Über drei Jahre nach der Stilllegung dürfen Radfahrer und Spazierwanderer vom Haupttor an der Gohrsmühle über das Zanders-Gelände laufen und fahren.
Ein Tag in...Fußgänger tauchen in die Welt von Zanders ab
Wo geht es denn hier zur „Fähre“? Viele sprechen von der „Insellage“ des ehemaligen Geländes der Papierfabrik Zanders. Abgeschnitten vom Leben in der Stadtmitte. Stimmt ja. Früher war alles hermetisch abgeriegelt, wegen der Produktion. Und heute, über drei Jahre nach der Stilllegung, dürfen Radfahrer und Spazierwanderer vom Haupttor an der Gohrsmühle geradeaus über die Mainstreet zur Cederwaldstraße, ganz ohne Passkontrolle oder Flugschein. Über die Poststraße liegt die Fußgängerzone nur wenige Meter entfernt. Links und rechts der Mainstreet bleibt das Gelände gesperrt, aus Sicherheitsgründen. Aber der Anfang ist gemacht.
„Ist doch schön hier“, schwärmt Cedric geradezu von der unbekannten Welt auf Zanders. Am Vormittag hat er sich mit seinen beiden Freunden Metin und Paul in der Fußgängerzone getroffen, ein bisschen Shoppen und Gucken. Spontan sei der Gedanke gekommen, doch mal Richtung Zanders zu gehen. „Ist hier gar nicht so zugemüllt wie sonst überall“, findet Paul.
Planer wünschen sich spontane Besuche auf dem Zanders-Gelände
Spontanbesuche: Das ist etwas, was sich die Planer der Stadt wünschen, Spontaneität, einfach mal schauen. Das Gelände soll, nein, es muss bekannter werden, die Gladbacher müssen es für sich erobern. Cedric und seine beiden Freunde sind mit die ersten Eroberer. Bei einer Stulle Brot und Büchsenbier haben sich die Drei auf einer der neueingerichteten Bänke niedergelassen.
Metin hat sogar sechs Jahre auf Zanders gearbeitet, ab 1991. Die riesige Papiermaschine 3 kenne er gut, sagt er. Dann kommt er ans Erzählen, vom Imbiss auf dem Gelände, von den Abenteuern, die er mit den Kollegen erlebt hat. Immer an Sonntagen zur Zwölfstundenschicht sei der Döner-Händler gekommen, habe aus seinem Wagen heraus verkauft. Ja, das waren noch Zeiten.
Nebenan, im denkmalgeschützten Büstengarten, wäre sicher auch ein schattiges Plätzchen. Aber da ist es den Freunden zu kühl an diesem Vormittag. „Die Ruhe ist dort aber sensationell.“ Lieber genießen sie diesmal den Tag in der Sonne, mit Blick auf die dunkelroten Backsteine der Industriefassaden. Das sei schon eine besondere Welt, findet Cedric. Dass hier in einigen Jahren knapp 3000 Menschen leben sollen, sei ja kaum vorstellbar. Aber die Gebäude, die Architektur, alles phänomenal. „Eine eigene Welt.“
Inoffizielles Wahrzeichen von Bergisch Gladbach
Der geöffnete Weg führt vorbei an einigen der großen, majestätischen Industriegebäuden, auch am Kraftwerk, das nach Plänen des berühmten Architekten Dominikus Böhm entstand. Rechts werfen die beiden Schornsteine Schatten, sie sind die inoffiziellen Wahrzeichen der Stadt. „Tagsüber ist das kein Problem für mich, den Weg zu nutzen“, sagt eine Mittvierzigerin, die wir auf halber Strecke treffen. „Es ist eine gute Abkürzung, spart mir zehn Minuten.“ Aber es kann sehr einsam sein, berichtet sie. Noch werde der neue Durchgang aus ihrer Sicht nicht so intensiv genutzt. In der Dämmerung und bei Nacht wisse sie nicht, wie es mit der Beleuchtung auf der Mainstreet sei. „Dann habe ich schon ein mulmiges Gefühl“, gesteht sie.
Aber jetzt, zur Mittagszeit, sei für sie alles unproblematisch. „Schauen Sie sich mal die Architektur an. Das ist hier alles ganz besonders.“ Sie freue sich, dass die Stadt als Eigentümerin das Gelände geöffnet habe. Die Gladbacher müssten Gelegenheit haben, das Gelände zu entdecken.
Mittlerweile ist die Schranke oben
Der Pförtner wacht über alle Besucher. Der freundliche Mitarbeiter der Liegenschaftsverwaltung sitzt im Pförtnerhaus, wie vor ihm die Pförtner der Firma Zanders. Da war die Schranke zum Gelände hin immer noch unten. Jetzt ist sie oben. „Aber ich werde oft gefragt, ob man hier durchgehen darf“, sagt er entgegenkommend. Dann erkläre er die neue Situation mit der offenen Schranke. Und ja die Pförtnerloge sei 24 Stunden am Tag besetzt, sieben Tage in der Woche. Er nickt am Ende – alle Spaziergänger seien willkommen.
Die Stadt ist schon da. Das betont auch Udo Krause, Leiter der Projektgruppe Zanders, öfter. Und recht hat er: Das Verwaltungsgebäude von 1905, in dem Firmengrößen wie Richard, Hans, Johann Wilhelm oder zuletzt Hans Wolfgang Zanders ihren Schreibtisch hatten, ist mit zahlreichen städtischen Stellen belegt, die Liste der Mieter ist lang. Auch die Rheinisch-Bergische Siedlungsgesellschaft hat auf Zanders neue Büros gefunden.
Polizei, Feuerwehr, alle sind schon auf Zanders zu finden. Vom Verwaltungsgebäude gingen die Firmenchefs ehemals rüber zum Büstengarten und flanierten zwischen den Bronzeporträts ihrer Vorgänger. Maria Zanders, Übermutter der Familie, Firmenleiterin und kulturelle Vordenkerin, muss zwischen den Fabrikanlagen auch unterwegs gewesen sein. Schwer vorstellbar für uns Heutige, aber die Zeiten waren andere.
Ein Ort voller Geschichte
Naja, August Lenssen und Friedrich Westphal, die zu Maria Zanders' Witwenzeiten für zwei Jahrzehnte die Firma leiteten und die beiden Söhne als Nachfolger einarbeiteten, sollen an dieser Stelle auch nicht übergangen werden. Und auch einige schottische Geldgeber wie John Cowan, die im 19. Jahrhundert die Firma in schwierigen Zeiten unterstützten, sollen hier mal erwähnt werden. Die Papierfabrik war eine ganz eigene Welt, an der nicht nur die Familie Zanders mitwirkte.
„Hier ist es soooo schön ruhig“, findet Janette, die mit Kind und Familienbegleitung zwischen den Industrieschloten spaziert. Im Kinderwagen schläft der Nachwuchs. Und der kann schon etwas laufen. „Das geht hier wirklich gut“, findet die Mutter. Es sei auf dem breiten Weg hier viel sicherer als auf der Unteren Hauptstraße oder am Driescher Kreisel. Ohne den geöffneten Weg hätten sie entlang der Hauptverkehrsachsen laufen müssen.
„Da sind so viele Autos, das mag ich gar nicht.“ Und hier – die Mutter macht beim Sprechen eine betonte Pause – sei es „so angenehm“. Ja, das Zanders-Gelände ist eines der ruhigsten in der Stadtmitte. Noch scheint es eine Geisterstadt zu sein, in einigen Jahren sollen hier rund 3000 Menschen leben und 3000 arbeiten, der Stadtteil soll pulsieren, es soll Gastronomie und Kultur geben und mit der Zentralwerkstatt einen Anker für Veranstaltungen. In die sehenswerten Fabrikgebäude zieht es uns heute nicht, sie sind allerdings auch nur zu Führungen oder nach Absprache zu besichtigen.
Sportlich über Zanders
Kurz vor der Cederwaldstraße kommt uns ein munteres Quintett von Walkerinnen entgegen, Petra, Victoria, Ute, Gisela und Gaby. Die fünf Frauen nutzen die Mainstreet für einen Walkingausflug, bis zur Gronauer Gartensiedlung sind sie gekommen. „Wir sind alle von der Begegnungsstätte Mittendrin“, berichtet Petra.
Als einzige kennt sie Zanders von früher, über den Energieversorger Belkaw habe sie mal auf dem Gelände zu tun gehat. „Das ist hier alles sehr, sehr beeindruckend“, findet ihre Mitwalkerin Victoria. Vorne sei das Kraftwerk von Böhm zu sehen, weiß sie. Die Fassadengestaltung sei herausragend. Toll sei es, dass die Stadt das Gelände geöffnet habe. „Aber noch ist es sehr, sehr ruhig.“ Die fünf packen die Walkingstöcke, schon geht es weiter für sie. Der kleine Abstecher auf das Zandersgelände soll fest in die Route eingebaut werden.
Es ist alles ein bisschen anders auf dem Gelände, Fußgänger marschieren mitten auf dem Fahrweg, Radfahrer finden links und rechts ihren Weg. Das gehört auch zu Zanders 2024: Es ist genug Platz für alle da.
In 20 Jahren sollen hier 3000 Menschen wohnen und 2900 arbeiten, mit einem Campus Beruflicher Bildung, neuer Grundschule und Kndertagesstätte. Nicht nur die fünf Walkerinnen tun sich da mit einer Visualisierung schwer. Eine „Fähre“ zu Zanders soll es dann auch nicht mehr geben müssen.