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„Wir sind kompetent in diesen Dingen“Das Protokoll des Rheinbrücken-Debakels

Lesezeit 7 Minuten
Rheinbrücke

Der Neubau der Rheinbrücke Leverkusen : Das Foto wurde mit einer Drohne aufgenommen.

  1. Dass zwei Vorstände eines weltweit tätigen Baukonzerns einen kompletten Arbeitstag investieren, um in den Austausch mit einer Regionalzeitung zu treten, lässt uns aufhorchen.
  2. „Wenn Sie jetzt entscheiden, dass Sie europäischen Stahl haben wollen, können Sie den ersten Teil der Brücke entsorgen“, heißt es bei dem Gespräch im Dezember. Vier Monate später tritt der Fall ein.
  3. Das Protokoll einer Recherche

Köln – Das Angebot an die Redaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ kommt überraschend. Anfang Dezember 2019 dient die Management Beratung Lintemeier Advisors unserer Zeitung ein Gespräch mit der Chefetage des Baukonzerns Porr AG an. Der Vorstand wolle ausführlich über das Bauprojekt Leverkusener Rheinbrücke sprechen. Man suche den Kontakt, um die mediale Begleitung des für NRW so bedeutenden Infrastrukturprojekts zu intensivieren.

Dass zwei Vorstände eines weltweit tätigen Baukonzerns einen kompletten Arbeitstag investieren, um in den Austausch mit einer Regionalzeitung zu treten, lässt uns aufhorchen.

Dienstag, 10. Dezember 2019

Bei der Begrüßung im Neven DuMont Hauses sagt Porr-Vorstand Karl-Heinz Strauss, dass er das offene Wort schätzt: „Wir sind keine Taktiker und keine Salamischneider. Wir sind ein offen geführtes Bauunternehmen.“

Es folgt eine Einführung mit Kennzahlen über das Traditionsunternehmen, das gerade sein 150-jähriges Bestehen gefeiert hat: 20 000 Mitarbeiter weltweit, Jahresumsatz 5,7 Milliarden Euro, in Österreich die Nummer eins vor der Strabag.

Strauss’ Leistungsschau enthält von Stuttgart 21 über die Hochmoselbrücke bis zum WM-Stadion von Doha in Katar alles, was an Prestigeprojekten denkbar ist. „Am Flughafen Berlin haben wir leider nur die Parkhäuser gebaut“, betont er. In Norwegen sei man 2018 zum besten Brückenbauunternehmen gewählt worden. „Wir sind kompetent in diesen Dingen.“

So kommt man zum Thema – die Rheinbrücke Leverkusen und die Stahl-Frage. Das inzwischen pensionierte Vorstandsmitglied Hans Wenkenbach schaltet sich ein. Man rede insgesamt über 30 000 Tonnen Stahl für die Rheinbrücke. Wo der Stahl herkomme, sei eine Frage des Weltmarkts. Bei der Produktion sei vereinbart worden, dass die Brückenteile aus China kommen und die Pylone in Deutschland gefertigt werden.

Vorstandschef Strauss ergänzt, man habe gemeinsam mit dem Landesbetrieb Straßen NRW als Auftraggeber sichergestellt, „dass die Verarbeitung dieses Stahls auf europäischem Niveau stattfindet“. Darauf sei man stolz. Herstellung, Qualitätssicherung und Normen in China seien auf europäischem Niveau und vollkommen identisch. Wenkenbach betont, der chinesische Partner China Railway Shanguan Brigde Group sei „keine Micky-Maus-Firma“. Die Rheinbrücke mache nur zehn Prozent des Jahresumsatzes aus.

Das Gespräch dreht sich fortan ausschließlich um den China-Stahl, der im Dezember 2019 in der Öffentlichkeit kein Thema ist. Knapp zwei Jahre zuvor hatten die Stahl-Lobbyisten in Deutschland dessen Qualität angezweifelt. Doch davon ist selbst der Branchenverband „Bauforumstahl“ längst abgerückt.

Dennoch, so Strauss, sei der politische Druck wegen des China-Stahls unterschwellig zu spüren. „Für die Leverkusener Brücke kommt die Entscheidung zu spät“, ergänzt Vorstandsmitglied Wenkenbach. „Wenn Sie jetzt entscheiden, dass Sie europäischen Stahl haben wollen, können Sie den ersten Teil der Brücke entsorgen.“

Vier Monate später, am 24. April 2020, ist das Realität. Das Land kündigt den Vertrag mit Porr. Das Gespräch im Neven DuMont Haus endet mit der Zusage von Porr, die Ankunft der ersten Stahlbauteile an der Leverkusener Rheinbrücke rund um Ostern 2020 journalistisch begleiten zu können. Uns lässt es verwundert zurück. Warum ist den Porr-Vorständen das Thema China-Stahl so wichtig?

Was wir zu diesem Zeitpunkt nicht wissen: Bereits seit März 2019 ist man in der Wiener Konzernzentrale über die Qualitätsprobleme bei der Fertigung der Brückenteile in China informiert. Der Tüv Rheinland, der die Kontrolle in den chinesischen Werken für Porr übernommen hat, hat in etlichen Protokollen darauf hingewiesen. Die Porr-Vorstände wissen auch, dass die beiden Ingenieurbüros, die der Landesbetrieb Straßen NRW beauftragt hat, die Fertigung in China zu überwachen, bei ihrer Arbeit systematisch behindert werden.

Was wir damals auch nicht wissen: Am 23. Dezember 2019 fordert die Porr AG in einem Brief an das NRW-Verkehrsministerium einen Nachschlag von 250 Millionen Euro für das Bauwerk, das mit 363 Millionen Euro kalkuliert ist. Plus einer Bauzeitverlängerung von 57 Monaten. Mit der 13 Tage zuvor im Neven DuMont Haus beschworenen partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Landesbetrieb Straßen NRW scheint es nicht weit her zu sein.

Dienstag, 18. Februar 2020

Es ist der seit ein paar Jahren bei Straßen NRW übliche Termin. Die Chefin informiert über die anstehenden Bauprojekte auf den NRW-Autobahnen. Diesmal in der Autobahnmeisterei Recklinghausen. Mehr als 1,4 Milliarden Euro habe man 2019 verbaut, sagt die Direktorin Elfriede Sauerwein-Braksiek stolz. 2020 peile man eine ähnliche Größenordnung an. In der Halle sind Themeninseln für die Bauprojekte in den Regionen aufgebaut. Bei der Themeninsel Köln/Leverkusen fällt unter vielen bekannten Großbaumaßnahmen ein neues kleines Projekt auf.

Für zwei Millionen Euro will Straßen NRW im Autobahnkreuz Leverkusen eine Behelfsbrücke errichten, um die Verkehrsströme zu entzerren. Vor allem der Lkw-Stau auf der A 1 aus Wuppertal, der im Kreuz Leverkusen wegen der Sperrung der Rheinbrücke den Umweg über die A 3 und A 4 nehmen muss, soll sich dadurch verkürzen.

Zwei Millionen Euro sind ein vergleichsweise kleiner Betrag. Doch warum das Geld ausgeben, wenn doch die Lkw ab Januar 2022 über den ersten Neubau der Rheinbrücke fahren können? Seit acht Jahren ist die Brücke für Lkw gesperrt. Warum also jetzt?

Die Direktorin des Landesbetriebs weicht aus: „Rufen Sie mich mal in ein paar Wochen an.“

Dienstag, 3. März 2020

Wir schicken eine E-Mail an Straßen NRW: „Sehr geehrte Frau Sauerwein-Braksiek, bei der Jahreskonferenz zum Thema Baustellen 2020 in Recklinghausen haben Sie mich gebeten, ich möge Sie Anfang März doch einmal ansprechen zum Thema Leverkusener Rheinbrücke (Bauzeit). Das möchte ich hiermit gern tun.“

Freitag, 6. März 2020

Die Antwort liegt vor: „Gerne spreche ich mit Ihnen über die Rheinbrücke Leverkusen und unser Projekt A-bei-LEV. Wenn es etwas Neues gibt, komme ich direkt auf Sie zu.“

Dienstag, 24. März 2020

In einem Telefonat teilt uns die Management Beratung Lintemeier Advisors im Auftrag der Porr AG mit, dass die ersten Stahlteile aus China Anfang April in Leverkusen ankommen werden. Wir könnten das vor Ort begleiten. In der Folge kommt es immer wieder zu Verzögerungen. Letztlich wird ein Termin am 2. April in Aussicht gestellt, der ebenfalls verstreicht.

Mittwoch, 15. April

Auf Nachfrage teilt die Management Beratung Lintemeier Advisors mit, dass sie nicht mehr „an dem Thema arbeite“. Wir mögen uns an Porr wenden. Was wir zu diesem Zeitpunkt nicht wissen: Zwei Binnenschiffe mit den ersten vier Bauteilen haben schon am 8. April den Hafen von Köln-Niehl erreicht. An der Leverkusener Rheinbrücke durften sie auf Anordnung von Straßen NRW nicht entladen werden. Was wir zu diesem Zeitpunkt auch nicht wissen: Der Landesbetrieb hat dem Baukonzern bereits am 20. März wegen erheblicher Mängel an den Bauteilen mit der Kündigung gedroht.

Wir bitten die Mediensprecherin der Porr AG per E-Mail um Klärung. Die Antwort: „Wir bitten Sie, sich bei Anfragen zum Thema bis auf weiteres an Straßen NRW zu richten.“ Wir protestieren und haben seither wieder Kontakt mit dem Konzern. Sein Anwalt weist alle Vorwürfe von Straßen NRW als unbegründet zurück. Man behalte sich juristische Schritte vor.

Wie lange hält die Rheinbrücke?

Verkehrsminister Hendrik Wüst (CDU) will sich zum laufenden Verfahren nicht äußern. Bei der europaweiten Neuausschreibung des Projekts, die noch in dieser Woche erfolgen soll, stehen die Juristen vor Aufgabe, einen rechtlich gangbaren Weg zu finden, der eine Stahlverarbeitung in China ausschließt.

Die SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag fordert die Landesregierung auf, „schnellstmöglich die Öffentlichkeit aufzuklären, wie es zu diesem Skandal kommen konnte. Seit wann wusste die Landesregierung, dass es massive Probleme mit dem offenkundig minderwertigen Stahl gab, der unter ihrer Verantwortung aus China importiert wurde? Welche Rolle spielt in den Verhandlungen mit der Firma Porr Staatssekretär Hendrik Schulte, der vor seiner Berufung in die Landesregierung leitender Angestellter ausgerechnet bei Porr war?“, heißt es in einer Erklärung des Fraktionsvizes Jochen Ott und des verkehrspolitischen Sprechers Carsten Löcker.

Die CDU-Fraktion im Landtag begrüßt die Kündigung des Vertrags als „folgerichtigen und konsequenten Schritt“, sagt ihr verkehrspolitischer Sprecher Klaus Voussem. „Sicherheit und Qualität haben Vorrang, daher liegt der Fokus bei uns einerseits auf einem ordentlichen Bauwerk, zum anderen auf einem ordentlichen Verfahren.“

Der ADAC mahnt, es dürfe keinesfalls zu einem Stillstand auf der Baustelle kommen. „Die Haltbarkeit der alten Brücke ist ein Risikofaktor. Niemand weiß, wie lange sie noch durchhält“, erklärte der Experte Roman Suthold. „Der Super-Gau wäre, wenn die alte Brücke vor Fertigstellung des ersten neuen Brückenteils komplett ausfallen würde. Sie ist das Nadelöhr für die gesamte Region.“