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Zeitzeugin Philomena Franz im Interview„Die Erinnerung ist mein Leben“

Lesezeit 4 Minuten

Philomena Franz beim Interview in ihrer Wohnung.

In Bergisch Gladbach wird die Zeitzeugin Philomena Franz in Kürze für ihre unermüdliche Aufklärungsarbeit mit der Ehrenbürgerschaft ausgezeichnet, in Rösrath – wo sie lange lebte – ist eine Ehrung noch in der Diskussion. Birgit Eckes und Thomas Rausch sprachen darüber mit der Auschwitz-Überlebenden und Zeitzeugin, die am 21. Juli ihren 99. Geburtstag feiert.

Beim Betreten der Wohnung in einer Bensberger Siedlung fällt der Blick als erstes auf Bilder und Fotografien einer Gruppe sehr romantisch aussehender Männer. Es ist die vierköpfige Musik-Kapelle ihres Großvaters. Sofort erinnert sich Philomena Franz lebhaft und detailgenau, wie die Männer mit ihrer Zigeunermusik die adelige Hofgesellschaft bezauberten und sogar als beste Kapelle des Landes ausgezeichnet wurden. Von den Vorfahren bis zum Enkel: Überall ist die Familie präsent.

Nächsten Monat werden Sie Ehrenbürgerin von Bergisch Gladbach. Ist das eine Genugtuung für Sie angesichts Ihrer Lebensgeschichte?

Franz: Ich möchte es so sagen: Es ist eine große Ehre. Aber ich lege keinen Wert darauf, ich habe das auch gar nicht zu bestimmen. Man kann es nicht aufhalten, man muss es annehmen.

Aber es ist doch eine wichtige symbolische Geste.

Ich bin das doch gewöhnt. Ich habe so viele Ehrungen. Ich habe das Bundesverdienstkreuz, wurde mit dem Preis „Frauen Europas“ ausgezeichnet und mit dem Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen.

In Rösrath ist die Situation komplizierter als in Bergisch Gladbach: Das neu gegründete Philomena-Franz-Forum plant eine hochkarätig besetzte Tagung zu Ihrem 100. Geburtstag im nächsten Jahr, auf der anderen Seite will die Stadt Rösrath über eine mögliche Ehrung erst an einem Runden Tisch diskutieren. Ist das für Sie noch wichtig nach dem Gladbacher Beschluss zu Ihrer Ehrenbürgerschaft?

Nein. Wissen Sie, ich will auch mal meine Ruhe haben. Die Leute in Rösrath dagegen wollen auch mal in die Öffentlichkeit kommen mit ihren Aktivitäten.

Aber es wäre doch eine gute Sache, die Gesamtschule nach Ihnen zu benennen?

Ja. Denn ich sehe meine Aufgabe seit Jahrzehnten darin, für die jungen Menschen da zu sein. Das ist sozusagen mein Beruf geworden. Deswegen gehe ich in die Schulen und erzähle von meinem Leben. Davon verspreche ich mir sehr viel. Die junge Generation wird schließlich einmal dieses Land gestalten.

Sind die Besuche in Schulen und die Schilderung Ihrer erschreckenden Erlebnisse im KZ nicht sehr anstrengend und belastend für Sie?

Natürlich, sie sind schon anstrengend. Deswegen mache ich das auch nicht mehr.

Philomena Franz erzählt, wie sie stattdessen drei Schülerinnen der Elly-Heuss-Knapp-Realschule in Köln mit ihrem Lehrer Urban Philippek und der Schulleiterin zu sich nach Hause eingeladen hat in ihre große Wohnung. Und sie sind gern gekommen, die Gastgeberin hat ihnen Brötchen geschmiert, das war sehr gemütlich.

Wie erleben Sie die Begegnungen mit den Kindern und Jugendlichen ?

Das sind Kinder, die brauchen Liebe. Und ich spüre, dass sie mich auch lieben. Deswegen habe ich für sie Aufklärungsarbeit gemacht. Ich habe ihnen nicht immer das Schlimmste erzählen wollen.

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Trotzdem haben die Kinder geweint und irgendwie geahnt oder gewusst, dass ich ihnen nicht alles sage. Schließlich hat der Lehrer gesagt: Die sollen ruhig hören, was Sie als Kind durchgemacht haben.

Kann Ihre Auszeichnung mit der Bergisch Gladbacher Ehrenbürgerwürde dazu beitragen, die Aufmerksamkeit für die Geschichte der Sinti und Roma zu erhöhen?

Sie hat schon etwas bewirkt. Die Roma haben auch gelitten mit uns. Nur sind wir Sinti eine ganz andere Kultur.

Mehr möchte sie nicht dazu sagen. Stattdessen erzählt sie von ihrem Weg nach der Befreiung 1945. Auf einem Foto ist sie als schöne junge Frau mit ihrem späteren Mann zu sehen. Sie hat ihn getroffen, als beide auf der Suche nach ihren Angehörigen waren. Philomena Franz ist voll des Lobes für die Amerikaner und deren mitfühlende Unterstützung.

Wie war Ihre erste Begegnung mit den Amerikanern?

Ich war ja erst in der sowjetischen Zone und wollte aber rüber in den amerikanischen Sektor, um in meine Heimat, nach Stuttgart, zu kommen. Vielleicht lebte ja meine Mutter noch. Ich bin also zur Grenze und habe dem Soldaten dort gesagt: Ich komme aus dem KZ. Da ist ihm schlecht geworden. Die Amerikaner haben so etwas wie meine Tätowierung am Arm noch nie gesehen. Es kam auch ein Offizier, der hat gesagt: Come on, baby. Dann hat er mich in den Arm genommen.

Was macht das mit Ihnen, wenn Sie immer wieder Ihre Geschichte erzählen?

Das ist mein Leben. Als ich aus dem Lager kam, habe ich gedacht: Ich muss etwas tun für die junge Generation, denn die ist unschuldig. Ich bereue nichts, ich musste meine Pflicht und Schuldigkeit tun. Fast meine ganze Familie ist in Birkenau gestorben. Aber als alles vorbei war, wollte man frei sein und in Frieden leben, da war das Hassen Nebensache.