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DebatteIst Bergisch Gladbach Schlafstadt oder eigenständiges Mittelzentrum?

Lesezeit 5 Minuten

Braucht Bergisch Gladbach neue Gewerbegebiete, oder kann sich die Stadt auch ohne Neuausweisungen entwickeln?

Bergisch Gladbach – Die Stadt Bergisch Gladbach kann weder einheimischen noch auswärtigen Unternehmen Gewerbe- oder Industrieflächen anbieten. Gladbachs Beigeordneter Ragnar Migenda spricht davon, dass die Stadt „blank“ sei. Als Reservefläche soll nun wieder das interkommunale Gewerbegebiet in Spitze ausgewiesen werden. Und über die Nutzung der Flächen auf dem Zanders-Gelände wird heftig gestritten. Ist Gladbach auf dem Weg zur Schlafstadt von Köln zu werden – und das so schlimm? Wir fassen die Entwicklungen zusammen und ordnen sie ein.

Fragen wir erst einmal, ist denn die Gewerbesteuer so wichtig?

Die Gewerbesteuer fließt direkt in die Stadtkasse. In Bergisch Gladbach sind das derzeit so ungefähr 40 bis 50 Millionen Euro jährlich. Um diese Zahl besser einzuordnen: Auf dem Vergleichsportal der Bertelsmannstiftung (Daten sind aus 2020) waren das 317 Euro pro Kopf in Gladbach, 156 Euro in Odenthal und 975 Euro in Köln. Aber Gewerbesteuer ist nicht alles. Hier die Pro-Kopf-Vergleichszahlen bei der Einkommensteuer: 597 Euro Gladbach, 745 Euro Odenthal und 534 Euro Köln. Und zum Schluss noch diese Zahlen. Die Verschuldung pro Kopf im städtischen Kernhaushalt. Mit 1403 Euro ist jeder Einwohner statistisch in Bergisch Gladbach verschuldet, 1724 sind es in Odenthal und stolze 2157 Euro in Köln.

Das sind viele Zahlen. Wie muss man sie interpretieren?

Da kann uns Professor René Geißler von der Technischen Hochschule in Wildau weiterhelfen. Er sagte im Gespräch mit dieser Zeitung, dass die Gladbacher Gewerbesteuereinnahmen ohne Zweifel im Vergleich mit ähnlich großen Städten sehr gering seien. Dafür seien die Einnahmen bei der Einkommensteuer wesentlich höher - überhaupt sei anhand der Zahlen die Sozialstruktur in Bergisch Gladbach vergleichsweise gut. Was für Geißler ein typisches Zeichen einer Vor-Ort-Konstellation ist. Gladbach eben als Vorort von Köln mit hoher Lebensqualität, der insbesondere einkommensstarke Bürger anzieht.

Hat das Modell eine Zukunft?

Geißler sagt zumindest nicht nein. Es gebe eine Reihe von Kommunen, die ihren Flächenverbrauch für Gewerbe gestoppt hätten. Was nicht zu einem Notstand geführt habe, denn das bisherige Gewerbe laufe ja weiter. Und auf bereits ausgewiesenen Flächen wandeln sich die Nutzungen. Neue Flächen auszuweisen, sei jedenfalls kein Garant für prosperierende Einnahmen. Aber richtig sei, dass sich nicht jeder die Mieten in diesem schönen Vor-Ort leisten könne.

Was ist mit den Standards etwa bei Schulen und Kindergärten. Ist es dafür nicht wichtig, dass es eigene städtische Einnahmen gibt?

Gesetzliche Standards müssen überall eingehalten werden - unabhängig von der finanziellen Ausstattung der kommunalen Selbstverwaltung. Auch in hochverschuldeten Städten gehen die Lichter ja nicht aus. Aber alles, was eine Stadt lebenswert und besonders macht, braucht zusätzliche finanzielle Mittel. Das geht nicht ohne solide Haushalte – womit wir wieder bei der Gewerbesteuer wären, die jedem städtischen Haushalt gut tut. Geißler fügt an diesem Punkt noch ein Argument ein: „Ehrenamtliches Engagement und privates Mäzentum füllen oftmals die Lücken, wo den Kommunen das Geld ausgeht.“

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Was ist denn mit der Identität einer Stadt wie Bergisch Gladbach. Was wird aus der Papierstadt Bergisch Gladbach?

Die ist ja Geschichte. Und ob es eine Identitätsbildung über ein anderes Unternehmen geben wird, ist eher unwahrscheinlich. Das Biotech-Unternehmen Miltenyi expandiert zwar unglaublich, ist aber eher Hidden Champion. Bei der Firma Krüger war die zentrale Figur Firmengründer Willibert Krüger. Legendär sein Satz „Ich werde alles dafür tun, dass ich niemals in meinem Briefkopf Köln lesen muss“. So etwas fehlt in Stadt heute.

Wie kann es weitergehen?

Es ist in jedem Fall ist eine politische Grundsatzentscheidung gefragt. Gladbach muss zunächst für sich klären, was es sein will. Mittelstadt mit eigenem industriellen und gewerblichen Kern oder grüne Schlafstadt von Köln. Nichts zu tun, kommt einer Entscheidung für die Schlafstadt gleich.

Interview mit Odenthals Bürgermeister zur Situation des Gewerbes

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Robert Lennerts, Bürgermeister von Odenthal, würde in seiner Gemeinde auch mehr Gewerbeflächen auszeichnen.

Traditionell ist die Gemeinde Odenthal arm an Gewerbe. Eine Änderung dieses Zustands scheint auch mit dem neuen Regionalplan nicht in Sicht. Was heißt das für die Gemeindeentwicklung? Stephanie Peine sprach mit Odenthals Bürgermeister Robert Lennerts (parteilos).

Was können Sie Gewerbebetrieben, die sich ansiedeln oder expandieren wollen, anbieten?

Lennerts: Im Grunde nichts. Geeignete Flächen in der Verfügungsgewalt der Gemeinde existieren nicht. Die im Flächennutzungsplan als Sondergebiete ausgewiesenen Areale sind in Privatbesitz. Wir haben intensive Gespräche geführt, aber die Eigentümer haben kein Interesse gezeigt.

Löst das jetzt eine Abwanderung der wenigen Firmen aus?

Mir fallen da schon einige Beispiele von ortsansässigen Betrieben ein, die expandieren wollten und die wir leider an Nachbargemeinden verloren haben. Wir haben Anfragen, können nichts anbieten und die Betriebe dann nicht halten. So zum Beispiel eine Firma aus Osenau, die nach Wermelskirchen gegangen ist. Dabei haben wir ja auch Standortvorteile, wie etwa den fast flächendeckenden Glasfaseranschluss.

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Was ist so schlimm daran, eine „Schlafstadt“ zu sein?

Schlimm ist immer relativ. Man muss sich über die Folgen klar sein. Es ist eine politische Entscheidung. Die, die einen Wohnort im Grünen ohne Gewerbe wollen, die müssen wissen, dass das Leben am Ort dann teurer werden wird. Denn Investitionen in die Infrastruktur – wie Straßen oder Wasserleitungen – müssen ja finanziert werden. Die Gewerbesteuer beträgt mit rund vier Millionen ohnehin nur etwa ein Drittel der Einkommenssteuer. Und bei einer älter werdenden Bevölkerung wird auch die Einkommenssteuer perspektivisch sinken. Ich finde nicht, dass wir an jeder Ecke ein Gewerbegebiet haben müssten. Aber es gibt viele Betriebe, die wir verträglich für Nachbarschaft und Umwelt ansiedeln könnten.