die Krankenhäuser und Arztpraxen werden alle Hände voll zu tun haben. Bänder und Muskelverletzungen sind vorprogrammiert. Da bin ich mir sehr sicher. Nehmen wir mal die Fußball-Landesliga. Auch wenn das sportliche Niveau schon hoch ist, ist es immer noch Amateursport. Nicht alle Spieler werden nach der langen Pause ausreichend vorbereitet sein. Alle haben ihre Berufe oder einfach andere Probleme während des Lockdowns. Für alle ist es ein Kaltstart.
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Welche Baustellen sehen Sie?
Das fängt schon bei der Grundausdauer an. Es sind aber vor allem die koordinativen Fähigkeiten, die man allein im Lockdown nicht so gut trainieren kann. Die speziellen Bewegungsabläufe sind nicht mehr gespeichert. Nur Laufen reicht da nicht. Auch verletzungsvorbeugende Maßnahmen wie Stabilisationstraining kommen im Amateursport schon im Normalbetrieb zu kurz und werden häufig stiefmütterlich behandelt. Zudem werden einige Spieler, vor allem in den unteren Klassen, vielleicht an Gewicht zugelegt haben. Das ist auch nicht gerade förderlich. Auf all das kann ein Trainer in einer so kurzen Vorbereitungszeit nicht eingehen, müsste er aber, ehe es an die taktischen Dinge geht. Wenn Spieler dann auch noch volle Pulle gehen, dann verletzen sie sich schneller.
Der Fußball-Verband Mittelrhein hat den Vereinen eine Vorbereitungszeit von mindestens zwei Wochen gewährt, ehe der Spielbetrieb wieder starten kann. Was halten sie davon?
Ich halte das aus medizinischer Sicht für einen Fehler. Das ist unverantwortlich und weltfremd. Die übliche Vorbereitungszeit beträgt ja sonst vier bis sechs Wochen. Minimum sind vier Wochen, darunter ist es für mich undenkbar. Und dann sollte man schon mindestens dreimal die Woche trainieren und die Grundausdauer muss bereits vorhanden sein.
Halten Sie es überhaupt für sinnvoll, die Saison noch fortzusetzen?
Besser wäre es, die Saison abzubrechen und vielleicht im Herbst wieder zu beginnen. Ich bin Mediziner und die Gesundheit der Sportler ist mir am wichtigsten. Wir sind hier nicht beim FC Bayern, wo es um Millionen geht. Und kein Kreisliga A-Titel ist so wichtig wie die Gesundheit.