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Lösungen an der frischen LuftWaldbröler Beratungsstelle hilft bei Spaziergängen

Lesezeit 3 Minuten

Am „Haus für Alle“ im Waldbröler Stadtteil Isengarten beginnt Claudia Kunczik meist ihre Spaziergänge mit den Ratsuchenden (Situation gestellt).

Isengarten – Eine Auszeit ist es, ein kleiner Urlaub vom Alltag. Wenn jemand ihre Hilfe braucht, dann lädt Claudia Kunczik gern zu einem Spaziergang ein. Los geht’s an Kuncziks Arbeitsplatz, dem „Haus für Alle“. Und vom Albert-Schweitzer-Weg geht’s gleich ins Grüne. Unterwegs hat die stellvertretende Leiterin dieser Beratungsstelle des Evangelischen Kirchenkreises An der Agger im Waldbröler Stadtteil Isengarten stets ein offenes Ohr für die kleinen Sorgen, aber auch die ganz großen Probleme.

Doch auch mit Missbrauch, Gewalt in der Familie und dem Trauma danach werden Kunczik und ihre acht Kolleginnen und Kollegen bisweilen konfrontiert. „An der frischen Luft sind diese Gespräche oft viel offener, entspannter als mit Maske im Beraterzimmer oder in unserem Gruppenraum“, sagt die Diplom-Sozialarbeiterin und Familientherapeutin.

Probleme durch die Pandemie verstärkt

„Auch muss man sich im Gehen deutlich mehr aufeinander konzentrieren, das fördert die Beratung.“ Und nicht zuletzt sei eine Runde durchs Grüne immer eine Ablenkung von einem Zuhause, in dem zu Lockdown-Zeiten oft nichts mehr so ist wie es früher einmal war. „Auch sollte man bei einem solchen Gespräch alleine sein“, führt die 52-Jährige aus.

Dann geht es etwa um den Streit mit dem Lebensgefährten, die Angst vor der Arbeitslosigkeit, die Probleme in der Erziehung der Kinder oder in der Ehe, den Stress mit dem Unterricht zu Hause – also Belastendes, das die anhaltende Corona-Pandemie noch verstärkt. Kunczik: „Insgesamt stellen wir fest, dass sich mehr depressive Stimmungen entwickeln, je länger die sozialen Kontakte fehlen.“

Viel mehr Stress als früher

Zudem sei heute mehr Stress im Spiel, etwa bei Alleinerziehenden, die den Beruf, das Home-Schooling und die Betreuung der Kinder insgesamt unter einen Hut bringen müssen. Geht es um Kinder oder Jugendliche, werden diese oft in die Beratung eingebunden. „Jugendliche können sich auch selbst bei uns anmelden“, betont Kunczik. Auch sei sie schon mit Jugendlichen spazieren gegangen, aber das komme eher selten vor. „Und mit Kindern noch nie.“ Die Beraterin vermutet, dass solche Schieflagen grundsätzlich dieselben sind wie vor der Pandemie. „Doch sind die Menschen heute in der Krise viel mehr auf sich konzentriert und bleiben auch länger mit sich allein.“

45 bis 60 Minuten dauert ein solcher Spaziergang: Claudia Kunczik achtet darauf, dass Abwechslung geboten ist – Höhen und Täler gibt es, Feld und Wald. „Natürlich entscheidet auch die Fitness des Ratsuchenden über die Strecke.“ Regne es Hunde und Katzen, gehe niemand vor die Tür. „Und manchem tut eher, gut, einfach mal zu sitzen und reden, auch dann gibt es kein Gespräch im Gehen.“ Herauszufinden, was der Andere gerade braucht, das sei ihre erste Aufgabe, betont die Wiehlerin.

Ratgeber kommt zum Ratsuchenden

Für sie ist das Draußensein nicht ungewöhnlich: Bevor sie vor zwölf Jahren ihre Stelle im „Haus für Alle“ antrat, war sie in der aufsuchenden Therapie tätig: Der Ratgeber kommt zum Ratsuchenden. „Als der zweite Lockdown kam, habe ich dieses Konzept übertragen“, erklärt Kunczik. Natürlich führe sie Beratungsgespräche auch am Telefon oder als Videokonferenz, ein persönliches Treffen aber sei kaum zu ersetzen.

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Findet dies aber in Claudia Kuncziks Arbeitszimmer, in einem Gruppenraum oder gar in der kleinen Turnhalle am Albert-Schweitzer-Weg statt, so greifen sofort die Corona-Regeln – Abstand halten, Lüften, Maske tragen. Kunczik bedauert: „Durch die Maske geht leider die so wichtige Mimik verloren.“