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Eine halbe Stunde Glück auf DistanzErste Besuche in Seniorenheim in Bergisch Galdbach

Lesezeit 3 Minuten

Abschied mit Muttertagsgeschenk: Heimbewohnerin Gabriele Steinbach und Mitarbeiterin Tonia Bosen.

  1. Das Seniorenzentrum An der Jüch in Bergisch Gladbach hat am Muttertag für Besucher geöffnet.
  2. Das war das erste Mal seit sieben Wochen.
  3. Wie die Bewohner das Wiedersehen erlebt haben und wie das Seniorenzentrum die Schutzmaßnahmen umgesetzt hat.

Bergisch Gladbach – Die Szenerie ist emotional und skurril zugleich. Beim Muttertagstreffen der Familien Höller und Steinbach steht statt Kaffee, Kuchen und Blumenschmuck nur eine Flasche Desinfektionsmittel auf den kargen Tischen; ein Paravent auf der Terrasse trennt die Familie in zwei Gruppen. Kameras klicken, es wird gefilmt; die Menschen tragen Mundschutz.

Was auf den ersten Blick wie eine Mischung aus „Arsen und Spitzenhäubchen“ mit einem Hauch Besuch im Gefängnis wirkt, ist Muttertag in Coronazeiten im Evangelischen Seniorenzentrum An der Jüch. Niemand stört sich hier an fehlender Wohnzimmeratmosphäre oder Gelegenheit, sich in den Arm zu nehmen. Nach fast sieben Wochen Besuchsverbot ist man froh, dass man sich endlich wieder sehen kann.

Familienwiedersehen ist eine hochemotionale Angelegenheit

Ingrid Höller (59) ist gekommen, um ihre zehn Jahre ältere Schwester Gabriele Steinbach zu besuchen. Mit dabei: Sohn Dirk Steinbach. Der 40-Jährige, der in der Innenstadt wohnt und vom Verein „Die Kette“ betreut wird, ist auffallend still. Seine Mutter endlich wiederzusehen, mit der er bis zu ihrem Schlaganfall vor sieben Jahren zusammengewohnt hatte, ist für ihn eine hoch emotionale Angelegenheit.

Frisch rasiert habe er sich, auch wenn man das hinter dem Mundschutz nicht sehen kann, versichert Tante Ingrid Höller. Die Mutter strahlt – und packt freudig das Mitbringsel der beiden aus. Eine Zeitschrift ist in der Tüte, eine Packung Pralinen, Gummibärchen und ein Buch im Großdruck. Gabriele Steinbach wird daran erst später Freude haben – das Wiedersehen mit ihren Angehörigen ist gerade das schönste Geschenk für sie – und zeitlich limitiert.

Zwei Terassenzimmer wurden hergerichtet

Für die Besuche wurden zwei Terrassenzimmer hergerichtet. „Je zwei Bewohner können dort gleichzeitig bis zu zwei Angehörige treffen“, erklärt Daniel Beer, der Pressesprecher des Evangelischen Krankenhauses EVK. Die Bewohner sitzen im Mehrzweckraum, die Angehörigen auf Abstand auf der überdachten Terrasse. Dass nach jedem Besuch die Tische desinfiziert werden, dafür sorgen Mitarbeiterinnen wie Wieslawa Ochala und Tonia Bosen, die diskret im Hintergrund bereitstehen und sich um die Bewohner und deren Anliegen kümmern. Um 10 Uhr morgens begann die Besuchszeit, die bis in den Nachmittag reichte. Und auch für die nächsten Tage haben sich schon viele Angehörige angemeldet.

„Wir haben versucht, den Menschen die Zeit des Besuchsverbots so angenehm wie möglich zu machen“, sagt Beer. Musikanten im Garten gehörten ebenso dazu wie ein frühlingshafter Kirchenklaaf unter freiem Himmel sowie als Höhepunkt der Besuch eines Ponys. Zudem wurde den Senioren per Laptop die Möglichkeit geboten, mit ihren Angehörigen per Videoanruf zu kommunizieren. „Und natürlich hatte das gute alte Telefon Konjunktur.“

Große Freude beim Wiedersehen

Dass sie eine der ersten Besuchsgelegenheiten nutzen würde, war Ingrid Höller schnell klar, „obwohl ich nicht weiß, ob es gut ist, dass die Heime schon so früh geöffnet werden.“ Die Freude ihrer Schwester, die von ihren Versuchen beim Dartspielen berichtet und stolz ihre Gewinne beim Bingo aufzählt, überlagert indes jeden Zweifel. Dass sich im „Separee“ nebenan gerade der zweite Teil der Familie befindet, lockert die Atmosphäre trotz des vorgeschriebenen sterilen Ambientes.

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„Dort sitzen mein Mann und mein Schwiegervater und besuchen meine Schwiegermutter.“ Die sieben besuchslosen Wochen zuvor seien „etwas schwierig aber machbar“ gewesen, zieht Ingrid Höller Bilanz, „aber wir wussten ja, dass sie in einem sehr guten Haus ist“. Dessen rund 80 Bewohner haben dafür gesorgt, dass auch die Angehörigen nicht mit leeren Händen nach Hause gehen müssen und haben Steine zum Mitnehmen bemalt, mit Psalmen und aufmunternden Sprüchen.

„Es geht alles vorüber“, steht auf einem. Das gilt auch für die Besuchszeit der Familien Steinbach/ Höller. Ihrer Schwester verspricht Ingrid Höller, demnächst mal „ein schönes Stück Eissplittertorte“ vorbeizubringen. Die winkt freudig beim Abschied. „Das ist ein ganz besonderer Tag“, lächelt die 69-Jährige, „kein Muttertag wie jeder andere.“