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ProzessLetzte Chance für jungen Gewalttäter nach Raub beim Bergisch Gladbacher Stadtfest

Lesezeit 4 Minuten
Polizeibeamte durchsuchen einen verdächtigen jungen Mann

Polizeibeamte durchsuchen einen verdächtigen jungen Mann (Symbolfoto).

Acht Tage nach seiner Verurteilung begeht ein 20-Jähriger einen Raub am Rande des Gladbacher Stadtfestes.

Nach einem Raubüberfall auf einen 14-jährigen Schüler am Randes des Bergisch Gladbacher Stadtfestes hat die Justiz hart reagiert und einen 20-jährigen Angeklagten zu einem Jahr Jugendhaft auf Bewährung sowie 70 Sozialstunden verurteilt.

Das Jugendschöffengericht ging damit bemerkenswert deutlich über die Forderung der Staatsanwältin hinaus. Diese hatte lediglich 70 Sozialstunden gefordert. Nach der Überzeugung des Gerichts hatte sich der Angeklagte an einem Überfall am Quirlsberg beteiligt, bei dem das Opfer geschlagen und seiner silbernen Kette beraubt worden war – und das nur acht Tage, nachdem der Angeklagte wegen einer gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung auf dem Bahnhof von Rösrath-Stümpen verwarnt worden war.

Verdächtiger sitzt einen Monat lang in Untersuchungshaft

Nach dem Überfall vom Quirlsberg hatte Rachid G. (Namen geändert), anhand von Tiktok-Videos identifiziert, sogar fast fünf Wochen, vom 14. November bis 19. Dezember, in Untersuchungshaft gesessen. Danach ließ ihn Richterin Milena Zippelius-Rönz unter strengen Auflagen wieder auf freien Fuß.

Anders als der erste Warnschuss der Justiz vom 1. September 2022 in Form von Sozialstunden scheint die Haft den Angeklagten nachhaltig beeindruckt zu haben. Rachid G. habe danach alle Auflagen erfüllt, sagte die Richterin.

Gruppe verstellt drei Schülern den Weg

Die angeklagte Tat hatte sich am Freitag, 9. September 2022, gegen 21.30 Uhr auf einem schmalen Fußweg oberhalb des Spielplatzes am Quirlsberg ereignet. Drei Gladbacher Schüler waren in Richtung Stadtzentrum unterwegs, als sich ihnen eine etwa zwölfköpfige Gruppe in den Weg stellte.

Die Schüler wurden gefragt, wohin sie unterwegs seien, anschließend wurde der 14-jährige Marcel nach der Halskette, die er sich für 70 Euro im Internet gekauft hatte, gefragt. Die Sache eskalierte, Marcel, der sich zusehends umzingelt sah, nahm die Kette selbst ab, da er den Eindruck hatte, sie solle ihm geraubt werden.

Opfer recherchieren auf „Tiktok“

Dann kassierte er von einem Täter eine Ohrfeige und von einem anderen einen Faustschlag ans Auge. Die Schüler rannten weg, und die Kette war weg. Die Schüler erstatteten Strafanzeige. Bei eigenen Recherchen auf „Tiktok“ fanden sie Rachid und seinen mittlerweile in Köln verurteilten Komplizen.

Jedoch legte Rachid vor Gericht kein umfassendes Geständnis ab, sondern gab an, neben der dreiköpfigen Opfergruppe und seinen eigenen Leuten habe es am Tatort noch eine dritte Gruppe gegeben. Er selbst sei besänftigend dazwischen gegangen.

Schüler noch heute stark verängstigt

In der Folge konnte das Gericht den drei durch den Überfall traumatisierten Jugendlichen den Auftritt als Zeugen nicht ersparen. Allerdings unter besonderen Bedingungen: Rachid sollte nicht nur den Gerichtssaal, sondern das komplette Gebäude verlassen. Nacheinander sagten dann die drei mittlerweile 15 und 16 Jahre alten Jugendlichen, jeweils in Begleitung ihrer Väter, aus.

Später kam es dann doch zu einer direkten Begegnung mit dem Angeklagten, weil die jungen Zeugen erneut in den Saal mussten, um Rachid eindeutig zu identifizieren. Das war zum Unverständnis des Gerichts im Zuge der polizeilichen Ermittlungen wohl unterlassen worden war.

Größe entsteht dadurch, dass man bestimmte Dinge nicht macht.
Vater des Raubopfers zum Angeklagten

Bemerkenswert im Rahmen der Gegenüberstellung waren aber auch die Worte, die Marcels Vater an Rachid richtete. Die Familie wünsche sich, dass „du hier eine Zukunft hast“. Und dann gab der Gladbacher Vater dem jungen Gewalttäter, der als Waise von Nordafrika über Italien und die Niederlande nach Deutschland geflüchtet war und hier zeitweise bei einer Tante gelebt hatte, mit auf den Weg: „Größe entsteht dadurch, dass man bestimmte Dinge nicht macht.“

Anders als die Staatsanwältin hielt die Verteidigerin die Anklage am Ende der Hauptverhandlung nicht für erwiesen und forderte Freispruch. Das dreiköpfige Jugendschöffengericht beriet sich doppelt so lang wie zunächst geplant, dann verkündete Berufsrichterin Zippelius-Rönz die Entscheidung: Das Gericht behält sich eine einjährige Jugendstrafe vor und stellt dem Angeklagten einen Bewährungshelfer zur Seite.

Richterin würdigt Wert von Fußballvereinen

Auch verpflichtete es den Angeklagten, an dem im September 2022 angeordneten Anti-Aggressionstraining, das im Mai endlich beginnen soll, tatsächlich teilzunehmen, 70 Sozialstunden abzuleisten und drei Gespräche zur Berufsberatung zu führen.

In der Urteilsbegründung hob Richterin Zippelius-Rönz lobend hervor, dass Rachid mittlerweile in einem Verein Fußball spiele: „Das ist eine Chance“ – zum einen dafür, andere Leute kennenzulernen als bislang, zum anderen dafür, künftig für „andere Qualitäten“ geschätzt zu werden als in dem alten Milieu.