Ohrfeige für PinkwartOVG Münster kritisiert Mindestabstand von Windrädern zu Häusern
- Kaum im Amt hatte Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart den Mindestabstand von Windrädern zur nächsten Wohnsiedlung per Erlass auf 1500 Meter verdoppeln lassen.
- Das OVG hat diese Regelung nun in Zweifel gezogen. Es fehle eine „empirisch fundierte Herleitung oder eine sonstige Begründung“.
- Die Grünen werfen Pinkwart eine Verzögerungstaktik vor.
Köln – Es ist ein kleiner Absatz mit womöglich weitreichender Wirkung. In einem Urteil zum Betrieb von Windkraftanlagen im sauerländischen Brilon hat sich das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster ungewöhnlich deutlich zu einer umstrittenen Regelung geäußert, die die schwarz-gelbe Landesregierung nach dem Regierungswechsel 2017 verfasst hat.
Kaum im Amt hatte Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) den Mindestabstand von Windrädern zur nächsten Wohnsiedlung von 700/800 Metern per Erlass auf 1500 gleichsam verdoppelt und später auch im geänderten Landesentwicklungsplan festschreiben lassen. Das OVG hat diese Regelung nun in Zweifel gezogen: „Letztlich steht hinter dieser Zahl offenbar nur ein politischer Wille“, schreibt der 2. Senat. Es fehle eine „empirisch fundierte Herleitung oder eine sonstige Begründung“.
Die Äußerung des OVG Münster ist nicht nur eine juristische Ohrfeige für Pinkwart, sie dürfte auch den Streit um die Abstandsregelung weiter anfachen. Vor allem Betreiber von Windkraftanlagen und Klimaaktivisten hatte der Minister gegen sich aufgebracht. Sie befürchteten, dass der Ausbau der Windkraft vollständig zum Erliegen kommt. Noch im vergangenen Jahr hatte sich Pinkwart gegen eine bundeseinheitliche Regelung gestemmt, wie sie erstmals im Entwurf für das Klimapaket der Bundesregierung auftauchte.
Streitigkeiten um Planung und Bau von Windkraftanlagen landen oft vor Gericht
1000 Meter Mindestabstand wurden dort vorgeschlagen. Der Vorschlag von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier stieß auf wenig Gegenliebe. Die windkraftstarken Bundesländer wie Niedersachsen und Schleswig-Holstein hielten die 1000 Meter für zu restriktiv. Pinkwart waren sie zu wenig. Der Minister forderte stattdessen eine Länderöffnungsklausel. Heißt: Jedes Bundesland soll selbst einen Mindestabstand bestimmen dürfen. Die Initiative im Bundesrat verlief bislang ergebnislos.
Andreas Lahme, stellvertretender Vorsitzender des Landesverbands Erneuerbare Energien NRW, hält nicht viel von einer solchen Klausel. Bayern sei der Beweis dafür, dass Länder sich so aus der Verantwortung stehlen würden, sagt der Verwaltungsrechtler aus Lippstadt. Im Land von Ministerpräsident Markus Söder gilt sogar ein Abstand von 2500 Metern. „Statt im Bund oder auch auf Länderebene auf pauschale Mindestabstände zu setzen, sollten die Länder verpflichtet werden, der Windkraft ausreichend Flächen zur Verfügung zu stellen“, sagt Lahme, der im Fall Brilon einen der Anlagenbetreiber vertrat.
Mit der Länderklausel will Pinkwart vor allem eine juristische Schwachstelle seiner 1500-Meter-Regelung beheben. Im Moment – das hat das OVG Münster nun verdeutlicht – ist sie rechtlich nicht bindend. Gerade deshalb aber sorgt sie in den Kommunen offenbar für reichlich Verunsicherung. Nicht selten enden die Streitigkeiten um Planung und Bau von Windkraftanlagen vor Gericht. Bei der Ausarbeitung der verwaltungsrechtlich komplexen Schriftsätze würden viele Kommunen davon ausgehen, die 1500 Meter einhalten zu müssen, so Lahme.
Es ist nicht das erste Mal, dass das OVG Münster Pinkwarts Regelung unter Beschuss nimmt. Schon Anfang 2018 hatte der Vorsitzende Richter Max-Jürgen Seibert eine Warnung gen Düsseldorf geschickt. Die Abstandsregelung bezeichnete er als „reine Symbol-Politik“. Die Landesregierung könne lediglich Empfehlungen aussprechen, da es sich in der Sache um Bundesrecht handle. Für das Gericht gelte die Faustformel, dass der Abstand der Anlagen zur Wohnbebauung etwa dreimal so weit sein muss, wie das Windrad hoch ist. Inklusive Flügel haben große Windräder eine Höhe von rund 250 Metern.
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Experten wie Lahme bezeichnen den Kurs der Landesregierung in Sachen Energiewende als widersprüchlich. In derselben Woche im Juli 2019, in der die Koalition den Mindestabstand schließlich auch im Landesentwicklungsplan festschreiben ließ, wurde auch die „Energieversorgungsstrategie 2030“ verabschiedet. Darin äußert die Regierung wiederum die Absicht, den Anteil von Windkraft und Photovoltaik zu verdoppeln. „Weniger Fläche und doppelt so viel Windkraft sind rechnerisch kaum möglich“, sagt Lahme.
Die Grünen werfen Pinkwart eine Verzögerungstaktik vor. „Statt einer schnellstmöglichen Klarstellung in einem geänderten Windenergieerlass, lässt Pinkwart die Kommunen mit der Auslegung auf unbestimmte Zeit allein“, kritisiert Wibke Brems, energiepolitische Sprecherin. Pinkwarts Verhalten sei ein „durchsichtiges Schauspiel und ein Beleg dafür, dass es der Landesregierung um die Verhinderung von Windenergiezubau in NRW geht“. Brems fordert , den Passus ersatzlos zu streichen.
Dazu sieht Pinkwart allerdings keine Veranlassung. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage, die Brems gestellt hatte, schreibt das Wirtschaftsministerium, man wolle zunächst die „bundesgesetzliche Regelung“ abwarten. Wann diese zu erwarten ist, bleibt ungewiss.