Er wollte nur Streit schlichten: Wie Alexander Pfister aus Bergisch Gladbach auf seinen verheerenden Sturz vor zwei Jahren zurückblickt.
„Nichts ist mehr wie es war“Alexander Pfister hilft bei Streit – und wird die Treppe heruntergestoßen
Dieser Mittwoch ist kein normaler für Alexander Pfister. Den frühen Morgen des 27. Novembers vor zwei Jahren wird er nie vergessen. Nie vergessen können. Denn er hat sein Leben, wie es bis dahin war, zerstört und auf den Kopf gestellt. Sein Knie ist zertrümmert, früher oder später droht ihm eine Unterschenkelamputation, und seit zwei Jahren kämpft er mit Versicherungen. Und dabei hatte er nur zu helfen versucht.
„Es heißt ja immer, man soll Zivilcourage zeigen, aber wenn einem dann so etwas passiert...“, sagt der 47-Jährige und stockt: „...dann kommt man da mehr als ins Nachdenken.“ Heute vor zwei Jahren, es war in den frühen Morgenstunden, war Alexander Pfister in seiner Stammkneipe, nicht weit von zu Hause in Bergisch Gladbach-Gronau, hatte nach der dortigen Sparkästchen-Auszahlung hinter der Theke Musik gemacht, als vor dem Tresen auf einmal ein Gast herumkrakeelte, einen Hocker hochhob und damit wohl auch eine Unbeteiligte touchierte, wie sich der Familienvater und Präsident der Großen Gladbacher KG erinnert.
Während andere Gäste dafür sorgen, dass der Krakeeler zur Tür geleitet wurde, beruhigte Pfister selbst den Mann der Frau, die vom Hocker touchiert worden war. „Für mich war die Sache danach eigentlich vorbei“, erinnert sich der 47-Jährige, wie er danach zur Tür ging. Doch dann wurde er völlig unerwartet von dem zur Tür stürmenden Mann der unbeteiligten Frau gestoßen. So stark, dass er die Treppe mehr herunterflog als stürzte.
Das Knacken, als er aufkam, wird er wohl nie vergessen
Das Knacken, als er aufkam, wird er wohl nie vergessen. Offenbar war er mit dem Knie genau auf die Bordsteinkante aufgekommen. Die Hose war zwar noch heil, aber das Schienbein gespalten, der Schienbeinkopf dermaßen zertrümmert, dass selbst hartgesottene Mitarbeiter in der Notaufnahme des Evangelischen Krankenhauses kurz darauf nur noch den Kopf schüttelten: „Ach, du Sch...“
Etliche Operationen hat Pfister seitdem über sich ergehen lassen müssen, ein Stück aus seiner Hüfte wurde ins Bein eingesetzt, er musste Schmerzmittel in Höchstdosen zu sich nehmen. „Es war die Hölle“ erinnert er sich. Und der Zustand besserte sich auch nicht, als er aus dem Krankenhaus kam und von zu Hause aus die Jubiläumssession der Großen Gladbacher vorbereitete, in der seine Frau Melanie – seit Jahren geplant – Jungfrau im Dreigestirn war.
Auch wenn er unter Schmerzen und mit Krücken auf die Bühne humpelte – sein Leben war nicht mehr das alte. Und wird es nie mehr werden, wie er heute weiß. Im Zuge der Therapie baute sich Knochensubstanz ab. „Der Knochenschwund hat alles befallen, auch die Wirbelsäule.“ Die kleinste Erschütterung kann heute auch in seinem übrigen Skelett zu Trümmerbrüchen führen. Als er mit dem Zeh daheim an einen Schrank anstieß, ist das mit seinem Mittelfuß bereits passiert. „Wenn’s geht, meide ich heute jedes Gedränge oder größere Menschenansammlung“, sagt Pfister, bevor seine Stimme versagt. „Wenn mich die Kinder heute fragen, ob ich mit ihnen schwimmen gehe, oder ins Phantasialand auf die Wildwasserbahn ... Es tut so weh, aber das geht alles nicht mehr.“
Eigentlich hatte er mit seinen Eltern neu bauen wollen, viel selber machen. Sein Vater Dieter hat geackert wie er konnte, die Baustelle nimmt kein Ende. „Das war alles anders geplant“, sagt Alexander Pfister nachdenklich. „Wenn meine Familie nicht wäre, ich weiß nicht wie ich das durchgestanden hätte.“
Trotz gewonnenem Gerichtsverfahren kämpft der 47-Jährigen mit Versicherungen
Bewegung ohne Schmerzen oder Schmerzmittel sind für den 47-Jährigen kaum noch drin. Hinzu kommen langwierige Auseinandersetzungen mit Versicherungen. Dabei füllen allein schon die medizinischen Gutachten, die seine Verletzungen und Einschränkungen belegen einen ganzen Aktenordner. „In den anderen sechs Ordnern da ist der Schriftverkehr mit den Versicherungen, Antrag auf Schwerbehinderung, Schriftverkehr mit Krankenkasse, Rechtsanwalt und so weiter“, sagt der sonst doch so lebenslustige Familienvater.
Obwohl er in einem zivilrechtlichen Verfahren ein Jahr nach dem Sturz Recht bekommen hat, die Versicherung des Mannes, der ihn die Treppe hinunterstieß, zahlen muss, ziehen sich auch die bürokratischen Folgen der Behandlungen. Das Krankengeld ist Ende Mai dieses Jahres ausgelaufen, ein Antrag auf Reha wurde abgelehnt. „Weil keine Aussicht auf Besserung und Erfolg besteht“, sagt Pfister. Andererseits ist auch die Anerkennung der Berufsunfähigkeit nicht durch. „Dabei habe ich alles schwarz auf weiß in mehreren Gutachten von Ärzten belegt“, sagt Alexander Pfister und schüttelt den Kopf.
Was Alexander Pfister neben seiner Familie doch immer wieder aufbaut
Was ihn neben seiner Familie immer wieder aufbaut: Immer noch melden sich Menschen und wünschen gute Besserung, füllen Postgrüße und Präsente der Anteilnahme den Esszimmertisch in der Wohnung der Familie in Gronau.
Im neuen Jahr steht eine weitere Untersuchung an. Alexander Pfister hofft, dass dann festgestellt werden kann, dass wenigstens der Knochenschwund zum Stillstand gebracht werden konnte. Ein künstliches Kniegelenk? „Niemand kann dir sagen, wo man das überhaupt noch festmachen kann“, sagt der 47-Jährige. „Mir fehlt einfach die Perspektive“, sagt Alexander Pfister. „Und wenn du dann von den Menschen liest oder im Fernsehen siehst, die da als Superhelden der Zivilcourage vorgestellt werden – keinem von denen ist dadurch etwas passiert. Es heißt ja immer, man soll Zivilcourage zeigen, aber wenn einem dann so etwas passiert ...“
Viele Unternehmungen mit der Familie sind heute nicht mehr möglich
Traurig denkt der 47-Jährige daran zurück, wie er früher mit Ehefrau Melanie und den Kindern Marie und Magdalena im Urlaub in den Bergen wandern war, daheim gerne abends unterwegs war, sich in den unterschiedlichsten Vereinen engagierte. „Dieses Leben ist für mich vorbei“, sagt Alexander Pfister leise. „Ich brauche heute immer einen, der mich fährt, muss vier- bis fünfmal pro Woche zum Arzt oder zur Therapie, habe Angst zu stürzen schon beim Duschen oder wenn etwas Laub auf dem Gehsteig liegt.“
Alexander Pfister schaut hinaus durchs Fenster: „Das, was da passiert ist, hat mein Leben kaputt gemacht – und niemand kann's mir reparieren.“ Das einzige was ihn neben der Familie immer wieder aufbaue sei, wenn er auf der Bühne stehe, sagt der 47-Jährige und lächelt noch einmal: „Wenn ich ein Mikro nehme, dann kriegt mich so schnell keiner davon weg.“