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BildungskriseKinder in Bergisch Gladbach demonstrieren lautstark für Erhalt des Offenen Ganztags

Lesezeit 4 Minuten
Im Vordergrund sind vier Mädchen mit Trillerpfeifen und eine Erzieherin mit Bollerwagen zu sehen. Im Hintergrund sind vor allem die Luftballons zu sehen, die die Kinder in der Hand halten.

Die Kinder der Offenen Ganztagsschulen aus den Stadtteilen Sand und Gronau zogen mit Trillerpfeifen durch die Fußgängerzone in Bergisch Gladbach.

Bei der Protestkampagne der Wohlfahrtsverbände in Rhein-Berg ging es diesmal um die finanzielle Not in Offenen Ganztagsschulen. Einige OGS-Träger stehen kurz vor der Aufgabe.

Das Pfeifkonzert schrillt durch die ganze Fußgängerzone. Die 80 Kinder aus zwei Offenen Ganztagsschulen in den Stadtteilen Gronau und Sand halten bunte Luftballons in der Hand, andere heben selbstgemalte Plakate hoch. Darauf steht: „SOS. Rettet die OGS.“ Viele Passanten bleiben stehen und beobachten das akustische und optische Schauspiel. Der Demonstrationszug der Mädchen und Jungen am Mittwoch bildet den Abschluss der fünfwöchigen Kampagne, bei der sich die AG Freie Wohlfahrtspflege im Kreis mit vielen Aktionen für eine ausreichende Finanzierung und bessere Bedingungen im sozialen Bereich einsetzt.

Umso näher sich die Gruppe dem Infostand an der Ecke Johann-Wilhelm-Lindlar-Straße nähert, umso lauter werden die Trillerpfeifen und Sprechchöre: „Rettet unsere OGS“.

Mit lautem Applaus werden die Kinder empfangen. Vor Ort sind auch die Geschäftsführungen aller fünf sozialen Spitzenverbände, die sich zum Bündnis zusammengeschlossen haben: Alwine Pfefferle (Awo), Reinhold Feistl (DRK), Andreas Reball-Vitt (Diakonie), Raphaela Hänsch (Caritas) und Inge Lütkehaus (Paritätischer Wohlfahrtsverband).

Reinhold Feistl spricht in ein Mikrophon.

Reinhold Feistl, Sprecher der AG Freie Wohlfahrtspflege im Kreis, mahnt in seiner Rede, dass das Land verpflichtet ist, die sozialen Aufgaben der freien Träger zu finanzieren.

Zwei Mädchen aus der OGS in Sand haben sogar den Mut, eine kleine Rede zu halten. Enna und Mina zählen auf, was ihnen der Offene Ganztag bedeutet: Freude, Spaß, ein warmes Mittagessen, mit Freunden zusammen zu sein, miteinander zu lernen. „Wollt ihr uns das wirklich nehmen?“, lautet die provokante Frage, gerichtet an alle Politiker.

„85 Prozent der Kinder in der OGS Gronau haben einen Migrationshintergrund und benötigen eine sprachliche und soziale Förderung“, berichtet Achim Sieg, Leiter der Einrichtung. Die Zukunft von vielen Kindern sei bereits jetzt gefährdet aufgrund der angespannten finanziellen und personellen Lage. „Wir können unsere Arbeit nicht so nebenbei machen. Wir brauchen eine gute Mischung aus Fachkräften und personellen Kräften, die wir selbst ausbilden“, betont Sieg.

Und es sind nur noch knapp zwei Jahre, dann greift 2026 an Grundschulen der Rechtsanspruch auf einen Platz im Offenen Ganztag. Viele berufstätige Eltern haben die Sorge, keinen Platz für ihre Kinder zu bekommen.

Die Kinder versammeln sich vor dem Infostand.

Unter lautem Applaus sind die 80 Grundschulkinder am Infostand in der Fußgängerzone in Bergisch Gladbach empfangen worden.

„Mir stinkt das. Es reicht“, macht Reinhold Feistl als Vorsitzender der AG Freie Wohlfahrtspflege seinem Unmut gegenüber der Landesregierung NRW Luft. „Die Aufgaben, die wir im sozialen Bereich übernommen haben, sind im Grundgesetz verankert“, betont Feistl, „die Finanzierung ist eine Aufgabe des Staates. Da kommt er nicht drumherum.“

Feistl kommt jetzt richtig in Fahrt: „Die Wohlfahrtsverbände haben mit ihrer weit in die Geschichte reichenden Tradition ein Fundament für den Sozialstaat der Bundesrepublik gesetzt.“ Sie setzten sich „unter den Geboten der christlichen Nächstenliebe und Humanität“ für seine Weiterentwicklung ein.

Grundlage bilde das im Kinder- und Jugendhilfegesetz festgelegte Prinzip der Subsidiarität, das die Zurückhaltung staatlicher Eingriffe festschreibe, soweit die Tätigkeit freier gesellschaftlicher Kräfte in gleicher Weise geeignet erscheinen würden, soziale Probleme zu bewältigen.

Die Geschäftsführer stehen nebeneinander am Aktionsstand und halten Protestkarten in der Hand.

Die Geschäftsführer der sozialen Spitzenverbände sind alle vor Ort (v.l.n.r.): Reinhold Feistl (DRK), Alwine Pfefferle (Awo), Andreas Reball-Vitt (Diakonie), Raphaela Hänsch (Caritas) und Inge Lütkehaus (Paritätischer Wohlfahrtsverband),

Bei vielen Menschen ist die Botschaft angekommen: Bei ihren fünf Aktionen zu den Themen Jugendhilfe, Kita, Soziale Beratung, Eingliederungshilfe und offener Ganztag haben über 7300 Menschen mit ihrer Unterschrift ihre Solidarität zugesichert. Die Protest-Postkarten werden nun der Landesregierung übergeben.

Dabei ist auch eine Spende, die Simon und Paul, Erstklässler der OGS der Grundschule An der Strunde, am Wochenende in ihrer Nachbarschaft eingesammelt haben. 27, 80 Euro sind zusammengekommen. „Die beiden Jungs wollen, dass die OGS so bleibt, wie sie ist“, erzählt Einrichtungsleiterin Jessi Klein.

Die Reaktion der Landesregierung ist wie Teflon
Raphaela Hänsch, Caritasverband Rhein-Berg

Bisher haben solche Aktionen wie Petitionen oder Briefe von Eltern ans Familienministerium nichts gebracht. Es gibt seitens des Landes NRW bisher keine verbindlichen Zusagen, wie die freien Träger etwa die Tariferhöhungen von 15 Prozent kompensieren können. „Die Reaktion der Landesregierung ist wie Teflon“, sagt Raphaela Hänsch (Caritas).

Trotzdem zeigt sich Sabine Schöngen, DRK-Fachbereichsleiterin, hoffnungsvoll: „Durch die vielen Nadelstiche, die wir gesetzt haben, ist unsere Not in den Köpfen der Lokalpolitiker angekommen, die das Thema in die Landespolitik weitertragen können.“

Rolf Brendecke, Katholische Jugendagentur, warnt davor, dass Eltern ihren Job kündigen müssen, wenn sie keinen Platz in Kita oder OGS bekommen. Als Arbeitskräfte würden sie dann der Wirtschaft fehlen.

Freie Träger müssen an ihre Rücklagen gehen

Lange könnten die Träger nicht mehr durchhalten. „Pari-Sozial betreibt drei Offene Ganztagsschulen in Bergisch Gladbach. Zurzeit gehen wir an die Rücklagen. Wenn die in spätestens drei Jahren aufgebraucht sind, müssen wir Einrichtungen an die Stadt abgeben“, sagt Inge Lütkehaus.

„So lange hält der Caritasverband nicht durch“, sagt Raphaela Hänsch. Ende Dezember dieses Jahres laufe der Tarifvertrag aus. „Und wenn die Gewerkschaft dann eine weitere Lohnerhöhung verhandelt, müssen wir zügig aufgeben“, meint Hänsch, „die Situation ist total ernst. Auch wenn man uns das nicht glaubt.“

Die Luftballons der Kinder steigen in den wolkenverhangenen Himmel. Vielleicht schafft es ja einer bis nach Düsseldorf.