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Sozialer Mittagstisch BensbergWenn die Teilnahme am normalen Leben Luxus ist

Lesezeit 5 Minuten

Beim sozialen Mittagstisch in Bensberg geht es nicht nur ums Essen, sondern auch um die Begegnungen.

Bergisch Gladbach – Der kostenlose Mittagstisch im Gemeindezentrum der evangelischen Kirche in Bensberg hat sich zu einem wichtigen sozialen Treffpunkt entwickelt. Die meisten, die hier jeden Dienstag anstehen, leben am Existenzminimum. Andere kommen auch einfach, um zu reden.

Es ist jetzt 12 Uhr. Der Gong ertönt. Die Tür zum Gemeindesaal wird aufgemacht. Die Schlange schiebt sich an den Töpfen vorbei. Auch Josef S. gehört zu den Wartenden. Der 73-Jährige lebt von der Grundsicherung. Da ist das Geld knapp.

Teilnahme am normalen Leben ist Luxus

Obwohl er in seinem Leben hart gearbeitet hat – als Blechschlosser und später bei einem Wachdienst. Mehr erzählen, will er nicht. Nicht, weil er sich für sein Leben schämen würde, sondern weil es jetzt Cevapcici mit Reis und Zaziki gibt. Für ihn wie für viele andere ist es ein Luxus, am normalen Leben teilzunehmen.

Ökumenisches Angebot in Bensberg

Vor drei Jahren startete das ökumenische Angebot „Bensberg isst was“ im evangelischen Gemeindezentrum. Außer der kostenlosen Versorgung, die jeden Dienstag, 12 bis 14.30 Uhr, angeboten wird, stehen Bedürftigen zwei Duschen sowie Shampoo und andere Hygieneartikel zur Verfügung. Vor Ort ist jedes Mal auch Sozialpädagogin Renate Brzoska, um auf ihr Beratungsangebot aufmerksam zu machen. Auch die Kleiderkammer im Haus hat geöffnet.

Finanziert wird das Projekt mit einer Großspende. Der Bensberger Geldgeber möchte unerkannt bleiben. Das Essen liefert die Firma Bach aus Kürten zu einem günstigen Preis. Das Café Kroppenberg spendet jeden Dienstag ein Kuchenblech. (ub)

„Viele Lebensgeschichten gehen unter die Haut“, sagt Diakon Rainer Beerhenke. Es berühre ihn immer wieder zu sehen, dass so viele Menschen in unserem reichen Bensberg einfach durch alle Raster gefallen sind: „Es gibt diese andere, arme Seite in Bensberg. Sie wird vielleicht deshalb nicht wahrgenommen, weil die Schicht der Bessergestellten unter sich bleibt.“

Im Durchschnitt kommen jeden Dienstag 30 bis 40 Leute: Hartz IV-Empfänger, Alleinerziehende, Ruheständler mit einer kleinen Rente und Alleinstehende, die durch den sozialen und ökonomischen Wandel am Rand der Gesellschaft stehen. Es gibt auch Gäste, die kommen gar nicht wegen des Mittagessens: Frank K. kommt, um mit Pfarrer Wolfgang Graf zu sprechen: „Ohne seine Hilfe wäre ich aufgeschmissen.“

„Draußen würde ich es in meiner Verfassung keine Nacht überleben“

Der 53-Jährige hat alles verloren. „Ich hatte ein ganz normales Leben“, sagt Frank K., „jetzt bin ich nicht mehr auf Augenhöhe. Ich bin ein Bittsteller.“ Als ausgebildeter Kellner hat er in angesagten Läden gearbeitet. Bis er den Fehler machte, für jemanden zu bürgen. Die Schulden zogen ihm den Boden unter den Füßen weg. Er landete ganz unten. Zwei Jahre lang lebte er auf der Straße. Als es wieder bergauf gehen sollte mit einem neuen Job, wurde er schwer krank. Pfarrer Graf hat ihm ein billiges Zimmer vermittelt.

„Draußen würde ich es in meiner Verfassung keine Nacht überleben“, meint Frank K., „ Ich bin raus, wie aussortiert, das ist ein komisches Gefühl. Mein altes Leben werde ich nicht mehr zurückbekommen.“

Wenn der Gong ertönt, strömen die Wartenden in den Gemeindesaal .Im Durchschnitt sind es 40 Leute, die das Angebot wahrnehmen.

Wie in einer Spirale, die einen ständig runterschraubt, beschreibt Peter Mildt das Gefühl des sozialen Abstiegs. Er war einmal ein gemachter Mann, Inhaber des exklusiven Herrenausstatters Gerd Mildt in der Nähe der Hohe Straße in Köln und wohnte einem Haus mit Garten in Porz. Dann sorgte eine Großbaustelle am Gürzenich dafür, dass viele Kunden wegblieben. Mitte 2017 musste Mildt sein Geschäft nach 40 Jahren schließen. Er blieb auf einem Haufen Schulden sitzen. Dazu kam die Scheidung. „Ich bin komplett ruiniert“, sagt Mildt. Jetzt lebt er von Hartz IV in einem 30 Quadratmeter großen Appartement in Refrath. Der 62-Jährige ist dankbar für das Bensberger Projekt. Es gibt ihm Halt: „Hier trägt kein Mensch die Nase hoch. Wir werden so genommen, wie wir sind. Alle sind menschlich und herzlich.“

Es geht um die menschliche Begegnung

Es ist dieser soziale Aspekt, der Pfarrer Graf sehr wichtig ist. „In einer Suppenküche geht es nicht nur um die materielle Leistung, sondern vor allem auch um die menschliche Begegnung, die Wertschätzung.“ Wichtig ist noch ein zweiter Aspekt des Konzepts von „Bensberg isst was“: Zwölf ehrenamtliche Helfer der Arbeitsgemeinschaft Ü 60 der evangelischen Kirchengemeinde Bensberg teilen sich den Service auf: Tische aufbauen und decken, Essen ausgeben, Kaffee-Kochen, Spülmaschine ein-und ausräumen. Über die gemeinsame Tätigkeit sind sie zu einer Gemeinschaft zusammengewachsen.

„Jeder von uns hat eine Rolle eingenommen,“erzählt Ursula Schinkel. Die Arbeit in der Gemeinschaft bedeutet der 73-Jährigen viel: „Ich war mit meinem Mann 51 Jahre verheiratet.“ Als er starb, fiel sie in ein Loch. Die ehrenamtliche Arbeit im Team Arbeit gab ihr Zuversicht: „Hier geht nicht immer alles rund, es ist vielmehr so wie in einer Familie.“

„Wir möchten der Gesellschaft etwas zurückgeben“

Aus Dankbarkeit darüber, dass es ihnen so gut geht, machen die Eheleute Petra und Michael Schreier mit bei der Essensausgabe: „Wir möchten der Gesellschaft etwas zurückgeben.“ An diesem Dienstag verteilen die beiden die Portionen auf die Teller. Am Ende werden es etwa 40 Essen sein, die die Schreiers ausgegeben haben. Zum Nachtisch gibt es immer noch ein Stück Kuchen und eine Tasse Kaffee. Was übrigbleibt, können die Leute mit nach Hause nehmen. Die Dosen dafür bringen sie mit.

Petra und Michael Schreier gehören zum Team der zwölf Helfer, die sich dienstags um den Service kümmern.

Manchen Leuten, die zum Mittagstisch kommen, geht es vor allem darum, mal ein, zwei Stunden mit anderen zusammen zu sein. „Ich bin geschieden, meine Tochter wohnt nicht mehr in der Nähe, also bin ich ganz alleine“, erzählt eine 58-jährige Bensbergerin, die lieber anonym bleiben möchte. Bei ihren regelmäßigen Besuchen des Mittags-Angebots hat sie eine Freundin kennengelernt, mit der sie sich öfter verabredet. Ihr und anderen im Saal ist es wichtig, etwas in die Spendenbox am Eingang zu werfen. So bekommen alle das Gefühl, etwas für die Gemeinschaft beizutragen, was ihnen möglich ist.

Dass nicht nur Bedürftige gerne das Angebot annehmen, das beweist Markus Bollen. Der Fotograf speist regelmäßig bereits seit Beginn des Projekts vor zwei Jahren in dem Gemeindezentrum: „Das Interessante am Projekt ist, dass ganz viele gesellschaftliche Schichten aufeinandertreffen“, berichtet der Fotograf und fügte hinzu: „Zudem ist es für mich sehr praktisch hierhin zu kommen, da mein Atelier direkt um die Ecke ist“. Nach zweieinhalb Stunden gehen dann alle wieder durch die Tür des Gemeindesaals in ihr Leben zurück – bis zum nächsten Dienstag.